Thailands Ministerpräsident Srettha Thavisin wird von Senatoren verklagt

Botschaft an die graue Eminenz

Thailands Ministerpräsident Srettha Thavisin könnte aufgrund einer Klage konservativer Senatoren beim Verfassungsgericht sein Amt verlieren.

Thailand könnte innenpolitisch erneut eine unruhige Zeit bevorstehen. Denn womöglich geht es nun Ministerpräsident Srettha Thavisin juristisch an den Kragen. Am 23. Mai ließ das Verfassungsgericht eine Klage von 40 Mitgliedern des mehrheitlich erzkonservativen Senats, dessen ernannte Mitglieder den Streitkräften loyal ergeben sind, zur Verhandlung zu. Sie werfen Srettha vor, mit der Ernennung eines Politikers seiner Pheu Thai Party (PT) zum Minister gegen geltende Vorschriften verstoßen zu haben, weil dieser eine Straftat begangen hat. Im schlimmsten Fall könnte Thavisin dies nach erst wenigen Monaten sein Amt kosten.

Dass die Richter ihn nicht sofort suspendierten, gibt ihm und vielen anderen in der Partei jedoch Hoffnung, dass er seine drohende Absetzung mit einer soliden Verteidigung noch abwenden kann. Ebenfalls positiv mag wirken, dass Phichit Chuenban, dessen Ernennung zum Stabschef des Ministerpräsidenten im Ministerrang (dem deutschen Kanzleramtsminister entsprechend) die Kontroverse ausgelöst hatte, bereits zurückgetreten ist.

Phichit war einst zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, weil er Mitarbeiter des Obersten Gerichtshofs zu bestechen versucht hatte. Der Fall datiert von 2008, damals war er einer der Anwälte des Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra. Der milli­ardenschwere Geschäftsmann und Populist, der 2006 bei einem der häufigen Militärputsche gestürzt worden war, ist bis heute die Persönlichkeit, die das südostasiatische Land am stärksten polarisiert.

Voriges Jahr nach langem Exil heimgekehrt, wurde seine achtjährige Haftstrafe zunächst auf ein Jahr reduziert. Nach sechs Monaten in einem Polizeikrankenhaus wurde Thaksin, der noch immer als graue Eminenz der inzwischen von seiner Tochter Paetongtarn Shinawatra geführten PT gilt, begnadigt.

Gerichtsurteile, die Parteien verbieten und damit Regierungen stürzen, sind in Thailand keine Seltenheit.

Viele sehen die Klage gegen Srettha wegen der sogenannten Phichit-Affäre denn auch eher als Warnsignal der ­Ultrakonservativen an ihren Erzfeind. »Diese Gruppe von Senatoren will eine Botschaft an Thaksin senden«, wurde Stithorn Thananithichot, Direktor des Office of Innovation for Democracy am King Prajad­hi­pok’s Institute, in der Tageszeitung Bangkok Post zitiert. Es ist sogar möglich, dass es am Ende der Affäre um die Zwangsauflösung der PT gehen könnte. Die Partei wurde bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus vor einem Jahr zweitstärkste Kraft. Die Mitglieder des Oberhauses, des Senats, werden hingegen überwiegend von der Militärführung bestimmt.

Falls der Senat als konservatives Korrektiv nicht genügt: Gerichtsurteile, die Parteien verbieten und damit Regierungen stürzen, sind in Thailand keine Seltenheit. Unter anderem traf es die einst von Thaksin gegründete Thai Rak Thai (TRT) und ihre unmittelbare Nachfolgerin People Power Party (PPP). Der PT, die dieses politische Erbe angetreten hat, ließe sich ein Strick daraus drehen, dass sich Srettha vor der Ernennung Phichits gleich dreimal mit Thaksin getroffen haben soll. Dies könnte vor Gericht den Vorwurf einer unzulässigen Einflussnahme des ehemaligen Ministerpräsidenten untermauern, der sich selbst einem Verfahren wegen Majestätsbeleidigung stellen muss. Srettha hat vorige Woche den renommierten Juristen und ehemaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten Wissanu Krea­ngam zum juristischen Berater ernannt – dieser verneinte aber, dass es dabei speziell um die Verteidigung seines neuen Vorgesetzten im Prozess vor dem Verfassungsgericht gehe.

In einer von der nationalen Statistikbehörde (NSOT) in Auftrag gegebenen Umfrage zum ersten halben Regierungs­jahr der von der PT geführten Mehrparteienkoalition, durchgeführt Ende April bis Mitte Mai, hatten sich laut NSOT-Direktorin Piyanuch Wuttisorn 44,3 Prozent der knapp 7.000 repräsentativ Befragten sogar »sehr zufrieden« geäußert. Nur 14,1 Prozent stellten Srettha und seinem Team explizit ein schlechtes Zeugnis aus. Vor allem kommt mit 68,4 Prozent Zustimmung der Ausbau der Gesundheitsversorgung gut an.

Es war einst Thaksin, der armen Thais für einen geringen Monatsbetrag von 30 Baht (derzeit knapp 80 Cent) erstmals eine bezahlbare Basiskrankenversicherung verschafft hatte. Die der­zeitige Regierung will nicht nur deren Versicherungsleistungen ausweiten, sondern auch den Gesundheitssektor zum Beispiel mit mehr Klinikpersonal in den 77 Provinzen ausbauen. Ein Schuldenmoratorium für Bauern (38,9 Prozent) und Fördermaßnahmen für den ökonomisch besonders bedeutsamen Tourismussektor (33,1 Prozent) wurden in der Umfrage als zweit- und drittwichtigste Punkte genannt.

Während Thaksin Shinawatras Tochter und PT-Vorsitzende Paetongtarn dem Wirtschaftsblatt The Nation sagte, sie sei im Falle einer Absetzung ­Sretthas noch nicht bereit für die Übernahme des Amts, hat für den Fall der Fälle schon ein anderer Ansprüche angemeldet: Er stünde bereit, ließ Pita Limjaroenrat, der Wahlsieger von 2023, wissen. Er war der Spitzenkandidat der derzeit oppositionellen linksliberalen Move Forward Party (MFP), die mit rund 38 Prozent deutlich mehr Stimmen als die PT (29 Prozent) gewonnen hatte und eigentlich mit dieser und mehreren Kleinparteien eine progressive Koalition statt des jetzigen Mitte-rechts-Bündnisses bilden wollte. Pita scheiterte aber schon im ersten Anlauf der Ernennung zum Ministerpräsidenten am konservativ dominierten Senat und verlor zeitweise auch noch sein Parlamentsmandat. Bei einer Neuwahl zum jetzigen Zeitpunkt könnte die MFP laut Umfragen sogar noch deutlicher vorn liegen – doch auch ihr droht die Auf­lösung, weil ihr vorgeworfen wird, die konstitutionelle Monarchie in Frage zu stellen.

Derweil untersuchen die Behörden den Tod einer prominenten Oppositionellen. Die 28jährige Netiporn »Bung« Sanesangkhom – eine Anführerin der studentischen Proteste 2020 – war nach Komplikationen infolge eines 110tägigen Hungerstreiks gestorben. Sie saß wegen angeblicher Majestätsbeleidigung in Untersuchungshaft.