Klaus Theweleit rekonstruiert die Schaffung des griechischen Vokalalphabets

Auf stürmischer Seeeee

Buchkritik Von

Das Vokalalphabet ist eine gigantische kulturtechnische Leistung, mit der die Welt »sowohl exakt darstellbar wie auch komplett erfindbar« wurde. Die Bedeutung des Aufschreibesystems, das sich um 800 v. Chr. durchzusetzen beginnt, schätzt Klaus Theweleit in seinem Buch »a-e-i-o-u. Die Erfindung des Vokalalphabets auf See, die Entstehung des Unbewussten und der Blues« genauso ein wie sein 2011 verstorbener Weggefährte Friedrich Kittler.

Bereits mit »Männerphantasien«, in denen er vor gut 40 Jahren den Faschismus statt aus Ideologien wesentlich aus Körperzuständen abzuleiten versuchte, hatte sich Theweleit als außeruniversitärer Theorie-Solitär etabliert.

Der hat in der von ihm und Wolfgang Ernst herausgegebenen Essaysammlung »Die Geburt des Vokalalphabets aus dem Geist der Poesie« die Dichtungen der Ilias und der Odyssee als Ursprung dieser medialen Revolution identifiziert – und deren Schöpfer Homer als alleinigen Erfinder der neuen Kulturtechnik.

Dem widerspricht Theweleit, der die Erfindung griechischen Händlern und Piraten zuschreibt, die sich auf stürmischer See die Vokale zugerufen hätten. In vielen Anläufen argumentiert er gegen Kittlers Bezugnahme auf Hellenismus und Großkünstlertum an, die er mit Misogynie, Antisemitismus, Rassismus, dem Ausbleiben der Revolution und Putins Kriegen in Verbindung bringt.

Klaus Theweleit bei einer Lesung in Weikersheim, 2016

Klaus Theweleit bei einer Lesung in Weikersheim, 2016

Bild:
Wikimedia / Schorle / CC BY-SA 4.0

Bereits mit »Männerphantasien«, in denen er vor gut 40 Jahren den Faschismus statt aus Ideologien wesentlich aus Körperzuständen abzuleiten versuchte, hatte sich Theweleit als außeruniversitärer Theorie-Solitär etabliert.

Mit dem »Buch der Könige« und weiteren großangelegten Untersuchungen hat er seine Art des wild-eklektisches Assoziierens verfeinert und sich als Erzähler von Theoriegeschichten in die Köpfe mehrerer Generationen eingeschrieben. Das neue Buch nennt er im Untertitel einen »Wellenroman« – und nach einigen etwas müde wirkenden Ausführungen kommt sein Fabulieren zu alten Schurken und Heroen, neuen Möglichkeiten, Hoffnungen und Gefahren tatsächlich richtig in Gang.


Buchcover

Klaus Theweleit: a-e-i-o-u. Die Erfindung des Vokalalphabets auf See, die Entstehung des Unbewussten und der Blues. Wellenroman. Matthes & Seitz, Berlin 2023, 288 Seiten, 28 Euro