Thailands Verfassungsgericht verbietet die größte Oppositionspartei und setzt den Ministerpräsidenten ab

Ein turbulenter Monat

In Thailand wurde die führende Oppositionspartei verboten, hat sich aber bereits neu formiert. Kurz darauf wurde der Ministerpräsident entlassen und schnell ersetzt – durch die jüngste Tochter einer mächtigen Familie.

Als doppelter Erfolg des erzkonservativen thailändischen Establishments sind zwei Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs eingestuft worden, die erneut schwere innenpolitische Konflikte ausgelöst haben. Am 7. August hatten die Richter des Verfassungsgerichts einmütig die Auflösung der oppositionellen Move Forward Party (MFP) verfügt.

Am 14. August beschlossen sie, diesmal allerdings nur mit einer Mehrheit von fünf zu vier Stimmen, Ministerpräsident Srettha Thavisin von der Pheu Thai Party (PT) abzusetzen, der erst im August vergangenen Jahres vom Parlament gewählt worden war. Das Verfahren gegen ihn hatte eine Gruppe früherer Senatoren angestrengt, die einst noch von der Militärführung ernannt worden waren. Nur zwei Tage nach Sretthas Absetzung wurde die PT-Vorsitzende Paetongtarn Shinawatra ohne Gegenkandidaten mit großer Mehrheit zur Ministerpräsidentin gewählt.

Versuche, die Anwendung des Gesetzes gegen Majestäts­beleidigung zu beschränken und das Strafmaß zu senken, scheinen sich auf absehbare Zeit erledigt zu haben.

Für das linksliberale Lager und die Demokratiebewegung im Königreich ist das Verbot der MFP ein schwerer Schlag. Mehrere führende Funktionäre, darunter der populäre ehemalige Vorsitzende Pita Limjaroenrat, wurden zudem mit einem zehnjährigen Politikverbot belegt. Sie können in dieser Zeit nicht mehr zu Wahlen antreten und dürfen auch keine Parteiämter bekleiden. Schon am 31. Januar hatten die Verfassungsrichter der MFP Kampagnen für eine Abschaffung oder auch nur Abmilderung des umstrittenen Artikels 112 im Strafrecht untersagt. Die Reform dieses ­Artikels, der die Beleidigung des Monarchen oder der Monarchie (Majestätsbeleidigung) mit bis zu 15 Jahren Haftstrafe belegt, war eines der wichtigsten Vorhaben der Partei.

Die MFP hatte daraufhin das Reformvorhaben aufgegeben und aus dem Parteiprogramm gestrichen. Das reichte im Hauptverfahren wegen des Vorwurfs, mit solchen Vorstößen die kon­stitutionelle Monarchie untergraben zu wollen, nicht aus, um das Verbot abzuwenden. Die höchste juristische Instanz hat Artikel 112 somit gewissermaßen für sakrosankt erklärt. Versuche, wenigstens seine Anwendung zu beschränken und das Strafmaß zu senken, scheinen sich damit auf absehbare Zeit erledigt zu haben.

Forderungen vieler junger Thailänder nach Entmachtung des Establishments

Dass die Gerichtsentscheidung für die MFP-Führung keineswegs unerwartet kam, zeigt das Tempo, in dem sich die Partei neu formiert. Die MFP war aus Future Forward Party (FFP) hervorgegangen, die 2020 gegründet und zwei Jahre darauf verboten worden war. Daraus zog die neue Partei ihre Lehren. Alle bisherigen Abgeordneten, die nicht infolge des im Urteil verhängten Verbots politischer Betätigung ihre Mandate eingebüßt haben, sind in die neu gegründete Volkspartei (PP) ein­getreten, trotz starker Abwerbeversuche anderer Parteien, bei denen ihnen auch Geld und Posten angeboten wurden. Bereits zwei Tage nach dem Urteil war die Gründung vollzogen, inzwischen ist die PP in allen Provinzen mit einem Regionalbüro präsent, wie es verfassungsmäßig für die Registrierung als Partei vorgeschrieben ist.

