Die überraschende Empfindungsfähigkeit von Tieren

Herumalbernde Hummeln

Die Forschung hat in den vergangenen Jahren erstaun­liche kognitive Leistungen auch bei Tieren zutage gefördert, die evolutionär recht weit vom Menschen entfernt sind. Zudem habe man in Studien über Hunderte Insektenordnungen hinweg ­keine Indizien gefunden, »dass irgendeine Spezies die Kriterien für schmerzähnliche Erlebnisse nicht überzeugend erfüllte«. Welche ethischen Implikationen hat das?

Der Titel ist beinahe so lang wie der Text dazu: Gerade einmal vier dürre Absätze umfasst die im April veröffentlichte »New Yorker Erklärung zum ­Bewusstsein von Tieren«, unterzeichnet hat sie dafür eine umso längere Reihe von internationalen Expert:in­nen aus Biologie, Neurowissenschaften und Philosophie.

Nicht nur gebe es starke Indizien für Bewusstsein bei Säugetieren und Vögeln, heißt es darin; auch deuteten empirische Belege darauf hin, dass »zumindest eine realistische Möglichkeit von bewusstem Erleben bei allen Wirbeltieren (einschließlich Reptilien, Amphibien sowie Fischen) und vielen Wirbellosen (inklusive mindestens der Kopffüßer, Krebstiere sowie Insekten)« bestehe. Ohne allzu konkret zu werden, fordert die Erklärung deshalb, diese Möglichkeit im Hinblick auf das Tierwohl zu berücksichtigen.

Legt man den Hummeln kleine Kugeln auf den Pfad zu einer süßen Belohnung, ignorieren sie das Zuckerwasser und rollen lieber erst einmal die Bälle durch die Gegend – offenbar schlicht aus Spaß an der Freude.

Tatsächlich ist es natürlich leichter, sich etwa in das Erleben eines Hundes hineinzuversetzen – was ja nicht selten zu unangemessener Vermenschlichung und damit unweigerlich zu Missverständnissen zwischen Hund und Halter:in führt –, als sich vorzustellen, was im Kopf einer Biene oder gar dem eher dezentral organisierten Nervensystem eines Tintenfischs vor sich geht. Dennoch hat die Forschung in den vergangenen Jahren erstaun­liche kognitive Leistungen auch bei Tieren zutage gefördert, die evolutionär recht weit vom Menschen entfernt sind.

Das Begleitmaterial zur New Yorker Erklärung zählt dazu etliche Beispiele auf. So sind Putzerfische in der Lage, sich selbst im Spiegel zu erkennen, Zebrafische reagieren neugierig auf unbekannte Objekte und auch die ­ballspielenden Hummeln, die es vor zwei Jahren zu einiger Prominenz im Wissenschaftsfeuilleton brachten, finden Erwähnung: Legt man den Insekten kleine Kugeln auf den Pfad zu einer süßen Belohnung, ignorieren sie das Zuckerwasser und rollen lieber erst einmal die Bälle durch die Gegend – offenbar schlicht aus Spaß an der Freude.

Der Entomologe Lars Chittka, der an diesem Experiment beteiligt war, befasst sich insbesondere mit der Empfindungsfähigkeit von Sechsbeinern. Er schreibt in der Juni-Ausgabe der Monatszeitschrift Spektrum der Wissenschaft, man habe in Studien über Hunderte Insektenordnungen hinweg ­keine Indizien gefunden, »dass irgendeine Spezies die Kriterien für schmerzähnliche Erlebnisse nicht überzeugend erfüllte«, und geht auf die ethischen Implikationen ein.

In der Forschung sei der Einsatz von Insekten zwar unverzichtbar, Chittka selbst verwendet in seinen Verhaltensexperimenten jedoch möglichst keine schmerzhaften, sondern nur unangenehme Reize. Und im Alltag mache es einen Unterschied, ob man eine Ameise »zum Spaß« mit dem Brennglas verkokelt oder eine Mücke auf dem Arm erschlägt – Letzteres gehe schnell und sei damit vermutlich weitgehend schmerzlos. Und artgerecht, könnte man ergänzen.