Spezielle S­portarten haben für den irischen Nationalismus eine wichtige Rolle gespielt

Gegen Soccer und andere englische Einflüsse

Um den kulturellen Einfluss Englands zurückzudrängen, haben irische Nationalisten stets traditionelle Sportarten wie Hurling und Gaelic Football gefördert.

Die All-Ireland-Finals im Hurling (bei den Frauen heißt diese Disziplin Camogie) und Gaelic Football gehören zu den Höhepunkten des irischen Sportkalenders. Ausgetragen werden sie im Dubliner Croke Park – mit einem Fassungsvermögen von 82.500 eine der größten Sportarenen ­Europas.
Gaelic Football wird – wie Rugby – mit Hand und Fuß gespielt: Die Tore stellen eine Kombination aus den im Fußball und Rugby üblichen dar. Wird der Ball über die Torlatte durch die nach oben verlängerten Pfosten geschossen, zählt dies ­einen Punkt. Landet er unterhalb der Querlatte in dem von einem Torhüter gesicherten Bereich, der ­einem Fußballtor entspricht, gibt es drei Punkte. Die gleichen Regeln gelten auch für Hurling, das allerdings mit einem Holzschläger (Hurley) und einem Ball gespielt wird, der in etwa die Größe eines Tennisballs besitzt.

Zuständig für die Betreuung und Förderung dieser traditionellen irischen Sportarten ist die gesamtirisch organisierte Gaelic Athletic Association (GAA) – der größte und mächtigste Sportverband auf der irischen Insel; in Nordirland sind seine Veranstaltungen allerdings nicht ganz so beliebt wie in der Republik.

Elemente des englischen »Muskel-Christentums«, das den sportlich getrimmten Körper und Charakter zur Waffe im Kampf gegen den sittlichen Verfall verklärte, prägten auch die »gälische« Sportideologie. Die Gründung der GAA und die Kodifizierung der Gaelic Games war so­mit die irische Variante eines Prozesses, der von England ausging.

Gegründet wurde die GAA 1884 in Thurles (Grafschaft Tipperary). Die Re­vitalisierung und Popularisierung der gälischen Sportarten sollte den kulturellen Einfluss Englands zurückdrängen und das Selbstbewusstsein der eigenen Nation wecken. Allerdings hatten die Gaelic Games ihre Ausbreitung auch der englischen »athletischen Revolution« zu verdanken, also der Verbreitung von Breiten- und Profisport, im Zuge deren dem Sport eine größere gesellschaftliche Bedeutung verliehen wurde. Elemente des englischen »Muskel-Christentums«, das den sportlich getrimmten Körper und Charakter zur Waffe im Kampf gegen den sittlichen Verfall verklärte, prägten auch die »gälische« Sportideologie. Die Gründung der GAA und die Kodifizierung der Gaelic Games war so­mit die irische Variante eines Prozesses, der von England ausging.

Hauptinitiator der Gründung war Michael Cusack, der, obwohl überzeugter Nationalist, durchaus anglophil war. So spielte er Cricket und Rugby. Aber die englischen Spiele waren in Irland eine elitäre Angelegenheit, zu der einfache Iren keinen Zugang besaßen, jedenfalls nicht im Rahmen der etablierten Clubs. Auch der Besuch dieser Veranstaltungen war für die irische Arbeiter­klasse schwierig; sie fanden meist am Samstag, einem regulären Arbeitstag, statt.

Gesamtes nationalistisches Lager Irlands vertreten

Politisch war Cusack eher unbedarft, anders als andere Gründungsväter – zwei der sieben GAA-Begründer gehörten dem radikalen und militanten Geheimbund Irish Re­publican Brotherhood (IRB) an, einem Vorläufer der IRA. Schirmherren der GAA waren der katholische Erz­bischof von Cashel and Emly, Thomas Croke, Charles Stewart Parnell von der Irish Parliamentary Party (IPP), der Sozialrevolutionär und Land-League-Führer Michael Davitt sowie John O’Leary von der IRB. Damit war das gesamte nationalistische Lager Irlands vertreten.

Der nationalistische Charakter der GAA fand auch Eingang in die Charta der Organisation, in der die Stärkung der sogenannten nationalen Identität in den 32 Grafschaften Irlands durch Bewahrung und Förderung der Gaelic Games propagiert wurde. Zusätzliche Regeln untersagten die Mitgliedschaft von Ange­hörigen der britischen Armee und Kolonialpolizei sowie die Beteiligung an und Förderung von Sportarten der englischen Kolonialisten wie Fußball oder Rugby.

Unter den später hingerichteten Anführern des Osteraufstands gegen die britischen Kolonialherren von 1916 waren einige an der GAA beteiligt gewesen, wie etwa John MacBride. Die dem Aufstand folgende Verhaftungs- und Internierungswelle betraf zahlreiche GAA-Sportler. 1916 musste das Endspiel eines Turniers zwischen den Auswahlmannschaften der Grafschaften Kerry und Louth in einem walisischen Gefangenenlager ausgetragen werden.

Nachdem das Spiel bereits begonnen hatte, kletterten Soldaten der berüchtigten Black and Tans die Stadionmauern hoch und schossen in die Menge. 14 Menschen wurden getötet, darunter auch der Kapitän des Tipperary-Teams und drei Kinder.

Wie sehr die Briten der GAA misstrauten, zeigte sich in brutaler Weise am 20. November 1920. Die IRA focht zu dieser Zeit einen blutigen Guerillakrieg gegen die britische Besatzungsmacht, und die GAA sah sich zur Einstellung ihrer sportlichen Aktivitäten genötigt. Das Team von Tipperary wollte trotzdem gegen Dublin spielen. Die Begegnung lockte 10. 000 Menschen in den Croke Park.

Nachdem das Spiel bereits begonnen hatte, kletterten Soldaten der berüchtigten Black and Tans die Stadionmauern hoch und schossen in die Menge. 14 Menschen wurden getötet, darunter auch der Kapitän des Tipperary-Teams und drei Kinder. Das Massaker ging als »Bloody Sunday« in die GAA-Annalen ein – nicht zu verwechseln mit dem zweiten »Bloody Sunday«, der sich 1972 in Derry ereignete, als britische Fallschirmjäger 13 Demonstranten massakrierten.

Nach der irischen Teilung und Gründung des Irish Free State 1922 (seit 1937 Republik Irland) avancierte die GAA zu einem wichtigen Bestandteil des jungen Staats. Der GAA fiel die Aufgabe zu, diesen mit Symbolen auszustatten.

Konkurrenz durch die irische Fußballnationalelf

Ende der achtziger Jahre bekamen die Gaelic Games Konkurrenz durch die irische Fußballnationalelf. Für diese spielten mit dem legendären Keeper Pat Bonner, Kevin Moran, Neill Quinn und Frank Stapleton auch ehemalige GAA-Fußballer – die GAA hatte bereits 1971 ihr Soccer-Verbot aufgehoben.

Fußball wurde nun zu ­einer anerkannten Ausdrucksform der sogenannten nationalen Identität. Das »Spiel der Kolonialisten« repräsentierte eine modernere Variante von Nationalismus und schloss auch die irische Diaspora mit ein. Außerdem besaß Soccer gegenüber den Gaelic Games den Vorteil eines Weltspiels: Man konnte sich mit anderen Nationen messen und sich als irische Mannschaft auch auf der internationalen Bühne feiern.

Die Modernisierung der südirischen Gesellschaft, mit dem Resultat eines größeren kulturellen Pluralismus machte vor der GAA nicht halt. Die Gaelic Games sind heutzutage ein professionell betriebenes Business. Katholisch-nationalistische Puristen, die Soccer noch immer als »englisch« und »fremd« denunzieren, findet man nur noch in entlegenen ländlichen Regionen. Auch spielen immer mehr Frauen Gaelic Football und Hurling. Ladies Gaelic Football findet in Kontinentaleuropa immer mehr Anhängerinnen. Die 1974 gegründete Ladies ­Gaelic Football Association zählt über 1.000 Clubs in Irland.
Die Bedingungen, unter denen die Gaelic Games in Nordirland betrieben werden, unterscheiden sich fundamental von denen in der Republik. Während im Süden die GAA sehr staatsnah ist, steht die GAA im Norden für eine Gegenkultur und eine andere Staatsvorstellung.

GAA angelich der sportliche Arm der IRA

Dies galt vor allem in den Jahren des Bürgerkriegs (1969 – 1998), den sogenannten Troubles. Für die Unionisten und Loyalisten war die GAA der sportliche Arm der Irish Republican Army (IRA), die sich eine blutige Auseinandersetzung mit der britischen Armee, der zu über 90 Prozent protestantischen Polizei und loyalistischen Paramilitärs lieferte. Jede neue GAA-Anlage galt als Beleg für den territorialen Expansionismus der katholischen und nationalistischen Minderheit und als Angriff auf den protestantischen und unionistischen Charakter der britischen Provinz. Spielfelder wurden mit Glasscherben übersät, Torpfosten gekappt, Clubhäuser niedergebrannt oder sogar -gebombt. 156 GAA-Mitglieder kamen während der »Troubles« ums Leben.

Der Club, der in Nordirland unter den »Troubles« am meisten zu leiden hatte, waren die Crossmaglen Rangers, die zu den besten Adressen im Gaelic Football gehören. Sechsmal wurden sie gesamtirischer Meister, neunmal Champion der Provinz Ulster.

