Mittwoch, 24.06.2020 / 18:15 Uhr

UN-Menschenrechtsrat und Israel

Von
Alex Feuerherdt

In einem Aufruf verurteilen fast 50 Sonderberichterstatter und Experten des notorischen UN-Menschenrechtsrates die mögliche Ausdehnung der israelischen Souveränität auf Teile des Westjordanlandes. Eine solche Einmütigkeit gibt es dort immer nur dann, wenn es um den jüdischen Staat geht. Der Appell ist keine Kritik, sondern eine erneute Dämonisierung und Delegitimierung Israels.

 

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(Bildquelle: UN)

Wenn fast fünfzig Sonderberichterstatter und unabhängige Experten der Vereinten Nationen mit einem gemeinsamen Aufruf an die Öffentlichkeit treten, in dem es um das Thema Menschenrechte geht, muss es sich um eine Angelegenheit von außerordentlichem, ja, weltpolitischem Gewicht und besonderer Dringlichkeit handeln, sollte man meinen.

Wann kommt es schließlich schon mal vor, dass sich Funktionsträger, die auf ganz unterschiedlichen Spezialgebieten für die UNO tätig sind – genauer gesagt: für deren Menschenrechtsrat –, zusammentun und einen Appell formulieren?

Mit von der Partie sind beispielsweise die Sonderberichterstatterin zur Beseitigung der Diskriminierung von Leprakranken und ihren Familienangehörigen, der Sonderberichterstatter für angemessenen Wohnraum als Bestandteil des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard und für das Recht auf Nichtdiskriminierung in diesem Zusammenhang, die Sonderberichterstatterin zum Verkauf und zur sexuellen Ausbeutung von Kindern, der Sonderberichterstatter für das Recht auf Privatsphäre und die unabhängigen Experten für die Menschenrechtssituation in Sudan, Mali, Somalia, Myanmar und der Zentralafrikanischen Republik.

Sie alle haben eigentlich einen klar umrissenen Aufgabenbereich und äußern sich normalerweise nicht zu Themen und Geschehnissen, die außerhalb dieses Bereichs liegen.

Aufgabenbereich: Israelkritik

Michael LynkSonderberichterstatter zur Situation der Menschenrechte in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten und ebenfalls Unterzeichner des erwähnten Aufrufs, sagt sogar nicht einmal etwas zur Hamas, zur Fatah oder zum Islamischen Jihad, auch nichts zu den Hinrichtungen von Homosexuellen, nichts zur massiven Unterdrückung von Frauen und nichts zum Antisemitismus im Gazastreifen und im Westjordanland.

Alles, was Israel zu seiner Verteidigung unternimmt, wird vom Rat seit jeher als Menschenrechtsverletzung, wenn nicht gar als Kriegsverbrechen verurteilt.

Denn sein Mandat besteht – im Unterschied zu dem aller anderen Sonderberichterstatter der UNO – darin, sich ausschließlich einer Konfliktpartei zu widmen, nämlich der israelischen.

Wenn nun Lynk – der sich seit mehr als drei Jahrzehnten rege an Aktivitäten zur Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates beteiligt und sogar die Legitimität von dessen Gründung im Jahr 1948 angezweifelt hat – also mit anderen Spezialisten des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen, die sich sonst um Schwerkranke, Wohnraum oder das Kindeswohl kümmern, einen flammenden Appell publiziert, kann es nur um ein Thema gehen. Und das lautet: Israel.

Die Israel-Obsession des UN-Menschenrechtsrates …

Denn bekanntlich beschäftigt sich der UN-Menschenrechtsrat mit keinem Land häufiger: auf ausnahmslos jeder Sitzung ist es ein Thema. Der diesbezügliche Tagesordnungspunkt Nummer sieben, der Israel gewidmet ist, wurde dauerhaft installiert.

Deshalb nimmt es auch nicht wunder, dass der jüdische Staat im Menschenrechtsrat häufiger verurteilt wird als alle anderen Länder der Welt zusammen. Der Krieg in Syrien, die nuklearen Ambitionen und die Stellvertreterkriege des iranischen Regimes, der Terror der Hamas – all das beschäftigt den Rat bestenfalls am Rande, wenn überhaupt.

Wenn aber die israelische Regierung in Erwägung zieht, Teile des Westjordanlandes unter israelische Souveränität zu bringen, schlägt er laut Alarm. Dann trommelt er seine Sonderberichterstatter und Menschenrechtsexperten zusammen, die jederzeit auf ihr fest umrissenes Mandat verweisen würden, wenn man sie bäte, ihre Stimme gegen schwere Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern zu erheben.

