Montag, 27.12.2021 / 11:23 Uhr

Tote am Flughafen Arbil in Empfang nehmen

Von
Amed Sherwan

Der Autor vor vielen Jahren in Arbil, Bild: privat

»Hier haben wir unserem Sohn vor einem Monat Lebewohl gesagt. Hier nehmen wir heute seine Leiche in Empfang.«

Das hätten die Worte meiner Eltern sein können, wenn ich dieses Jahr hätte flüchten müssen. Stattdessen stehen gerade andere Eltern am Flughafen in Erbil und nehmen weinend die Leichen ihrer im Ärmelkanal ertrunkenen Kinder entgegen. Die Bilder sind unerträglich.

Fast alle die Menschen, die Ende November zwischen Calais und Dover ertrunken sind, kommen aus meiner alten Heimat. Auch bei den Bootsunglücken in der Ägäis in den letzten Tagen sind sehr viele Menschen aus Irakisch-Kurdistan gestorben. An der polnisch-belarussischen Grenze sind ebenfalls überwiegend Menschen aus dem kurdischen Teil Iraks gescheitert. Die Menschen flüchten, obwohl sie um die Gefahren wissen, denn sie sehen keine andere Möglichkeit, weil sie politisch verfolgt sind, weil sie ärztliche Hilfe brauchen, ihre Familie vermissen oder einfach völlig perspektivlos sind.

Dabei gilt der Norden des Iraks als eine der sichersten Regionen im Mittleren Osten, hier finden Millionen Geflüchtete aus anderen Gegenden Schutz. Die Hauptstadt Erbil entwickelt sich gerade zum neuen Dubai mit Hochhäusern, Autobahnen, Shoppingmals und Vergnügungsparks. Aber der Reichtum kommt nicht unten an. Im Gegenteil, die Menschen werden ärmer und ärmer. Wer nicht zu den mächtigen Familien gehört, hat keine Chance. Die Regierung ist korrupt und zahlt keine Löhne mehr. Wer dagegen öffentlich protestiert, riskiert Verhaftungen für terroristische Aktivitäten und im schlimmsten Fall die Todesstrafe. Früher wurden Regimekritiker*innen heimlich entführt und hingerichtet, heute werden Journalist*innen ganz offiziell verurteilt und weggesperrt, wie man es von Erdoğans Türkei kennt.

Während die kurdische Elite um die Welt fliegt und Milliarden in Immobilien investiert, verrecken gewöhnliche Menschen aus Irakisch-Kurdistan auf ihrer Suche nach einem sicheren Leben. Ich merke in diesen Tagen, wie viel Glück ich gehabt habe. Aber es fällt mir sehr schwer, mich darüber zu freuen. Denn während ich hier in Sicherheit bin, begeben sich Menschen wie ich in Todesgefahr, weil alles besser ist als ihr jetziges Leben. Manchmal erreichen mich konkrete Hilfeschreie, Nachrichten von Menschen, die mich um Unterstützung bitten. Und ich kann nichts tun, außer euch darüber zu berichten.