Ein Putsch, gar Coup in Washington?

War das ein Putsch oder gar Coup, wie viele die gestrigen Ereignisse nennen?

Wenn, dann war das noch größerer Pfusch als Ding in der Türkei 2016. Und Coups werden normalerweise nicht vom obersten Repräsentanten einer Regierung, sondern gegen ihn organisiert. Sie zeichneten sich bislang auch dadurch aus, dass viel Militär und Sicherheitskräfte in der Hauptstadt aufmarschieren, nicht durch ihre verblüffende Abwesenheit.

Mit den Bildern, die man bisher mit den Worten Putsch oder Coup assoziierte, hatte das Spektakel gestern recht wenig zu tun, was es nicht weniger gruselig machte. Es erinnerte eher an Szenen, die aus der Antike beschrieben wurden, wenn Barbarenhorden römische Städte stürmten und plünderten – zum Teil stimmte ja auch die Kostümierung, ebenso wie die Missachtung der Herrschaftsinsignien, die der Mob so überzeugend demonstrierte. So in etwas muss es auch ausgesehen haben, wenn Germanenhäuptlinge die Paläste römischer Privinzgouverneure plünderten.

Deshalb auch das Karnevaleske, Ausgelassene des Ganzen, dem so völlig der Ernst in den Gesichtern wirklich Putschisten fehlte, die ja später erklären müssen, sie hätten aus einer Not heraus gehandelt, um Vaterland oder was auch immer zu retten. Gestern wohnten wir einer großen Party bei, auf die sich diese Leute seit Wochen schon freuten, so wie sich Germanen darauf freuten, die römischen Städte zu plündern und in Brand zu setzen, die sie zuvor belagert hatten.

Hier ging es ganz offensichtlich auch gar nicht darum, "herrschende Eliten" auszutauschen oder ein neues System zu installieren. Welches auch? Letztlich war das alles viel bedrohlicher. Washington wurde als zweites Rom gebaut, deshalb heißt der Senat auch Senat.

Umso mehr erinnern diese Bilder an das Ende der römischen Reichs und Bret Stephens hat Recht, wenn er in der  New York Times von einem „westgotischen Sturm“ spricht. Das passt viel besser und wird dem Ausmaß dessen, was man gestern live verfolgen konnte, auch viel eher gerecht.

Das waren Szenen der Barbarei und sollten es auch sein, sie waren als solche inszeniert. Und so werden sie erinnert werden. Es war kein Angriff auf eine gerade herrschende Schicht oder Klasse, wie dies bei einem Putsch der Fall ist, sondern auf das ganze System, ohne dass es auch nur in Ansätzen um irgend eine Alternative zum Bestehenden gegangen wäre.

Die Typen, die mit Pelzmützen und nacktem Oberkörper im Senatssaal randalierten, erinnerten zurecht an irgendwelche Hunnen oder Skythen, vor denen die Bürger des weströmischen Reich in seiner Endphase zitterten.

Die Barbarei ist immer Teil der Zivilisation und nun auch Moderne gewesen, nicht, wie so gerne getan wird, ihr Gegensatz, solange Verhältnisse herrschen, wie die, die herrschen. Trump und seine Anhänger haben sie gestern so sichtbar gemacht, wie seit langem nicht mehr, und eigentlich müsste man ihnen dafür dankbar sein.

Eine Rückkehr zu dem, was vorher war, heißt nicht diese Barbarei zu besiegen, sondern sie nur wieder weniger sichtbar zu machen. Die Typen gestern sahen zu 85 Prozent wie ganz normale US-Bürger aus, waren es vermutlich auch, der Rest nur benahm sich wie eine Horde Barbaren. Dass sie meist so völlig normal aussahen mit ihren Fahnen und Mützen, ihren Verschwörungstheorien und ihren Ideen, sie müssten etwas ganz großes leisten, seien da auf einer historischen Mission, ist das eigentlich Erschreckende.

Gestern also kam etwas überdeutlich zur Erscheinung, was der Betrieb normalerweise versucht, als sein Geheimnis zu bewahren. Da es Teil des Betriebs ist, sozusagen seine dunkle, verleugnete Seite (und auch zu römischen Zeiten schon war, denn ohne Barbaren in der eigenen Armee hätte das römische Reich seine Zivilisation nie so lange gegen andere Barbaren verteidigen können), wird dieser Betrieb es auch nicht abschaffen können, ohne sich selbst abzuschaffen.