Nun aber erklären sie gemeinsam, „dass die 53-jährige israelische Besatzung die Quelle tiefgreifender Menschenrechtsverletzungen gegen das palästinensische Volk ist“, und zählen akribisch auf, welche Verbrechen sie dem jüdischen Staat vorwerfen:

„Landenteignung, Gewalt von Siedlern, diskriminierende Planungsgesetze, die Beschlagnahme natürlicher Ressourcen, Hauszerstörungen, gewaltsame Bevölkerungsverschiebungen, exzessive Gewaltanwendung und Folter, Ausbeutung der Arbeitskraft, weitreichende Verletzungen des Rechts auf Privatsphäre, Einschränkungen der Medien und der Meinungsfreiheit sowie die gezielte Verfolgung von Aktivisten und Journalisten, die Inhaftierung von Kindern, Vergiftung durch Kontakt mit giftigen Abfällen, Zwangsräumungen und Vertreibung, wirtschaftliche Entbehrung und extreme Armut, willkürliche Inhaftierung, mangelnde Bewegungsfreiheit, Ernährungsunsicherheit, diskriminierende Strafverfolgung und die Auferlegung eines zweistufigen Systems ungleicher politischer, rechtlicher, sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Rechte auf der Grundlage von ethnischer Zugehörigkeit und Nationalität.“

… soll zur Priorität der internationalen Gemeinschaft werden

All dies würde sich „nach der Annexion verschärfen“, heißt es in dem Appell. Israel folge der „Vision einer Apartheid des 21. Jahrhunderts“, weshalb die „internationale Gemeinschaft“ die Verantwortung habe, „sich Verletzungen der Menschenrechte und der grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts zu widersetzen und ihre zahlreichen Resolutionen, die Israels Verhalten dieser langwierigen Besetzung kritisieren, umzusetzen“.

Es ist immer wieder bezeichnend, zu welcher Verve und welcher Einigkeit der UN-Menschenrechtsrat fähig ist, wenn es um Israel geht.

Insbesondere bestehe die Pflicht, es nicht anzuerkennen, wenn ein Staat wie der jüdische „irgendeiner Form von illegalen Aktivitäten nachgeht, etwa einer Annexion oder der Errichtung von Zivilsiedlungen in besetztem Gebiet“, und ihn auch nicht dabei zu unterstützen oder ihm zu helfen.

„Rechenschaftspflicht“ und „ein Ende der Straflosigkeit“ müssten „zu einer unmittelbaren Priorität für die internationale Gemeinschaft werden“, wird im Aufruf gefordert. Es stehe „eine breite Palette von Maßnahmen zur Rechenschaftslegung zur Verfügung, die der UN-Sicherheitsrat in den letzten 60 Jahren bei anderen internationalen Krisen umfassend und erfolgreich angewandt“ habe.

Man bedauere „zutiefst die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika bei der Unterstützung und Förderung der unrechtmäßigen Pläne Israels für die weitere Annexion der besetzten Gebiete“.

Nur Mittel zum antiisraelischen Zweck

Es ist immer wieder bezeichnend, zu welcher Verve und welcher Einigkeit der UN-Menschenrechtsrat fähig ist, wenn es um Israel geht. Niemals kämen er, seine Sonderberichterstatter und seine Menschenrechtsexperten beispielsweise auf den Gedanken, den Libanon dafür zu verurteilen, dass die dort lebenden Palästinenser nicht nur weitgehend rechtlos, sondern auch tatsächlich apartheidähnlichen Zuständen ausgesetzt sind, indem ihnen die gesellschaftliche Teilhabe und das Ausüben bestimmter Berufe verwehrt werden.

Denn die Palästinenser sind nur Mittel zum Zweck der Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates. Deshalb werden die terroristischen Aktivitäten der Hamas und des Islamischen Jihad vom Rat auch nicht verurteilt, und genauso wenig wurden ihre Führungen je dafür verurteilt, sich Verhandlungen mit Israel zu verweigern und die Existenz des jüdischen Staates nicht anzuerkennen.

Alles, was Israel zu seiner Verteidigung unternimmt, wird vom Rat seit jeher als Menschenrechtsverletzung, wenn nicht gar als Kriegsverbrechen verurteilt, während der Raketenbeschuss, die Attentate und andere terroristische Handlungen palästinensischer Akteure kein Thema sind.

Von den Vereinten Nationen hat Israel nie Gutes zu erwarten

Man mag die möglichen Pläne der israelischen Regierung für das Jordantal kritisieren; das geschieht in Israel selbst auch, und nicht einmal im Kabinett besteht völlige Einigkeit darüber.

Überdies ist nicht klar, was überhaupt geschehen soll: Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu hatte vor Wochen noch anhand von Karten gezeigt, um welche Gebiete es ihm konkret geht; nun berichten mehrere israelische Medien, dass nur einige große Siedlungsblöcke wie Ma‘ale Adumim und Gush Etzion unter israelisches Zivilrecht gestellt werden sollen. Diese Blöcke aber sind noch in jedem bisherigen Friedensplan dem jüdischen Staat zugeschlagen worden, der als Kompensation Teile seines Territoriums den Palästinensern überlassen soll.

International nimmt die Kritik an einer möglichen Ausdehnung der israelischen Souveränität zu, auch aus Washington kam zuletzt keine Unterstützung mehr dafür, obwohl dieser Schritt in Trumps Nahostplan vorgesehen ist. Nicht wenige Beobachter erwarten zudem, dass sich das zuletzt verbesserte Verhältnis einiger arabischer Staaten zu Israel wieder verschlechtern würde.

Klar ist jedoch auch: Von einer Einrichtung wie den Vereinten Nationen – zumal von deren Menschenrechtsrat – hat der jüdische Staat ohnehin nichts als Verteufelung, Kriminalisierung und doppelte Standards zu erwarten. Ganz gleich, was er konkret tut oder lässt.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch