Influencer, die Verjüngung versprechen, verstärken die verbreitete Neigung zu »alternativen Fakten«

Der ultimative Life-Hack

Im Silicon Valley hat man Angst vor dem Tod, weswegen IT-Millionäre wie Bryan Johnson viel Geld für vermeintliche Verjüngungs­maß­nahmen ausgeben. Die Branche pseudowissenschaftlichen Selbstoptimierens hat das Potential, sehr verschiedene soziale Milieus verschwörungstheoretisch zu radikalisieren.

Wer ewig leben will, muss nur ins Internet schauen. Da gibt es viele Tipps, wie man dem Tod ein Schnippchen schlagen und auf unbestimmte Zeit jung und knackig bleiben kann. Biohacking nennt sich das. Angeblich lassen sich die Vorgaben der Biologie mittels simpler Kniffe überwinden. Klingt einfach, zumindest wenn man diversen Online-Gurus Glauben schenkt. Deren Geschäft scheint zu boomen, auf You­tube kommen die einschlägigen Videos mitunter auf mehr als eine halbe Million Klicks und der Begriff Biohacking hat sich längst in aller Herren Länder eingebürgert. Wer jetzt jedoch meint, der Trend seit harmlos, der irrt sich.

Dass ein Aberglaube, der im Internet reüssiert, nicht zwangsläufig dort bleiben muss, weiß man spätestens seit dem Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021. Unter anderem befeuert durch Verschwörungstheorien, die im Internet kursierten, verschafften sich Hunderte von Randalierern gewaltsam Zutritt zum Sitz des amerikanischen Parlaments und hinterließen eine Spur der Verwüstung. Es waren damals die sozialen Medien, die als Verstärker abstruser Annahmen dienten. Das tun sie auch weiterhin. 2022 warnte in den USA der öffentlich-rechtliche Sender Public Broadcasting Service (PBS) in einem Fernsehbeitrag vor einer Online-Kultur, die auch weit über die üblichen Milieus hinaus Menschen als Anhänger gefährlicher Verschwörungstheorien gewinnt.

»Nächtliche Erektionen 179 Minuten, besser als bei einem durchschnittlichen 18jährigen.« Bryan Johnson, Multimillionär und Biohacker

Vor allem der Yoga- und Wellnessbereich bietet sich hier an. Mittels ansprechend gestalteter und esoterisch angehauchter Beiträge werden beispielsweise auf Instagram vorwiegend weib­liche Nutzerinnen sanft, aber bestimmt mit antisemitischen Verschwörungstheorien, »Impfskeptiker«-Content oder mit Inhalten von Qanon in Kontakt gebracht. Diese werden mit Bildern von Herbstlaub und Kräutertee und den Geräuschen von Klangschalen präsentiert. »Die Schnittmenge zwischen New Age und rechtem Verschwörungsdenken ist meiner Meinung nach im Individualismus verwurzelt. Amerika hat eine individualistische Kultur«, so Derek Beres, der Co-Moderator im Podcast »Conspirituality«, der sich mit Verschwörungstheorien befasst; was er meint, ist der »rugged individualism« (Wendell Berry), der sich jeden noch so vernünftigen Einspruch der Fakten und der belebten wie unbelebten Außenwelt verbittet.

Wem nun die New-Age-Ästhetik zu gefühlvoll ist, wer sich also lieber als ein harter Kerl definiert, der landet schnell beim Biohacking – dem Glauben, dass man den eigenen Körper »hacken« könnte wie einen Computer, womit der Verwandlung in einen Übermenschen eigentlich keine nennenswerten Hindernisse mehr im Weg stehen.

»Opt-Out-Klausel« für menschliche Vergänglichkeit

Im Grunde verbirgt sich dahinter nur das, was man bislang Fitness nannte: Die Bemühungen, mittels einer ausgewogenen Ernährung und Sport möglichst gesund und aktiv zu sein und es vorzugsweise bis ins hohe Alter zu bleiben. Aber es gibt natürlich auch Leute, denen eine so simple Herangehensweise nicht ausreicht. Beispielsweise der US-amerikanische Multimillionär Bryan Johnson, der sein Vermögen mit der mobilen Zahlungs-App Venmo gemacht hat und behauptet, die menschliche Vergänglichkeit hätte eine »Opt-Out-Klausel«.

Mit seinem »Project Blueprint« will sich der 46jährige biologisch verjüngen. Johnson hat ein 30köpfiges Ärzteteam um sich versammelt, das für ihn ein recht ausgefallenes Wellness-Programm zusammenstellt. Er ernährt sich ausschließlich vegan, misst ohne Fehl seinen Blutzucker und seine Herzfrequenz, trainiert ständig und lässt sich aus unerfindlichen Gründen diverse »Wundermittel« in den Penis spritzen. Im Übrigen scheint es genau dieses Organ zu sein, auf dem das Hauptaugenmerk liegt: »Nächtliche Erektionen 179 Minuten, besser als bei einem durchschnitt­lichen 18jährigen«, so steht es auf Johnsons Website zu lesen.

Das ist ein Indiz dafür, dass es den Biohackern eher um etwas anderes als nur ein gesundes Leben geht. Johnson war einst ein recht durchschnittlicher, pummeliger IT-Nerd, jetzt sieht er aus wie ein gestählter Superheld mit gefärbtem Haar. »Lifestyle-Faschismus«, so nennt die Professorin und Journalistin Maya Vinokour in einem Beitrag vom Januar 2024 für das US-amerikanische Magazin Jacobin dieses Phänomen. Ihr zufolge gehe es beim Biohacking darum, »die Gesellschaft neu zu gestalten, indem man den in Bedrängnis geratenen männlichen Körper neugestaltet.« Stellt Männlichkeit kein selbstverständlich positives Attribut im ökonomischen Konkurrenzkampf mehr dar, tendiert sie dazu, sich auf die pure Physis zurückziehen. Spricht Vinokour vom »unstillbaren Durst des Silicon Valley nach ›Selbstoptimierung‹», so meint sie damit eine »ästhetische Tradition, die muskulöse, junge Körper preist und mit der Sprache der Selbsthilfekultur verschmilzt, die potentiellen Anhängern ewiges Leben inmitten eines überlegenen Männerkaders verspricht«.

Entwicklung autoritär veranlagter, paranoid-elitärer Subkulturen

Was sich in dieser Gemeinschaft der Biohacker abzeichnet, ist die Entwicklung autoritär veranlagter, paranoid-elitärer Subkulturen, die den demokratisch-nivellierenden Mainstream bewusst ablehnen. Das könnte durchaus fatale Auswirkungen haben. Beispielsweise bei den US-Präsidentschaftswahlen im November. Je weiterer Beliebtheit sich das Biohacking und archaisch-physische Männlichkeitsideale erfreuen, desto besser dürfte die klar verschwörungstheoretisch ausgerichtete und auf Virilität bedachte Kampagne eines Donald Trump ankommen.

Anders verhält es sich im Fall von Joe Biden, der eine überaus zerbrechliche Koalition von Wählerinnen und Wählern zusammenhalten muss, um sein Amt behaupten zu können. Das Aufkommen populistischer Internet-Communitys könnte diese Koalition destabilisieren. Nicht zuletzt durch Drittkandidaten wie Robert F. Kennedy Jr. – Sohn des Justizministers Robert F. Kennedy und Neffe des Präsidenten John F. Kennedy, die beide ermordet wurden.

Er hat erreicht, dass sein Name bei den Präsidentschaftswahlen im November auf allen Stimmzetteln des US-Bundesstaats Michigan als Option zur Verfügung stehen wird. Am 20. April berichtete die Tageszeitung New York Times, dass sich der unabhängige Kennedy als Spitzenkandidat der Kleinstpartei Natural Law Party (Partei der Naturgesetze) eintragen ließ, die sich ihren Platz auf den Stimmzetteln in Michigan bereits vor einiger Zeit erkämpft hatte.

Darüber, welche Parteien und Kandidaten auf dem Stimmzettel erscheinen, bestimmen in den USA von Staat zu Staat unterschiedliche Kriterien; in Michigan wird der ballot access Parteien und Kandidaten gewährt, die bei vorhergehenden Wahlen mindestens ein Prozent der Stimmenanzahl des Wahlsiegers erreichen; eine äußerst geringe Hürde also.

Alptraum für Joe Biden

Für Biden könnte das ein Problem darstellen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Beacon Research vom April 2024 lag Biden mit zwei Prozentpunkten in Michigan knapp hinter Trump – unter anderem, weil ihn Drittkandidaten wie Kennedy (attraktiv für Verschwörungstheore­tiker und Impfgegner), Cornel West (wirbt um muslimische und Wähler mit arabischem Hintergrund) und Jill Stein (für die US-Grünen; sie hatte zuvor West unterstützt) insgesamt 14 Prozentpunkte kosteten. Es dürfte für Biden schwierig werden, ohne die 15 Stimmen des Bundesstaats Michigan im Electoral College die Wahl zu gewinnen.

Gerade Robert F. Kennedy Jr. kann sowohl eine linke als auch eine rechte Wählerschaft ansprechen. Er ist ein glühender Anhänger konspirativen Denkens, das auch klassisch antisemitische Anklänge hat. Der vehemente Impfgegner (»Anti-Vaxxer«) kritisiert außerdem die Regierung Biden für die Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen Russland. Kennedys Kandidatin für die Vizepräsidentschaft, Nicole Shanahan, ist eine Anwältin und Multimillionärin aus dem Silicon Valley. Die Ex-Frau des Google-Gründers Sergey Brin bekam bei der Scheidung eine Abfindung in dreistelliger Millionenhöhe und hat bereits mehrere Millionen in Kennedys Wahlkampf investiert. Ihr beträchtliches Vermögen, ihr technisches und juristisches Fachwissen und ihre hervorragende Vernetzung in den entsprechenden Online-Communitys könnten sie zu einem Machtfaktor bei der Präsidentschaftswahl machen.

Für Kennedy ist sie die ideale Partnerin, für Biden ist sie ein Alptraum. Denn während Kennedy die Anti-Vaxxers und Biohacker anspricht, könnte Shanahan die »Yoga-Moms« und Wellness-Fans für ihren Wahlkampf gewinnen. Sollte die Wahl so knapp werden, wie allgemein prognostiziert, so hat Biden so gut wie keinen Spielraum für Fehler. Seine Haltung zu Israel und dem Krieg in der Ukraine macht ihn für linke Antiimperialisten und Antisemiten unwählbar, anders als die drei anderen Kandidaten aus dem linken Lager. Bei einem voraussichtlich sehr engen Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Biden und Trump könnten selbst ein paar schrullige Biohacker wahlentscheidend sein.