Mittwoch, 04.12.2019 / 11:27 Uhr

„Ich habe mit dem türkischen Staat nichts zu tun“. Zum Fall Emrah Erken

Von
Murat Yörük

 

Der Schweizer Rechtsanwalt Emrah Erken inszeniert sich als Vorkämpfer gegen Erdogan und Islamisten. Es bleiben ein paar Fragen zu seinem Engagement. Etwa die: Wieso empfiehlt das türkische Handelsministerium seine Dienste?

 

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(Ruhsar Pekcan, Handelsministerin der Türkei; Quelle: Republic of Turkey)


Ein kleiner Einspruch von vergangener Woche hat der islamkritischen Szene auf Facebook etwas liegengelassenen Sand in die Augen kommen lassen. Die Szene ist aufgewirbelt und aufgeschreckt.

An allen Fronten wurden Hilfs-Türken herbei gekarrt, die klären sollten, was es mit dem Türkischen nun auf sich hat. Denn irgendwie scheint in dieser Szene keiner wirklich türkisch zu können, obwohl gefühlt täglich der Kritiker seinem Lieblingshobby nachgeht und den Islam kritisiert. Offenbar verfügt man nicht einmal über ein Grundwortschatz Türkisch, um den Elementarkurs A1 „Türkisch für angehende Islamkritiker“ zu bestehen. Dabei leben seit über sechs Jahrzehnten Türken hierzulande und der Kritiker weiß nicht einmal, was Islamist – das Lieblingswort – auf Türkisch heißt!

Schande für das Türkentum

Auch die herbeigeeilten Türken konnten wie Emrah Erken höchstens nur rudimentär türkisch und fielen eher durch Ratlosigkeit auf. Wenigstens hat Erken allerdings, um sogleich zum Angriff überzugehen, sein sehr türkischen Rotstift – bestimmt ein Geschenk des türkischen Bildungsministeriums – aus seinem lange zurückliegenden Türkischunterricht ausgepackt und erkannt, dass in drei Fällen falsche Suffixe verwendet wurden. Was eine Schande auf das Türkentum!

Allerdings kann die Adelung als "funktionaler Analphabet", wie das Urteil von Erken lautet, gut verkraftet werden. Türkisch ist nicht unbedingt eine Sprache, die man beherrschen muss. Wer lesen kann, ist darum im Vorteil: Türkisch muss man nicht wirklich können, stand im Beitrag von vergangener Woche. Wer behauptet, es zu können, sollte es können. Das stand auch im Beitrag.

Emrah Erken fühlt sich allerdings angegriffen und will unbedingt türkisch können. Einem Türken zu unterstellen, er könne kein türkisch, ist für die Generation Erken fast wie eine Ehrverletzung. Jüngere kommen damit besser zurecht, ist die deutsche Sprache zumeist ihre Erstsprache und Türkisch nur die schillernde Sprache der Elterngeneration, die oft nur noch befremdet.

Wer will schon türkisch können?

Wer aber will ernsthaft eine Sprache beherrschen, müsste sich der Kritiker schon eher fragen, die durchsetzt ist von vulgären Ausdrücken, rassifizierten Redewendungen und durchtürkisierten Vokabeln? Wer will schon eine Sprache können, die Floskeln besitzt wie „gavurun kızı“ („Die Tochter des Ungläubigen“), um „ehrenlose“ Töchter zu beleidigen?

Je eher dem Kritiker das imaginierte und reale Bild der Muslimin auseinanderfällt, desto affektiver darum seine Wut.

Wer will schon eine Sprache können, die auf die Buchstaben x und w verzichtet, allein weil sie im Kurdischen verwendet werden? Wer will schon die Sprache eines Landes können, das Tausende kurdische, armenische und assyrische Dörfernamen, Vornamen und Wörter aus dem Sprachschatz getilgt hat? Wer will schon eine Sprache können, die auf der nationalistischen Lüge aufbaut, die menschliche Ursprache zu sein, so wie es die Propagandisten der Sonnensprachentheorie behaupten?

