Freitag, 10.05.2024 / 11:52 Uhr

Proteste: Mit der Hamas gegen Staat, Gott und Patriarchat?

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Bild: Moritz Gross (Siehe hier)

Im Netz kursiert dieses Bild, das über die gegenwärtigen Proteste sehr viel aussagt. Denn bei denen geht es nicht um irgendwelche realen Ereignisse im Nahen Osten, um die geht es eigentlich nie, aber noch nie war der Konflikt eine so leere Leinwand, auf die jeder/r projizieren kann, war sie/er mag. Das genau ist globale Intifada, wo Israel der Inbegriff alles Bösen und Ablehnenswerten und die Palästinenser die Guten sind.

Mehr ist nicht, außer noch etwas Religion, die darin besteht, dass man an den Völkermord zu glauben hat, wie früher an jungfräuliche Empfängnis von Maria. Egal, ob das zuständige internationale Gericht klar festgestellt hat, dass es sich beim Krieg in Gaza um keinen handelt. Umso öfter und mehr hat man zu sagen: Genozid. Am besten als Rosenkranz das Wort immer wiederholen.

Die Hamas hat das irgendwie verstanden und liefert selbst kaum Propaganda oder Bilder, sie lässt die Leinwand leer. Und da in den 80er mit Arafat, seinem Tuch und dann der Intifada sich die Palästinenser wirklich mal ziemlich gekonnt als globaler Underdogs inszeniert haben, wird das Bildmaterial nun übernommen. Ob Jugendliche, die sich Panzern mit Zwillen in der Hand in den Weg stellen oder um Steine gereckte Fäuste: Das waren noch Bilder und deshalb kostümieren sich rich kids an Unis in den USA und Europa nun so, als sei es 1988 und nicht 2024.

Damit folgen sie noch einem anderen globalen Trend im Westen, der so in der Sinnkrise ist, dass es eine Zukunft nicht mehr zu geben scheint. Um bürgerliche Gesellschaft und Ideologie ohne Zukunft, bzw das Versprechen, dass es immer besser wird, geht nicht, das ist ihre Software.

 

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Plakat in Athen, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

 

Wollen also alle irgendwie in die Good Old Eighties zurück, so tun es natürlich diese Demonstranten auch, die die 80er bestenfalls noch vage aus Erzählungen und vielleicht der coolen Musik von damals kennen.

Und wer sonst bietet sich für Reisen in die Vergangenheit als Vehikel so gut an wie die Palästinenser, deren ganzen Anliegen seit Jahrzehnten ja eh in nichts anderem besteht, als Vergangenheit ändern zu wollen und irgendwie 1947 ungeschehen zu machen.

Wenn also alte Punk-Anarcho Slogans plötzlich wieder aktualisiert werden, nur eben mit der Fahne Palästinas und in vollkommenem Widerspruch zu den Programmen ALLER palästinensischen Parteien ist das nur folgerichtig und ein enorm erhellender Einblick in den Zustand westlicher Gesellschaften.

Das alles funktioniert nur, weil auf der anderen Seite Israel steht, das als Symbol und Inbegriff alles bösen und verabscheuenswürdigen steht und damit wirklich die Funktion einnimmt, den früher die Juden hatten. Wie den Antisemiten des 20. Jahrhunderts geht es diesen Leuten um ALLES – und deshalb politisch auch letztlich um nichts.

Es sei noch angemerkt, dass unter linken Bewegungen die Anarchisten, von denen dieser schöne Spruch stammt, im Allgemeinen vergleichsweise resistent gegen Antisemitismus gewesen sind, was sie von staatsfetischistischen Kommunisten und Sozialisten angenehmen unterschieden hat. Ja mehr noch, wie etwa Bettina Dyttrich, in einem schönen Essay in der WOZ bemerkte, nicht nur viele führende Anarchistinnen und Anarchisten jüdischer Herkunft waren, sondern im Anarchismus sich auch ein altes messianisches Versprechen säkularisierte:

„So hat die libertäre Utopie des freien Zusammenlebens «ohne Chef und Staat» eine große Ähnlichkeit mit dem jüdischen Glauben an die Zeit der Ankunft des Messias, wenn Frieden und Gerechtigkeit herrschen werden und die überlieferten religiösen Verbote dahinfallen. Gemeinsam ist ihnen auch die Betonung der neuen Welt im Diesseits, nicht erst im Himmel. Bestimmt hat auch die Ausgrenzung vielen Jüdinnen und Juden den Blick für Ungerechtigkeiten geschärft und die Sehnsucht nach einer Welt ohne Nationalismus verstärkt.“