Das Kunstmuseum Bochum feiert das Jubiläum des Festivals Kemnade International

Empanadas im Wasserschloss

Das Kunstmuseum Bochum feiert mit einer Ausstellung das 50. Jubiläum des Festivals Kemnade International und sucht Anschluss an aktuelle Debatten über Migration und Identität in Deutschland. Die Schau ist sehenswert, findet aber nicht immer genug Distanz zu ihrem historischen Gegenstand.

Während immer weiter neue Festivals aus dem Boden sprießen, ist mittlerweile auch ein wachsendes Interesse an ihrer Historisierung zu verzeichnen, wie beispielsweise Forschung zur »Biennalisierung der Kunst« oder zur Gründungszeit der Documenta belegen (der das Deutsche Historische Museum Berlin eine ganze Ausstellung widmete). Einem besonderen Festival des vergangenen Jahrhunderts widmet das Kunstmuseum Bochum derzeit eine Ausstellung und sucht dabei Anschluss an aktuelle Debatten über Themen wie die Mi­grationsgesellschaft.

Anlass der Ausstellung »Die Verhältnisse zum Tanzen bringen« ist das 50. Jubiläum der ersten Kemnade International. Diese wurde in ihrer Anfangszeit oft als »Ausländerfestival« bezeichnet, veranstaltet wurde sie vom Kunstmuseum Bochum zusammen mit Gruppen aus der migrantischen Selbstorganisation. Als das Bundesarbeitsministerium im November 1973 auf die Ölkrise im Zuge des Yom-Kippur-Kriegs mit dem Anwerbestopp für ausländische Arbeit­er:innen reagierte, liefen in Bochum bereits die Planungen für die erste Kemnade International. Der deutschen Mehrheitsgesellschaft sollten hier mit Musik, Tänzen und Speisen die Lebensrealität der sogenannten Gastarbeiter nähergebracht werden, die seit 1955 zum Schuften nach Westdeutschland gekommen waren. Ganz im Geiste des damals kursierenden Mottos »Kultur für alle« legte das organisatorisch federführende Kunstmuseum von Anfang nicht nur Wert auf den Besuch vermeintlich hochkulturferner Migrant:innen, sondern dezidiert auch auf ihre aktive Einbindung in der inhaltlichen Ausgestaltung.

Weil die Ausstellung den Konflikten der Bundesrepublik der Siebziger nicht nachgeht, entsteht der Eindruck, dass der Geist von Kemnade sich in einer einfachen Rechnung verdichtet: Kultur für alle plus Multikulti gleich bessere Gesellschaft.

Mit dem Haus Kemnade, einer Wasserburg im südlich von Bochum gelegenen Hattingen, war ein Veranstaltungsort gefunden. Diesen besuchten in den 20 Ausgaben des Festivals bis 2009 jeweils bis zu 100 000 Menschen. Bis heute findet die Nachfolgeveranstaltung unter dem neuem Namen Ruhr International vor der Jahrhunderthalle in Bochum statt. In der Wasserburg wurde nicht nur getanzt, gesungen und gelacht, sondern auch herzhaft geschlemmt, wie Zeitzeugenberichte und Archivmaterialien in der Ausstellung im Kunstmuseum vielfach bezeugen. Weil der erste Dönerimbiss in Deutschland erst 1970 in Berlin eröffnete, dürften viele Besuch­er:innen ihren ersten Kebab also an der Ruhr verschlungen haben.

Von solchen kulinarischen Erstkontakten erzählt im Begleitmaterial auch der chilenische Autor Pedro Holz, der seine Empanadas den reservierten Festivalbesucher:innen als »frisch gepflückte Käsepastete vom Empanadabaum aus der Wüste Atacama« feilbot. Neben Kunst und Kultur von Arbeitsmigrant:innen stand im Haus Kemnade aber auch immer politische Bildung auf dem Programm. Schon früh informierten Podiumsdiskussionen und Fachtagungen beispielsweise über die Situation zugewanderter Kinder.