Alles Islamisten außer ...

Aber Leute wie Erken, die im Türkischen bereits keinen Begriff vom Islamisten haben, weil sie noch nie „İslamcı“ gehört haben, und gerade deswegen frei flottierend alles als mindestens Islamist abstempeln, desavouieren ihre Islamkritik, wenn sie Nuancen nicht mehr erkennen, sondern nur noch dem Dogma aus dem letzten Scharia-Lehrgang huldigen.

Islamist, schließlich verwässert und zu einem allseits einsetzbaren Potpourri geworden, wird so zu einem Label, mit dem wie auf einem Bazar frei gehandelt und mit dem irgendwie alles gelabelt werden kann, was einem nicht gefällt.

Lieblingsfeind Sawsan Chebli

In so einem Umfeld verschwimmen die Unterschiede etwa zwischen Sawsan Chebli, Nora Illi oder Fatima Najjar und alles wird nur noch zu einem anwidernden identischen Antlitz, das dem Kritiker auch noch frech ins Gesicht grinst.

Leute wie Erken benötigen jedoch Leute wie Chebli, gerade weil Chebli nicht dem Bild der Muslimin entspricht, die Islamkritiker wie Erken haben.

Von Sawsan Chebli lässt sich Emrah Erken daher des Öfteren angrinsen. Er ist geradezu besessen von ihr. Fast zeitgleich, als Sawsan Chebli Montagmorgen auf Twitter offen legt, dass sie Morddrohungen erhielt, fällt Erken auf Facebook, dem Umschlagplatz islamkritischer Meinungen, nichts besseres ein, als seiner Gemeinde mitzuteilen, was er von den Chebli hält.


"Sawsan Cheblis Vater wurde dreimal abgeschoben, weil er keine Asylgründe vorweisen konnte und dreimal ist er zurückgekehrt und hat dem deutschen Staat seinen Aufenthalt aufgenötigt...
Heute ist die Tochter des illegalen Einwanderers das islamistische Gewissen der Berliner SPD...".

 

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Beruf: Islamkritiker

Solche Sätze gehören zu Erkens Grundausstattung als Islamkritiker. Beruf Islamkritiker bedeutet für Leute wie ihn nämlich so etwas wie Lebenssinnerfüllung. Gerade das Ausschlachten peinlicher Auftritte von Chebli beflügelt unter solchen Kritikern die frivole Teilzeitbeschäftigung, wenn etwa höhnisch Cheblis Verlegenheit auf Pressekonferenzen kommentiert wird, ihre Rolex-Uhr beneidet wird oder insbesondere das „stilsichere Auftreten im figurbetontem Hosenanzug und High Heels“ in den Fokus gerät.

Hieße Sawsan nicht Sawsan, sondern Susanne – ihr käme wohl kaum jene Aufmerksamkeit und jener Promistatus zu, an dem ihre Kritiker selbst den größten Anteil haben. Sie wäre eine Politikerin wie jede andere, weder mit einer besonderen Bescheidenheit noch einem bewundernswerten Redetalent. Chebli wäre so wie irgendeine Staatssekretärin, und keine Krähe krächzte nach ihr.

Leute wie Erken benötigen jedoch Leute wie Chebli, gerade weil Chebli nicht dem Bild der Muslimin entspricht, die Islamkritiker wie Erken haben. Eine Muslimin, so denkt es im Kritiker, trägt ein Kopftuch, sucht nicht die Öffentlichkeit und übt keinen Beruf aus. Das hat man so im islamkritischen Milieu auswendig gelernt. Weil aber gerade Chebli diesem stereotypen Bild nicht entspricht, kein Kopftuch trägt und sich trotzdem als Muslimin bezeichnet, zieht sie Achtung und Verachtung auf sich.

Denn je unauffälliger eine Muslimin, so der Kritiker, desto verdächtiger ist sie. Das Stichwort lautet: Taqiyya. Je eher dem Kritiker das imaginierte und reale Bild der Muslimin auseinanderfällt, desto affektiver darum seine Wut.