Parteivorsitzender ist der Informatiker Natthaphong Ruengpanyawut, der die Online-Auftritte der FFP verantwortet hatte und 2023 über die Parteiliste der MFP ins Parlament eingezogen war. Er verkörpert das, was einen Großteil des Führungspersonals von FFP, MFP und PP ausmacht: Es sind gut ausgebildete jüngere Politiker, die sich die Forderungen vieler junger Thailänder nach Entmachtung des Establishments sowie nach Kampf gegen Korruption und Klientelismus zu eigen gemacht haben.

Bei der Parlamentswahl 2023 war auch die lange als Favoritin gehandelte, am Ende zweitplatzierte PT mit ähnlich klingenden Forderungen angetreten. Die Partei wollte nach der Wahl mit einem halben Dutzend Kleinparteien und der MFP eine reformorientierte Koalition bilden. Am Ende kam es aber nicht dazu, weil der erzkonservative Senat, das Oberhaus der Nationalversammlung, dem Kandidaten der angestrebten Koalition für das Amt des Ministerpräsidenten, Pita, die Zustimmung verweigerte.

Bündnis mit konservativen Partnern

Daraufhin schmiedete die PT ein Bündnis mit konservativen Partnern. Dar­unter sind die Parteien der Anführer des Putsches von 2014, bei dem der spätere Ministerpräsident, General Prayut Chan-o-cha, mit seiner Militärjunta die demokratische Regierung von Yingluck Shinawatra (PT) entmachtet hatte. Die jüngere Schwester des 2006 ebenfalls durch einen Putsch abgesetzten Thaksin Shinawatra war die erste Frau auf dem Ministerpräsidentenposten.

Seit wenigen Tagen ist nun Thaksins jüngste Tochter Paetongtarn Shina­watra Ministerpräsidentin, obwohl die 38jährige nicht im Parlament sitzt. Im Oktober 2023 wurde sie zur PT-Vorsitzenden gewählt, zuvor hatte sie noch nie ein Amt inne. 2023 hatte man sich bei der Regierungsbildung unter Führung der PT zunächst für den 62jährigen Srettha entschieden. Der war ein politischer Quereinsteiger, er hatte einen der größten Immobilienkonzerne des Landes geleitet.

Zum Ende seiner kurzen Amtszeit führte seine Ernennung des Anwalts Pichit Chuenban zum Minister. Der saß wegen nie bewiesener Bestechungsvorwürfe 2008 sechs Monate in Haft. Das Verfassungsgericht entließ Srettha nun mit der Begründung, dass Pichits Ernennung nicht den strengen moralischen und ethischen Standards des Landes entspreche.

Die große Frage ist, wie eigenständig Paetongtarn, die personell weitgehend an Srettha und sein Kabinett anknüpfen will, in Zukunft agieren wird.

Seine Abberufung machte den Weg frei für Paetongtarn. Damit ist nun die im Land umstrittenste Familie wieder an der Macht. Thaksin, erst voriges Jahr aus langjährigem Exil heimgekehrt, hat am Tag der Vereidigung seiner Tochter die finale Begnadigung von seiner einst verhängten Haftstrafe erhalten. Die große Frage ist, wie eigenständig Paetongtarn, die personell weitgehend an Srettha und sein Kabinett anknüpfen will, in Zukunft agieren wird.

Der Singapurer Nachrichtenkanal Channel News Asia zitierte Somchai Srisuthiya­korn, der einst die Wahlkommission leitete, mit der Einschätzung, sie sei »die am wenigsten qualifizierte Vertreterin der Familie«. Schwerpunkt der neuen Regierung dürfte das Bemühen sein, die schwächelnde Wirtschaft zu fördern. Weitgehende politische Reformen hingegen dürften auch vor dem Hintergrund der jüngsten Gerichtsurteile vorerst nicht zu erwarten sein.