Im Kunstmuseum Bochum wird zwar viel in der Vergangenheit geschwelgt, doch will man betont keine historische Ausstellung sein. Um zu beantworten, was von der Grundidee der Kemnade International heute noch übriggeblieben ist, werden auch neuere Kunstwerke, spielbare In­strumente und Videos gezeigt. Dicht am Konzept schafft dies direkt zu Beginn das Cute Community Radio. Die Radiosendergruppe für diasporische Musik lädt an einer rundum begeh- und bespielbaren Soundin­stallation in knalligem Siebziger-Orange zum gemeinsamen Samplen ein. An Dutzenden Drehknöpfen und Soundmodulen können Originalaufnahmen des Festivals von 1979 und zeitgenössische Elektrosounds gemischt werden, womit der Anspruch der Ausstellungen aufgenommen wird, Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verbinden.

So unmittelbar fügen sich zum Glück nicht alle Werke dem Konzept der Kuratorinnen Eva Busch und Özlem Arslan, weshalb auch insbesondere die Kunstwerke von damals bemerkenswert sind. So wurde Kemnade International 1975 von einer Ausstellung unter dem Titel »Gastarbeiter – Fremdarbeiter« begleitet, aus der nun Installationen von Vlassis Caniaris zu sehen sind. Sein »Mann vor Spiegel« verweist in einem beklemmenden Arrangement auf die migrantisch-proletarischen Alltags- und Wohnsituationen und unterstreicht die Ahnung, dass abseits von Festivals eher bedrückende Verhältnisse herrschten. Solche wenig wunderbaren Umstände für Arbeiterfamilien in der Zeit nach dem Ende des sogenannten Wirtschaftswunders dokumentieren auch die Sozialfotografien von Mehmet Ünal. Hoch anzurechnen ist den alten Bochumer Museumsmacher:innen, dass sie Caniaris, Ünal und andere damals schon für die eigene Sammlung ankauften.

Die stärksten Arbeiten warten am Ende des Parcours, wenn beispielsweise Pınar Öğrenci poetisch und kompromisslos Bergarbeiter- und Folklorekitsch entzaubert. Während heutzutage die gutdotierten Enkel der Arbeitsmigranten des FC Schalke 04 durch die Attrappe eines Bergwerksstollens zum Feld traben und die Fans dazu das Steigerlied anstimmen, bietet Öğrenci eine nachdenkliche, mehrstimmige und ambivalente Interpretation der Bergarbeiterhymne. Auch in einem Video stellt sich die Künstlerin gegen ignorante Ruhrpott-Romantik und widmet sich den menschenfeindlichen Bedingungen im Stollen, am Hochofen und in der Zeit dazwischen. Der wichtige Film thematisiert mit Hilfe von Originalmaterial und neueren Forschungsergebnissen auch die Rolle der Frauen(arbeit) zwischen Kohle und Stahl, den proletarischen deutschen Rassismus gegen zugezogene Kollegen, was der Uniformfimmel im Bergbau mit autoritärem Militarismus zu tun hat und wie zu gesundheitlichen Schäden der Knochenarbeit noch Tricks der Bosse gegen Entschädigungsforderungen dazukamen.

Auf eine Schieflage der Ausstellung selbst verweist eine visuell zurückhaltende Serie von Katalin Ladik, in der zu zehn Collagen ausgedachte »Volkslieder« das Gehör der Besucher:innen herausfordern. Das ist konzeptuell schlüssig, ziemlich lustig und umso bemerkenswerter, als die Arbeiten bereits zwischen 1973 und 1975 entstanden sind. Gleichzeitig mit der Gründung von Kemnade International nahm Ladik treffsicher jene Faszination für Folklore und das Fremde aufs Korn, die auch in der Ausstellung immer wieder anklingt. Die Ausstellung legt in Gänze nicht wirklich einen kritischen Umgang mit Ethnokitsch und einem mittlerweile veralteten Verständnis von Rassismus nahe. Dafür feiert sich das Kunstmuseum in dieser Selbsthistorisierung ein wenig zu viel selbst, wenn immer wieder auf den Aktivierungswillen der damaligen Verantwortlichen verwiesen wird und Zeitzeug:innen sich an romantische Völkerverständigung erinnern.

