Sozialarbeiter fordern das Recht, vor Gericht die Aussage zu verweigern

Das Recht, den Mund zu halten

In Karlsruhe erhielten Mitarbeiter:innen eines Fanprojekts eine Geld­strafe, weil sie sich weigerten, vor Gericht gegen Fußball-Ultras auszusagen. Sozialarbeiter:innen fordern seit langem das Recht, in solchen Fällen die Aussage zu verweigern – für ihre Arbeit brauche es Vertrauen.

Als »Brennglas der Gesellschaft« hat der Soziologe Gunter A. Pilz den Fußball einst bezeichnet. Dass diese Feststellung wenig von ihrer Gültigkeit ­verloren hat, zeigt sich derzeit in Karlsruhe. Das dortige Amtsgericht hat Strafbefehle über jeweils 7.200 Euro gegen drei Sozialarbeiter:innen des örtlichen Fanprojekts verhängt, weil diese sich weigern, in einem Ermittlungsverfahren auszusagen. Wenn das Urteil Bestand hat, gelten sie damit als vorbestraft.

Im November 2022 hatte es im Wildparkstadion des Karlsruher SC anlässlich des runden Geburtstags einer Fangruppe eine Choreographie gegeben, bei der auch reichlich Pyrotechnik eingesetzt wurde. Ultras sind in derlei Feuerzauber für gewöhnlich durchaus geübt und in der Regel nimmt dabei niemand Schaden. In diesem Fall gab es jedoch elf Verletzte, darunter ein Kind und eine Person, die bleibende Schäden davontrug.

Dass die Polizei in einem solchen Fall Ermittlungen einleitet, liegt auf der Hand. Nicht nachvollziehbar hingegen ist, dass im Zuge dieser Ermittlungen auch beim Fanprojekt angestellte So­zial­arbeiter:innen gezwungen werden sollten, auszusagen – so sieht es zumindest das Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der sozialen Arbeit. Es kritisiert den Vorgang als »massiven Eingriff in die Profession und Be­rufs­praxis der sozialen Arbeit«. Für den Dienstag vergangener Woche, den Internationalen Tag der sozialen Arbeit, hatte das Bündnis zu einer Kundgebung vor dem Bundesministerium für Justiz in Berlin aufgerufen. Knapp 70 Menschen waren dem Aufruf trotz ungemütlicher Temperaturen gefolgt.

»Zeugnisverweigerungsrecht« ist das Recht, vor Gericht keine Aussage machen zu müssen. Eltern dürfen zum Beispiel die Aussage über ihre Kinder verweigern, Anwälte über ihre Mandanten und Journalisten über ihre Quellen.

»Zeugnisverweigerungsrecht« ist das Recht, vor Gericht keine Aussage machen zu müssen. Eltern dürfen zum Beispiel die Aussage über ihre Kinder verweigern, Anwälte über ihre Mandanten und Journalisten über ihre Quellen. Das Bündnis fordert dasselbe Recht für Sozialarbeiter, also nicht über Leute aussagen zu müssen, mit denen sie in ihrer Arbeit zu tun haben – seien es Obdachlose, Drogenabhängige oder eben Fußball-Ultras.

Gegründet wurde das Bündnis 2020, es geht zurück auf eine bereits 2014 ­gegründete Arbeitsgemeinschaft von Mitarbeiter:innen von Fanprojekten. Das Thema ist also alles andere als neu. Die Kampagne hat ihren Ursprung in der Arbeit mit meist jugendlichen Fußballfans, ist jedoch mittlerweile weit über diese hinausgewachsen. Inzwischen sind zahlreiche andere Träger aus dem Bereich der sozialen Arbeit sowie Gewerkschaften und Berufsverbände Teil des Bündnisses.

Neben der konkreten Forderung nach einem Zeugnisverweigerungsrecht eint sie die Erfahrung, dass soziale ­Arbeit in dieser Gesellschaft nicht die Wertschätzung erfährt, die sie verdient. Die Arbeit ist oft hart und psychisch belastend, die Stellen sind meist mäßig bezahlt und prekär finanziert. »Derzeit gibt es rund 20.000 unbesetzte Stellen«, sagte Josefin Falkenhayn, Gewerkschaftssekretärin bei Verdi. »Es wirkt fast so, als wolle man den Job nun noch unangenehmer machen.«

Soziale Arbeit funktioniert nur, wenn ein Vertrauensverhältnis zwischen Sozialarbeiter:innen und Klient:innen besteht.

Tatsächlich stellt das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden die Mitarbeitenden in der sozialen Arbeit im Zweifelsfall vor eine unmögliche Wahl. Entweder sie zahlen hohe Strafen, werden möglicherweise sogar in Beugehaft genommen, oder aber sie können ihre Arbeit nicht mehr machen, weil sie selbst für diejenigen, denen sie doch eigentlich helfen sollen, zur Gefahr werden.

Ein Wort, das am Dienstag vergangener Woche in nahezu jedem Redebeitrag erwähnt wurde, ist »Vertrauen«. Soziale Arbeit funktioniert nur, wenn ein Vertrauensverhältnis zwischen Sozialarbeiter:innen und Klient:innen besteht. Das gilt insbesondere für diejenigen Bereiche der sozialen Arbeit, in deren Umfeld Straftaten zum Alltag gehören, also zum Beispiel für die Suchthilfe oder die Arbeit mit Frauen, die von häuslicher Gewalt oder Menschenhandel betroffen sind. Es gilt aber auch für die Arbeit der Fanprojekte im Fußball.

Einer, der es wissen muss, ist Max Wittmann, der im Fanprojekt Babelsberg als Projektleiter arbeitet. »Was wir machen, ist aufsuchende soziale Arbeit mit überwiegend jugendlichen Fußballfans«, erklärt er der Jungle World. Unter der Woche gleiche die Arbeit im Fanprojekt eher der in einem Jugendzentrum, an Spieltagen und vor allem bei Auswärtsfahrten bestehe die Aufgabe hingegen in erster Linie in der Begleitung der Fans. »Wir müssen vor Ort und nah dran sein. Sonst können wir unsere Arbeit nicht machen.«

»Unsere Aufgabe ist nicht die Strafverfolgung. Unsere Aufgabe ist soziale Arbeit.« Max Wittmann, Sozialarbeiter und Projektleiter im Fanprojekt Babelsberg

Dazu gehört auch die Kommunikation mit der Polizei im Konfliktfall. Funktioniert diese, kann sie deeskalierend wirken und verhindern, dass es zu schweren Straftaten kommt. Die Grundlage all dessen ist jedoch Vertrauen. »Die Fußballfankultur ist eine Jugend- und Subkultur, die in sich weitgehend geschlossen ist«, erklärt Wittmann. »Die lassen nicht ­jeden rein.« Und ist das Vertrauen erst einmal gebrochen, ist es nahezu unmöglich, es wieder zu kitten.

Bei Fußballspielen und in der Fanszene kommt es immer wieder zu strafrechtlich relevantem Verhalten und auch zu Gewalt. Selbstverständlich bekommen Mitarbeiter:innen von Fanprojekten davon etwas mit. »Aber unsere Aufgabe ist nicht die Strafverfolgung«, so Wittmann. »Unsere Aufgabe ist soziale Arbeit.«

Um dieser Aufgabe nachkommen zu können, braucht es ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter:innen. Dass es das noch nicht gibt, ist aus Sicht des Bündnisses »unhaltbar«, es gefährde die »Vertraulichkeit und damit die Grundlage unserer Arbeit«. Die Kundgebung am Dienstag soll daher nur ein Auftakt gewesen sein. Weitere Aktionen sind geplant.