Besuch bei einem »Schulstreik« gegen Israel in Berlin-Neukölln

Dank an »die süßen Mäuse von Young Struggle«

Mit einem Schulstreik kämpft die junge Garde des Neuköllner Proletariats für ihre Kufiyas und erhält spontan Unterstützung von einem Lehrer.

Die Straße frei der roten Jugend: Am 22. Mai riefen der Berliner Ableger der Migrantifa und der Kommunistische Jugendbund (KJB), die »Jugendabteilung« der marxistisch-leninistischen Kadersekte Bund der Kommunist:innen, die proletarische Jugend Neuköllns dazu auf, die Stifte niederzulegen und sich einem »Schulstreik für Palästina« anzuschließen. Mit diesem wollte man, so hieß es in einer Pressemitteilung, deutsche Waffenlieferungen nach Israel sowie die »gegenwärtige Hetze gegen Palästinenser:innen« beenden.

Rund 40 junge Menschen verließen ihre Klassenzimmer und loderten als »glühendste, heiligste, unlöschbare Flamme der neuen Revolution«, wie es sich Karl Liebknecht einst gewünscht hatte, was sich die »Kommunist:innen« auf ihrer Website programmatisch zu eigen gemacht haben. Allesamt bekleidet mit der obligatorischen Kufiya standen sie vor dem Ernst-Abbe-Gymnasium in der Neuköllner Sonnenallee und warben mit ihren mitgebrachten Fahnen für miteinander konkurrierende Organisationen, darunter israelfeindliche Kleinstgruppen wie Young Struggle, Zora oder Kommunistischer Aufbau.

Zur Einstimmung der jungen Revolutionäre dudelte der antizionistische Gassenhauer »Leve Palestina« (Schwedisch für »Lang lebe Palästina«), der in seinem Refrain zur Zerstörung des »Zionismus« aufruft. Zwei Kinder im Grundschulalter hielten ein Schild in der Hand, auf dem zur »totalen Befreiung« aufgerufen wurde. Als die Auflagen der Polizei ein zweites Mal von der Mode­ratorin vorgelesen wurden – nach dem ersten Mal hatte die Polizei Unvollständigkeit moniert –, skandierten die jungen Revolutionäre: »Überall Polizei, nirgendwo Gerechtigkeit.«

Der Ort war bewusst gewählt: Auf dem Schulhof des Gymnasiums war es im Oktober zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen einem Schüler und einem Lehrer um eine Palästina-Flagge gekommen. Die Palästina-Szene zieht den Vorfall seither als ultimatives Beispiel für einen strukturellen antipalästinensischen Rassismus an den Schulen heran, wie in einem Redebeitrag einer Aktivistin von Zora deutlich wurde: »Die Blicke von den Lehrkräften, wenn wir Kufiya tragen, die Diskussionen im Unterricht, die Schweigeminuten für Israel und nicht zuletzt die Schläge der Lehrer auf dem Schulhof – all das ist nicht nur ein Angriff auf unsere individuellen Rechte, sondern ein Angriff auf uns alle.«

Kurz vor dem Ende der Anfangskundgebung drängte es einen in einer Streikweste der Bildungsgewerkschaft GEW gekleideten Lehrer des nahegelegenen Albert-Schweitzer-Gymnasiums spontan ans Mikrophon. Er wolle »Solidaritätsgrüße« bringen und sagen, dass »nicht alle Lehrer solidarisch mit Israel« seien: »Viele Lehrer sind auch durchaus entsetzt über das, was abgeht; über die Verbrechen, die begangen werden; über das Morden, was stattfindet.« Er meinte: »Jeder von uns kennt die Antisemitismuskeule«, bevor er seine Vorstellung eines »freien Palästina« präsentierte. In einem solchen seien sogar »Juden willkommen«, solange sie sich gegen die Vertreibung der Palästinenser und für das Rückkehrrecht eben jener aussprechen. Dementsprechend erinnert seine Vorstellung eines »freien Palästina« an eine Einstaatenlösung durch die Hintertür, die Israels Charakter als Staat, der Juden Schutz gewährt, de ­facto auslöschen würde, wenn Palästinenser, die einen Flüchtlingsstatus besitzen oder vererbt bekommen haben, in diesem Staat die Mehrheit bildeten.

Nach einer vergeblichen Agitation von vorbeihuschenden Grundschülern der Gemeinschaftsschule auf dem Campus Rütli zogen die jungen Revolutionäre, deren Zahl sich der Polizei zufolge zwischenzeitlich verdoppelt hatte, zur Kottbusser Brücke, wo sie ­ihren »Streik« beendeten.

Gegen Ende der Demonstration erhielten die »Streikenden« noch prominenten Zuspruch. Die Berliner Rapperin und Schauspielerin Nura postete für ihre knapp 400.000 Follower einige Kurzvideos auf Instagram. Darin berichtete sie von ihrer Teilnahme an der Demonstration und bedankte sich dafür, dass »die süßen Mäuse von Young Struggle« die ganze Zeit neben der Polizei gestanden hätten und sie nicht alleine lassen wollten, während sie sich, wie sie andeutet, in einer polizeilichen Maßnahme befunden habe. »Ihr könnt denen ja auch folgen, super Organisation, die machen auch sehr viele Demos, das sollte man supporten«, sagte Nura.

Die Rapperin war zuletzt dadurch aufgefallen, dass sie einen Tag nach den antisemitischen Massakern am 7. Oktober ihr neustes Musikvideo mit einem Screenshot bewarb, auf dem sie mit ihrer Crew vor einem Plakat mit dem Schriftzug »Free Palestine« zu ­sehen war. Und die »süßen Mäuse« von Young Struggle konnten nicht anders, als ausgerechnet am Jahrestag der Novemberpogrome dem jüdischen Staat Nazi-Methoden vorzuwerfen.