Das historische Bildmaterial und die ausliegenden Verwaltungsberichte passen allerdings schlecht zu diesem Bild einer heilen Multikultiwelt. Es wird zwar deutlich, dass viele beteiligte Gruppen eben nicht nur mi­grantisch, sondern dezidiert auch proletarisch und sozialistisch-internationalistisch waren. Was an den Informationsständen der türkischen, kurdischen oder koreanischen Arbeitervereine oder der Gruppen der Chile-Solidarität präsentiert wurde, bleibt aber leider im Dunkeln. Konflikte, die bei diesen kulturellen und politischen Zusammensetzungen in den bundesrepublikanischen Siebzigern wohl nicht vermieden werden konnten, sind somit nur sehr vage angedeutet.

Weil die Ausstellung dieser inneren Pluralität und Konflikthaftigkeit nicht nachgeht, entsteht der Eindruck, dass der Geist von Kemnade sich in einer einfachen Rechnung verdichtet: Kultur für alle plus Multikulti gleich bessere Gesellschaft. Das Gefälle zu gegenwärtigen Debatten bleibt hier trotz aller Bekenntnisse und neueren Lektüreangebote zu groß. Auch die häufige Erwähnung von zahlreichen von Rechtsextremen begangenen terroristischen Morde und Angriffe der vergangenen 50 Jahre kann eigentlich nur ein trauriger Beleg dafür sein, dass man die Deutschen nicht einfach besser macht, indem man ihnen bei Tanz, Tee und Tacos das Fremde näherbringt. »Wir sind Menschen. Sie auch?« irritierte als Slogan vielleicht noch 1974, heute fällt dieses Denken aber weit hinter ein komplexeres Verständnis von strukturellem, identitätsstiftendem und institutionalisiertem Rassismus zurück.

Dass die Ausstellung in Bochum oft auf vages Zusammensein und Austausch zielt, bestätigt diesen Eindruck noch. Spätestens seit der Documenta 15 mit ihrem »lumbung« und »nongkrong« ist klar, dass manche Konflikte sich nicht durch endlose Stuhlkreise und achtsames Chaischlürfen auflösen lassen. Aber nicht nur wegen der Sitzsackatmosphäre, Horo­skopen in der Festivalzeitung, dem Verehren nichtwestlicher Kulturerzeugnisse oder einem immer wieder beschworenes Gemeinschaftserlebnis werfen die vergangene Documenta und andere Ausstellungen ihren langen Schatten auch auf Bochum. Denn da war ja noch was – Streit über Antisemitismus, und zwar nicht nur bei der Documenta. Im vergangenen Jahr zeigte beispielsweise die Bundeskunsthalle in Bonn die Ausstellung »Wer wir sind – Fragen an ein Einwanderungsland«, die sich künstlerisch dem Einwanderungsland Deutschland näherte. Für großes Aufsehen sorgte sie eben auch, weil Volker Beck, Meron Mendel und andere die antiisraelische Propaganda in einer Arbeit der Künstlerin Daniela Ortiz kritisierten.

In diesem Zusammenhang fällt auf, dass in »Die Verhältnisse zum Tanzen bringen« Antisemitismus konsequent nicht erwähnt, geschweige denn eingehend als Charakteristikum der deutschen Migrationsgesellschaft (und linker Politik in den Siebzigern) thematisiert wird. Obwohl von »Angriffen von rechts auf unsere plurale Gesellschaft« geschrieben wird, gelten antisemitischer Terror und Judenhass hier offenbar nicht als erwähnenswert. Skurril ist diese Auslassung in einem großformatigen Wandbild von Petja Dimitrova, das Motive von migrantischem Kämpfen mit einem Zeitstrahl kombiniert, auf dem zahlreiche Ereignissen der deutschen Migrationsgesellschaft eingetragen sind. Nur konsequent erscheint es im Rahmen dieser Ausstellung leider, dass zwar der Anschlag von Hanau aufgelistet wird, der Anschlag in Halle aber nicht der Rede wert zu sein scheint – dessen Ziel war eine Synagoge. Auch jüdische Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion kommen nicht vor. In der gesamten Ausstellung wird auch jeglicher Bezug auf gegenwärtige Solidaritätsbewegungen zugunsten Palästinas oder Israels vermieden. Diese heute bestimmenden Debatten der deutschen (Migrations-)Gesellschaft hätten, so lässt sich spekulieren, Austausch, Begegnung und Verständigung zu sehr gestört.

»Die Verhältnisse zum Tanzen bringen. 50 Jahre Kemnade International« läuft noch bis zum 8. September im Kunstmuseum Bochum.