Samstag, 14.01.2023 / 21:37 Uhr

Massenproteste in Tel Aviv und anderen israelischen Städten

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Protest in Haifa, Bildquelle: Twitter

In Tel Aviv sollen heute über 80.000 Menschen gegen die geplanten Gesetzesänderungen der neuen Regierung auf die Straße gegangen sein. Auch in Haifa und Jerusalem fanden Demonstrationen statt.

 

So viele Menschen waren in Israel seit langem nicht mehr auf der Straße. Ein breites Bündnis aus Opposition und Organisationen hatte für heute zu Protesten gegen den Plan der neuen israelischen Regierung aufgerufen, die Befugnisse des Obersten Gerichts massiv einzuschränken. Dieses Bündnis reichte von der linken Hadash Partei bis zu Mitgliedern der vorherigen Regierung wie Ex-Premier Benny Gantz.

Alleine in Tel Aviv sollen mehr als 80.000 an den Protesten teilgenommen haben. Was dieses hochradige heterogene Bündnis dieser Tage zusammen auf die Straße bringt, ist die geteilte Sorge und Angst, dass die neue Rechtsregierung unter Netanjahu de facto das Vetorecht des Obersten Gerichts gegen Gesetzesvorlagen, die es als nicht im Einklang mit dem so genannten basic law Israels und der Unabhängigkeitserklärung sieht. Denn Israel hat als eine der wenigen Demokratie der Welt keine Verfassung, Versuche eine solche zu verabschieden, scheiterten in den 50er Jahren am Widerstand ultraorthodoxer Parteien. 

Da es auch keine zweite Parlamentskammer gibt und Abgeordnete der Knesset über Listen gewählt werden, existiert, wie Juristen in Israel immer wieder betonen, nur eine, im Vergleich zu anderen westlichen Ländern, schwache Gewaltenteilung. Auch diesem Grund wird dem Obersten Gericht eine so wichtige Rolle als Kontrollinstanz der Regierung und Beschützer von Minderheitenrechten zugeschrieben.

Absent a constitution, it was Israel’s Supreme Court that stepped in to enforce human rights. Mercifully, basic ones, especially equality, were promised by politicians in the 1948 Declaration of Independence. Indeed, it was the Knesset that in 1992 enshrined the principle of equality (and several related ones) by passing the Basic Law: Human Dignity and Freedom.

Der neue Justizminister nun hatte vergangene Woche erklärt, die Regierung wolle mit ihrer Mehrheit in der Knesset eine Änderung der bestehenden Gesetze in die Wege leiten und eine so genannte override clause einführen, die es der Knesset erlaube, Entscheidungen des Obersten Gerichts zu überstimmen:

The override clause being proposed by the government would allow the Knesset to override any objections of the High Court, with a simple majority of 61 votes (just 50.8%) of the Knesset, essentially allowing the same people who enacted a problematic law to override any objections of the High Court to it. And just to make sure that the independence of the judiciary is completely demolished, the government wants to stack the appointment committee of High Court judges so that 7 of 11 members would be government appointees. That’s like letting Argentina choose the referees for the World Cup final. 

Keine Demokratie ohne Oberstes Gericht, so lautete deshalb auch einer der Slogans heute.

Vor einer Tyrannei der Mehrheit über die Minderheit, einem Ende der Demokratie, des Zionismus und vielem mehr warnen deshalb seit Tagen linke und liberale Politiker, Juristen und Medien und rufen deshalb zu zivilem Widerstand auf. Die heutige Demonstration soll den Auftakte geben für diesen Widerstand, dem es eigentlich, seinem Verständnis nach, um die Rettung der israelischen Demokratie vor einer Regierung geht, die in in freien Wahlen an die Macht kam.