Mittwoch, 14.10.2020 / 17:03 Uhr

Die alte neue Seltsamkeit

Von
Picke Grätsche Aus
Das "Zoschke", die Heimstätte des SV Lichtenberg 47

Das "Zoschke", die Heimstätte des SV Lichtenberg 47

Bild:
instagram.com/picke.graetsche.aus

Die Regionalligisten Lichtenberg 47 und Tennis Borussia Berlin treffen sich im Pokal und die Fans rätseln, wie lange sie Corona zum Trotz noch ins Stadion dürfen.

„Wie lange geht das noch gut?”, fragt ein Mann mittleren Alters mit Lichtenberg-Schal einen anderen Mann hohen Alters ohne Schal und meint damit den semi-professionellen Fussball vor Zuschauern im Kontext einer nicht enden wollenden Pandemie.

„Dit geht gut, so lange dit mit Corona nicht schlecht geht” Die Antwort überzeugt den ersten Mann nicht. „Dit mit Corona geht aber nicht gut, haste nicht die Infektionszahlen jesehen? Höher denn je!”

Unterdessen sind sie fast am Kartenhäuschen angekommen. „Lass mich mit den Zahlen in Ruhe, Erbsenzählerei, der Ball soll rollen und ich will zukiecken, hier ist noch keener jestorben.”

Wo ist hier? Lichtenberg 47 empfängt Tennis Borussia in der 2. Berliner Pokalrunde. Regionalligist gegen Regionalligist, ein Spitzenspiel vor 603 ZuschauerInnen. Der ehemalige Paul-Rusch-Pokal, der mittlerweile wenig schillernd AOK-Pokal heißt, erfreut sich wachsender Beliebtheit, weil die Prämien für die letzten Runden hoch geschraubt wurden. Dies ist insbesondere in Zeiten von drohenden Geisterspielen, abgebrochenen Rückrunden und somit leeren Kassen eine besonders attraktive und populäre Maßnahme.

Der ältere Mann ohne Schal meint mit „hier” wohl auch die Mannschaft, die Zuschauer und den Verein. In der Tat, während die Regionalliga-Saison bis dato kaum von Spielabbrüchen unterbrochen war, wurden zahlreiche Partien der zweiten Pokalrunde wegen Corona-Infektionen von Spielern, Betreuern, aber auch wegen mangelnder Hygienekonzepte, nicht angepfiffen. Während das vor allem Vereine unterhalb der Oberliga traf, blicken aber auch Vereine aus der Regional- und Oberliga mit Sorge auf die nächsten Wochen und Monate. Die Infektionszahlen steigen und insbesondere Berlin wankte in den vergangenen Tagen von einer roten Corona-Warnampel zur nächsten. Am 10. Oktober, dem Tag des Spiels Lichtenberg 47 gegen Tennis Borussia, wurden in Berlin zahlreiche regulative Maßnahmen aktiviert, die vor allem das Nachtleben und Zusammentreffen größere Gruppen regulieren. Noch sind Zuschauer zum Fußball zugelassen, aber wie lange noch?

Da die meisten Regionalliga-Partien keine Auswärtsfans erlauben, ruhen die Hoffnungen der TeBe-Fans nunmehr auf den Heim- und Auswärtsspielen gegen Berliner Vereine, wie etwa das besagte Pokalspiel. Während Tennis Borussia die Woche davor gegen Union Fürstenwalde das beste Spiel in dieser noch jungen Regionalliga-Saison absolvierte, neutralisierten sich Lichtenberg und Tennis Borussia in den ersten 45 Minuten. Die einzige spektakuläre Szene in der ersten Halbzeit kam von TeBe-Keeper Ertugrul Aktas, der mit zweitligareifen Reflexen die einzige hochkarätige Chance von Lichtenberg abwehrte. Obwohl Lichtenberg in der zweiten Halbzeit in Führung ging, gewann Tennis Borussia nach einem schönen Lauf von Rudolf Ndualu und einem Abprallertor von Maximilian Steinbauer mit 2:1.

Dass Tennis Borussia als Sieger vom Platz ging, lag einerseits daran, dass Aktas auch in der zweiten Halbzeit im Eins-gegen-eins die Lichtenberger Stürmer mehrmals zum Verzweifeln brachte und den internen Wettkampf mit Jens Fikisi damit weiter am Leben hält, und andererseits an dem positiven Teamspirit, der trotz knapper Niederlagen in Babelsberg und dem Rückstand gegen Lichtenberg die Mannschaft nach vorne treibt.

Verantwortlich dafür ist Trainer Markus Zschiesche, dessen Einfluss nun immer besser erkennbar wird. Sein Coaching während des Spiels ist gerade in kleineren Stadien mindestens genauso interessant wie das Spiel auf dem Platz. Permanent gibt Zschiesche vor, wo der Ball hingespielt werden soll, nimmt sich einzelne Spieler raus, kommentiert ihr Stellungsspiel, ihre Laufwege, schlägt auf das Trainerhaus ein, nimmt sich Linienrichter, Schiedsrichter und den gegnerischen Trainer zur Brust und schreit, was die Stimmbänder hergeben.

Erwähnenswert ist dieses Engagement insbesondere deswegen, weil sich die Spieler daranhalten. Wenn Zschiesche ruft „jetzt diagonal passen!”, dann wird diagonal gepasst, wenn er ruft „jetzt kein Foul spielen”, oder „den Ball halten”, setzen seine Spieler genau das in dem Moment um. Die Verbindung stimmt momentan zwischen Mannschaft und Trainer, zum Leidwesen von Lichtenberg. Das Ergebnis wird die beiden älteren Herren nicht zufrieden gestimmt haben, aber vielleicht können sie ja zum nächsten Heimspiel wiederkommen, so lange noch „keener jestorben” ist.