Montag, 24.05.2021 / 10:28 Uhr

Sedat Peker – Ein Insider des türkischen Regimes packt aus 

Von
Murat Yörük

Bidquelle: Youtube

Der Pate der türkischen Unterwelt wendet sich auf Youtube an die Öffentlichkeit mit pikanten Enthüllungen über die türkische Regierung. 

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Mafiaboss, der für gewöhnlich die Unterwelt bevorzugt, die virtuelle Öffentlichkeit sucht und innerhalb kürzester Zeit zu einem Youtube-Star aufsteigt. Geht es allein nach Zahlen, sind die in den vergangenen Tagen hochgeladenen sieben Videos des türkischen Paten Sedat Peker mit insgesamt 40 Millionen Klicks nicht zu verachten. Seit Tagen spricht die politische Öffentlichkeit in der Türkei – mit Ausnahme aller staatsnahen Medien –  über nichts anderes als die Enthüllungungsvideos. Die Themen, die Peker anbietet, sind kaum überraschend, erfüllen die Publikumserwartungen und befriedigen deren Sensationsgier: Es geht um die Abrechnung mit alten Weggefährten; um das Auspacken von deren Schmutzwäsche; um Erpressungen im Staatsauftrag; um vertuschte und nie aufgeklärte Morde; um Korruption im Millionenbereich; um Menschenhandel; um die Zusammenarbeit von Staat und Mafia; um Heroin- und Kokaingeschäfte. 

Die Enthüllungen, die stellenweise durch Dokumente, Ton- und Videoaufnahmen belegt werden, dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, und Grund zur Annahme geben, da würde ein Pate nach langjährigen kriminellen Machenschaften das eigene schlechte Gewissen beruhigen wollen; oder der Unterwelt reuig den Rücken zukehren. Viel eher entsteht der Eindruck, dass der geschasste Pate, der vor den türkischen Ermittlungsbehörden Ende 2019 ins Ausland geflüchtet ist, im Buhlen um die Hand des Staates unter den konkurrierenden Gangs, die es seit Republiksgründung in der Türkei immer gegeben hat, endgültig verloren zu haben scheint. 

Pekers bisheriges Erfolgsrezept auf YouTube dürfte darum nicht allein in der Mixtur aus seinem Sendungsbewusstsein, dem Enthüllungsversprechen und der Neugier des Publikums für solche Themen liegen. Peker, der seit den frühen 1990er Jahren die türkische Unterwelt dominiert, ist fraglos eine schillernde Figur; seine zahlreichen Anhänger und Gefolgsmänner, die turanistisch, rechtsextrem-nationalistisch unterwegs sind, feiern ihn; morden und erpressen in seinem Namen; und seine langjährige Nähe zur politischen Prominenz bis in Regierungskreise stört die breite Öffentlichkeit nicht wirklich, sondern gehört sogar zum guten Ton in einer Gesellschaft, die mit Mafia-Filmen wie Tal der Wölfe aufgewachsen ist. 

Dass Peker gerade jetzt die Öffentlichkeit sucht, und mit seinen Enthüllungen insbesondere das Erdoğan-Regime in große Verlegenheit bringt, ist kein Zufall. Auslöser für die Enthüllungen dürfte ein interner Verteilungskampf um Pfründe im altbekannten Dreieck aus Politik-Staat-Mafia sein; die gängigen Floskeln der letzten Jahre zeugen von diesen klandestinen Strukturen: ob sie nun Ergenekon, Tiefer Staat, FETO oder schlicht kriminelle Organisationen des Staates heißen. 

Fraglich ist dennoch, ob Peker aus der Position der Stärke spricht, oder viel eher wie ein Gedrängter auf der Flucht. In den Videos spricht nicht bloß ein enttäuschter Pate, der auf Rache schwört, weil die eigenen mafiosen Strukturen in den Staat wegbrechen. Peker gibt sich stellenweise sogar – ganz offensichtlich unter Drogeneinfluss stehend – als den besseren Staatsmann aus und belehrt über die Ehre und Seele des türkischen Staates, die von den konkurrierenden Gangs beschmutzt worden sei. Immer wieder geraten der türkische Innenminister Süleyman Soylu und Mehmet Agar, ganz eng mit Soylu und ein anderer einflussreicher Pate in die Zielscheibe. Gegen Erdoğan, der sich zu den Enthüllungen nicht geäußert hat, hat Peker bislang kein Wort verloren. Das hat das Gerücht entstehen lassen, ob Peker ein Saubermann von Erdogans Gnaden ist, der von Soylu und Agar nicht sonderlich viel zu halten scheint. 

Bei aller Undurchdringlichkeit des Themas dürfte eines allerdings feststehen: Es rappelt im Erdogan-Staat. Und Peker dürfte die Schlammschlacht um Enthüllungen eröffnet haben.