Gehasstes Objekt der Begierde

Das Milieu, in dem sich Erken bewegt, erschafft sich deshalb, weil es sonst trist wäre als Kritiker, das gehasste Objekt der Begierde selbst. Chebli ist größtenteils das Produkt ihrer Kritiker und sie genießt jede Aufmerksamkeit, die sie bekommt, und bietet auch jede Gelegenheit, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Chebli hat verstanden, wie das Spiel mit ihren Kritikern funktioniert. Es ist die obskure Begierde des Kritikers, die von ihm nicht verstanden wird, aber gerade darum umso mehr das Faszinosum verspricht, an dem sich berauscht werden kann, bis Chebli endgültig vom Sichtfeld verschwindet.

Deshalb bricht der Hass aus Erken ungehemmter auf den Vater Chebli aus - wäre er doch einst abgeschoben worden, so die paranoide Logik, der Fall Chebli wäre asylrechtlich geklärt worden und der Kritiker wäre Sawsan Chebli los. Der Kritiker müsste nicht weiter damit ringen, dass das imaginierte und reale Bild der Muslimin auseinanderfällt.

 

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(Islamistisches Gewissen der SPD? Sawsan Chebli mit dem US-Botschafter; Quelle: Wikipedia)

 

Dabei stört Erken Cheblis Verhalten nicht wirklich. Sie ist ihm in Wahrheit gleichgültig; so beliebig ist sie ihm, dass er ihr andichtet, sie sei das "islamistische Gewissen der Berliner SPD". Abgesehen davon, dass ein "islamistisches Gewissen" ein Unsinnswort ist wie „nationalsozialistisches Gewissen“, und es viel Sprachunbewußtsein benötigt, um ein nationalsozialistisches oder islamistisches Gewissen zu behaupten, ist Chebli schon allein deshalb uninteressant, weil sie so gut in die SPD passt.

Nicht etwa, weil die SPD ein "islamistisches Gewissen" benötigte, sondern weil die Parteigenossen ein Gefallen daran finden, Cheblis Talentfreiheit mit Posten zu belohnen; und zwar deshalb, weil sie gut ins Image der Berliner Republik als weltoffen und bunt passt. Das macht aus Chebli allerdings nicht gleich eine Islamistin. Auch dann nicht, wenn sie den Skandal suchend behauptet, Scharia und Demokratie wären vereinbar.

Erst auf Nachfrage, die Provokation ist ihr ja bereits gelungen, erläutert sie in einem Interview für die Zeit, wie sie das meint: „Scharia beinhaltet rituelle Vorschriften für das Gebet und das Verhalten gläubiger Menschen, darunter die Verpflichtung zu Almosen. Das alles fällt unter die Religionsfreiheit. Andere Vorschriften der Scharia widersprechen ganz klar dem Grundgesetz und haben in einem demokratischen Staat nichts zu suchen.“ Hätte sie gleich gesagt, die islamischen Ritualpflichten wären mit der Demokratie vereinbar, alle anderen „Sachgebiete“ des islamischen Rechts nicht, hätte sie nicht die Aufmerksamkeit von Leuten wie Erken bekommen. So klug ist auch Chebli, die eben weiß, wie das mit der medialen Inszenierung läuft.

Eine obskure Liste

Und dann ist da diese Liste des türkischen Handelsministeriums, auf der 14 türkischsprachige Rechtsanwälte mit teilweise Bürositz in der Schweiz für Geschäftsleute in der Schweiz empfohlen werden.

 

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Einer von ihnen ist ausgerechnet Emrah Erken. Ein wenig verblüfft schon, dass das AKP-geführte Ministerium von Ruhsar Pekcan  – eine AKP-Frau ohne Kopftuch – unter der Regierung Erdogans einen Anwalt empfiehlt, der sich derart als Gegner dieser Regierung geriert.

Wieso ausgerechnet er?