Eine der größten Sportarenen Europas: das Croke-Park-Stadion heute

Eine der größten Sportarenen Europas: das Croke-Park-Stadion heute

Bild:
Dietrich Schulze-Marmeling

Crossmaglen, ein Dorf mit gut 1.500 Einwohnern, liegt in South Armagh und nur einen Steinwurf von der Grenze zur Republik entfernt. Während des Bürgerkriegs avancierte das Gebiet zu einer Hochburg der IRA. 182 Soldaten und Polizisten fielen hier Angriffen der IRA zum Opfer, die Mehrheit von ihnen starb im Dorf selbst.

Die britische Armee konfiszierte einen Teil des Spielfelds der Rangers, um darauf einen Stützpunkt zu errichten. Zwar wurde in Crossmaglen auch fortan Gaelic Football gespielt, aber mit erheblichen Behinderungen. Tieffliegende Helikopter erzwangen Spielunterbrechungen und Mitglieder des Vereins wurden auf dem Heimweg vom Training wiederholt von Soldaten belästigt und zusammengeschlagen. 1988 sorgte der Fall des GAA-Fußballers Aiden McAnespie für Schlagzeilen. McAnespie, wohnhaft in dem Grenzdorf Aughnacloy, war auf dem Weg zu einem Spiel in der Republik, als er von ­einem britischen Soldaten erschossen wurde.

1990 erklärte die Ulster Defence Association (UDA), eine paramilitärische Truppe von Loyalisten, die gesamte nordirische GAA zum legitimen Ziel von Anschlägen.

Nach dem Friedensabkommen vom Karfreitag 1998, das den bewaffneten Konflikt beendete, entspannte sich die Lage. Die militärischen Installationen entlang der Grenze ­wurden demontiert, und die Rangers bekamen ihr Gelände zurück.

Auch sportlich ging es nun wieder bergauf für die gälischen Spiele. 1993 gewann mit Derry erstmals seit 1968 wieder eine nordirische Grafschaft das All-Ireland-Finale im Gaelic Football. Bis heute folgten sieben weitere Triumphe für den Norden.

Katholisch-nationalistische Puristen, die Soccer noch immer als »englisch« und »fremd« denunzieren, findet man nur noch in entlegenen ländlichen Regionen.

Als Indiz für die Nähe der GAA zum militanten Republikanismus strapazierten Unionisten immer wieder die »Rule 21« der GAA-Satzung. Diese untersagt nordirischen Polizisten die Mitgliedschaft in der Organisation. Während des nordirischen Friedensprozesses forderten nicht nur Unionisten, sondern auch politische Führer in der Republik ihre Abschaffung. Doch so einfach war dies nicht.

Insbesondere im Norden gab es starken Widerstand. Zunächst einmal wollte man Reformen bei der Polizei abwarten. Am 17. November 2001 war es so weit. Auf einer Konferenz der GAA beschloss eine große Mehrheit der Delegierten das Ende der »Rule 21«. Zwei Wochen zuvor war an die Stelle der Royal Ulster Constabulary (RUC) der Police Service Northern Ireland (PSNI) getreten; der PSNI war aller militärischen Aufgaben und Kompetenzen entbunden und bemühte sich um die Vergrößerung des Anteils ­katholischer Polizisten.

Die Spiele für Protestanten zugänglicher machen

Von den sechs nordirischen Grafschaften hatte allerdings nur die GAA von Down für die Abschaffung der »Rule 21« gestimmt. Aber auch die anderen fünf Grafschaften waren der Auffassung, dass sich die Situation so weit verändert hatte, dass man nur noch einen symbolischen Einwand erheben mochte. Eine Umfrage der Dubliner Sonntagszeitung Sunday Times unter nordirischen Nationalisten ergab, dass 57 Prozent die Abschaffung befürworteten.

Seither ergriff der Ulster Council der GAA eine Reihe von Initiativen, um die Spiele für Protestanten zugänglicher zu machen. Zum Beispiel die Cúchulainn-Initiative: Sie unterstützt die Bildung gemeinsamer Teams aus katholischen und protestantischen Schulkindern ohne vorherige Spielerfahrung.

Für radikale Loyalisten bleibt die GAA aber weiterhin eine feindliche Organisation. 2020 wurde im mehrheitlich protestantischen Osten Belfasts ein GAA-Club gegründet, in der Absicht, konfessionsübergreifend zu wirken. Der erste GAA-Club im Belfaster Osten (St Colmcille’s) war zu Beginn der »Troubles« aufgelöst worden.

Das Vereinsmotto von East Belfast GAA lautet »Together«, es befindet sich auf dem Clubemblem in drei Sprachen: Englisch, Irisch (»Le Chéile«) und Ulster-Schottisch (»Thegither«). Am 5. August 2020 wurde auf dem Trainingsgelände der Mannschaft ein Bombenalarm ausgelöst und Bombenexperten der Armee mussten anrücken. Dies wiederholte sich Anfang August dieses Jahrs.