Dienstag, 06.10.2020 / 17:18 Uhr

Von Schalke und anderen Glücksschweinen

Von
GM AM
Nur auf Schalen mit WhatsApp-Sticker setzen! Infektionsschutz im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion

Nur auf Schalen mit WhatsApp-Sticker setzen! Infektionsschutz im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion

Bild:
AM / instagram.com/picke.graetsche.aus

Nicht nur Amateur- und Regionalligavereine sind durch coronabedingte Einnahmeausfälle auf die finanzielle Unterstützung ihrer Fans angewiesen.

Dass es die Vorstandsmitglieder eines Vereins wie Schalke 04 waren, die früh nach Unterbrechung der Bundesliga wegen der Covid-19-Pandemie auf einen Neustart des Ligabetriebs drängten, war nur auf den ersten Blick verwunderlich. Wem dies nicht vorher bewusst war, der konnte spätestens während der aktuellen Krise lernen, wie sehr im Profifußball die Haushalte der Vereine auf Kante genäht sind, man auf die Einnahmen der TV-Gelder angewiesen ist, und wie schnell eine Unterbrechung des Spielbetriebs das Milliardengeschäft Bundesliga in die Knie zwingen konnte.

Man lebt hier häufig, bildlich gesprochen, von der Hand in den Mund. Besonders deutlich wurde dies bei Schalke 04, dessen ganzes Finanzkonzept, der Vereinsführung und des Tagesgeschäfts, eine Wette auf die regelmäßige Teilnahme in der Champions League ist. Wie grotesk die finanzielle Situation beim Malocher-Club ist, sieht man daran, dass man sich auf Seiten der Vereinsführung nicht schämte, die Kumpel darum zu bitten, keine Rückerstattungen für ihre Dauerkarten angesichts von Geisterspielen geltend zu machen – und das bei einer Anhängerschaft, die sich die Dauerkarte auf Pump kauft.

Bei anderen Vereinen gab es diese Möglichkeit ebenfalls, beispielsweise bei der Frankfurter Eintracht, die ihren Dauerkartenbesitzern neben dem Verfall der Karte die Möglichkeit zur Rückerstattung bot, oder aber die Summe einer karitativen Einrichtung zu spenden. Deutliche Liquiditätsprobleme durch den Ausfall von Spieltagseinnahmen drohten, so scheint es, nur Schalke und Bremen. Dass Vereine ihre Anhänger neben Mitgliedsbeiträgen um weitere finanzielle Unterstützung bitten müssen, ist an sich nichts Neues. Allerdings vermutet man „potenziell existenzbedrohende wirtschaftliche Situationen“ eher ein paar Ligen tiefer, bei Amateur- und Halbprofi-Vereinen, und nicht bei Clubs der Bundesliga.

Viele Vereine aus der Regionalliga waren durch die Coronapandemie und die dadurch entstehenden Einnahmeausfälle vor ein großes Problem gestellt. Sie sind häufig von den Einnahmen am Spieltag abhängig. Um die Ausfälle aufzufangen, organisierten Vereine und Fanszenen verschiedene Spendenkonzepte. Bei der BSG Chemie Leipzig, für die gegen Ende der abgelaufenen Saison noch einige attraktive Topspiele anstanden, zum Beispiel gegen Energie Cottbus und Rot-Weiss Erfurt, organisierte man eine Spendenkampagne, um die vorhersehbaren, in den Jahreseinnahmen fehlenden 80 000 Euro aufzufangen.

Letztlich kamen fast 180 000 Euro zusammen. Dabei waren es nicht nur treue Fans der Chemiker, die die Unterstützerpakete kauften. In der online abrufbaren Spendenliste konnte man sehen, dass Fußballfans aus der ganzen Republik die Pakete, bestehend aus einem Schal, Urkunde und namentlicher Nennung kauften. Allen voran lagen die Freunde von der Eintracht, aber auch allerlei andere Fans, denen das Überleben des sächsischen Vereins am Herzen lag. Selbst ein paar Verrückte aus Probstheida fanden sich unter den Spendern. Sportliche Rivalität hin oder her.

Der benachbarte Konkurrent musste in den letzten Monaten ebenfalls harte finanzielle Einbußen hinnehmen. Zunächst wurde dem 1. FC Lokomotive Leipzig nach Abbruch der Saison per Quotientenregel am grünen Tisch zum Meister erklärt. Als solcher musste der Verein noch zwei Aufstiegsspiele gegen den SC Verl absolvieren, die als Geisterspiele ausgetragen wurden. Es darf gemutmaßt werden, dass Lok durch das fehlende Publikum den größeren Nachteil hatte. Noch bitterer war jedoch das Ergebnis: ausgerechnet die durch den Zuschauerausschluss im Grunde obsolet gewordene Auswärtstorregel entschied am Ende für die Ostwestfalen.

Wäre der Aufstieg gelungen, hätte Lok nicht nur TV-Gelder, sondern auch Coronahilfe vom Bund erhalten, die nur bis in die 3. Liga gezahlt wird. So musste der Club einmal mehr auf Kreativität und die Unterstützung seines treuen Anhangs setzen. Bei besagten Aufstiegsspielen konnten die Fans ihre Mannschaft mit kleinen Glücksschweinen unterstützen, die dann im Bruno-Plache-Stadion auf die Zuschauerplätze gestellt und zum Rückspiel nach Verl mitgenommen wurden. Die kleinen Figuren bezeichnete man übrigens selbstironisch als „Club-Schweine“ - eigentlich die übliche Beschimpfung für Lok-Fans durch Anhänger ihres Stadtrivalen.

Die zweite große Aktion, die auch überregional Schlagzeilen machte, war ein Geisterspiel gegen einen unsichtbaren Gegner. Erklärtes Ziel war es, den Zuschauerrekord vom Europapokal-Halbfinale 1987 gegen Girondins Bordeaux von 120 000 zu knacken. Dieser wurde weit übertroffen. Mit genau 182 612 Tickets zu je einem Euro wurde sogar der europäische Zuschauerrekord geknackt. Aufgestellt wurde dieser 1937 im Hampden Park in Glasgow: 149 547 Zuschauer sahen damals die Partie Schottland gegen England.

Zusätzlich spendeten Fans ihre bereits erworbenen Tickets und Dauerkarten dem Verein. Seit Beginn der neuen Spielzeit wird dazu aufgerufen, Jahreskarten zu kaufen, und zwar unabhängig davon, ob man Spiele auch besuchen kann. Dabei wird ausdrücklich darum gebeten, dies auch für Freunde mit weniger finanziellen Mitteln zu übernehmen. Ein paar Kilometer weiter, in Leutsch, rief die Fanszene dazu auf, Dauerkarten auf jeden Fall zu kaufen, da ein Verein wie die BSG von diesen Einnahmen substanziell abhängig sei. In der Folge wurden so viel Dauerkarten wie noch nie verkauft. Zwei Lichtblicke angesichts der Tatsache, dass die derzeitige Lage alles andere als normal ist und man nur eines wissen kann: Nichts ist sicher. Besonders bitter ist diese Nachricht für ambitionierte Traditionsclubs mit klammen Finanzen, die im Amateurbereich festhängen – und für Schalke 04.