Sicher, irgendwie kann ohne sein Wissen Erkens Name auf diese Liste geraten sein, wie er behauptet. Nur, wieso ausgerechnet er? Denn „praktisch alle“ türkischsprachigen Anwälte der Schweiz, wie er ebenfalls behauptet, befinden sich ganz sicher nicht auf ihr.

 

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Ein Blick auf die Mitglieder etwa des kurdischen Anwaltsverein der Schweiz reicht aus, um zu wissen, dass Erken hier nicht die Wahrheit sagt. Ganz im Gegenteil gibt es allein in der Schweizer Anwaltsvereinigung 49 türkischsprachige Anwälte.Und dort taucht noch nicht einmal Erkens Name auf. Auffällig ist jedenfalls, dass sich unter den Aufgeführten im Handelsministerium keine kurdischen oder alevitischen Namen finden. 

Sicher weiß er dagegen seit einigen Monaten, dass seine Dienste von der türkischen Regierung empfohlen werden.

Hat das türkische Regime also ernsthaft ohne vorherige Prüfung Erkens Name auf diese Liste gesetzt? Kommt man ohne gute Beziehungen zur Entourage auf diese Liste? Landet man wirklich unwissentlich auf dieser ihr? Sind Kemalisten wie Erken wirklich keine guten Kooperationspartner des Handelsministeriums, das gerade für europäische Geschäftsbeziehungen auf Anwälte setzen muss, die halbwegs vertrauchlich wirken? 

Aber Erken mag das alles nicht wissen. Sicher weiß er dagegen seit einigen Monaten, dass seine Dienste von der türkischen Regierung empfohlen werden. Offenbar hat ihn das nicht weiter gestört, sonst hätte er einfach erklären können, er versuche, dass sein Name gelöscht werde, da er nichts mit dieser Regierung zu tun haben wolle.

So aber hat er nicht reagiert. Er hätte z. B. auch erklären können, dass ihm dies ein Herzensanliegen sei, gerade auch aus Solidarität mit in der Türkei inhaftierten Anwaltskolleginnen und Kollegen. Nichts dergleichen ist geschehen.

Und das wirft eben einige Fragen auf, die nicht zu stellen wären, handelte es sich um einen weniger prominenten Anwalt, der sich außerdem nicht als unerbittlicher Regierungsgegner inszeniert.

Vielleicht hört sich Erken aber auch einfach einmal im Kollegium in der Schweiz um, vielleicht auch bei einem kurdischsprachigen Anwalt, der auf Nachfrage, wieso er nicht auf der Liste des türkischen Handelsministeriums steht, kurz und bündig mitteilte: „Ich habe mit dem türkischen Staat nichts zu tun.“

Erken könnte sich daran ein Vorbild nehmen. Und bis dahin am nächsten Eintrag in seiner Facebook-Gruppe „before sharia spoiled everything“, einer Gruppe für Nostalgiker arbeiten und sich fragen, wie es sein kann, dass ausgerechnet in der „islamisierten Präsidialdiktatur“ eine junge Frau aus der Islamisten-Hochburg Konya zur beliebtesten Popsängerin der letzten Jahre aufgestiegen ist.

 

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(Aleynia Tilki; Quelle: Facebook)

 

Es ist die Rede von Aleyna Tilki, 19 Jahre. Ihr Lied „Sen olsan bari“, das zwischenzeitlich 420 Millionen Mal angehört wurde, kann man sich auf ohne Türkischkenntnisse mit englischem Untertitel anhören. Wie gesagt: Türkisch muss keiner können. Wenn man dann noch Lust hat ein zweites Lied von ihr anzuhören, in der sie fragt, ob der Schwarm in der Liebe wild oder romantisch sei, entspricht solche Musik, die von der Generation AKP mit und ohne Kopftuch gehört wird, trotz 17 Jahren AKP nicht wirklich der propagierten „islamischen Sexualmoral“. Seltsam, Herr Erkan. Finden Sie nicht?

Dank an Thomas von der Osten-Sacken für seine Hilfe