In Portugal hat vor allem die ultrarechte Partei Chega bei den Parlamentswahlen hinzugewonnen

Brandmauern und Brandstifter

Aus den portugiesischen Parlamentswahlen ist keine Partei als klarer Gewinner hervorgegangen. Rechnerisch kommen die Parteien rechts der Mitte auf eine absolute Mehrheit.
Von

Alles hat ein Ende. So auch die acht Jahre, in denen Portugals Linke, angeführt von der sozialdemokratischen Sozialistischen Partei (PS) unter dem seit November nur noch geschäftsführenden Ministerpräsidenten António Costa, das Land wieder stabilisiert hat nach den harten Auflagen der Weltbank, des Währungsfonds und der EU infolge der Finanz- und Staatsschuldenkrise von 2008.

Wirtschaftlich geht es Portugal vergleichsweise gut. Die Inflationsrate ist eine der niedrigsten der EU und die einst sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit hat sich in den vergangenen zehn Jahren halbiert. Auch der Tourismus boomt – mit all seinen Schattenseiten –, man nimmt überdurchschnittlich viele Migrant:innen auf, ist durch Wind-, Wasser- und Solarstrom unabhängiger von fossilen Brennstoffen als der Rest der EU. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie meisterte man durch Übergewinnsteuern auf Energiekonzerne, Banken oder Supermarktketten sowie direkte Eingriffe in den Immobilienmarkt.

Doch es gibt auch Probleme: Der Wohlstand in Portugal gilt als extrem ungleich verteilt, die Wohnungsnot ist riesig und das Gesundheitssystem chronisch unterfinanziert und deshalb lückenhaft. Vor diesem Hintergrund erregten Korruptionsaffären beim PS besonders großen Zorn. Die jetzige außerplanmäßige Wahl war durch einen solchen Skandal verursacht worden, in den mindestens ein Ministerium und engste Vertraute des Ministerpräsidenten verwickelt zu sein scheinen; es ging dabei um die Vergabe von Lithium-Schürflizenzen. Costa war daraufhin im November zurückgetreten, obwohl die Korruptionsvorwürfe ihn nicht direkt betreffen.

Eine schwierige Regierungsbildung zeichnet sich nun ab. Es dürfte auf eine Minderheitsregierung von Montene­gros Bündnis zusammen mit der Liberalen Initiative (IL) hinauslaufen.

Die Regierung konnte zwar auf wirtschaftspolitische Erfolge verweisen, doch bei den Parlamentswahlen vom 10. März schienen diese im Vergleich zu den sozialen Problemen und dem Ärger über die Affären nicht viel zu zählen. Das Mitte-rechts-Bündnis Demokratische Allianz (AD) aus der liberalkonservativen Sozialdemokratischen Partei (PSD), dem rechtskonservativen Demokratischen und Sozialen Zentrum – Volkspartei (CDS-PP) und der Monarchistischen Volkspartei (PPM) holte mit 29,5 Prozent die meisten Stimmen. Knapp dahinter folgt der PS mit 28,7 Prozent. Die Wahlbeteiligung war mit rund 66 Prozent die höchste seit 1995. Die Wahlsiegerin AD unter der Führung von Luís Montenegro erlangte 79 Sitze, der PS verlor ihre bei den Wahlen von 2022 gewonnene absolute Mehrheit und fiel von 120 auf 77 Sitze zurück. Ihr Spitzenkandidat Pedro Nuno Santos, der den zurückgetretenen Costa Anfang des Jahres an der Parteispitze abgelöst hatte, kündigte an, in die Opposition zu gehen.

Zwar hatten Umfragen prognostiziert, dass viele Wähler sich nach rechts orientieren würden, jedoch nicht, dass die rechtsextreme Partei Chega (Es reicht) 18,1 Prozent der Wählerstimmen holen und ihre bisherige Sitzzahl auf 48 vervierfachen würde. Chega wurde von André Ventura gegründet, einem ehemaligen PSD-Mitglied mit Kontakten ins rechtsextreme Milieu.

Eine schwierige Regierungsbildung zeichnet sich nun ab. Es dürfte auf eine Minderheitsregierung von Montene­gros Bündnis zusammen mit der Liberalen Initiative (IL) hinauslaufen, die 5,1 Prozent und erneut acht Sitze holte – oder auf Neuwahlen, da eine Große Koalition aufgrund zu großer politischer Unterschiede von AD und PS als ausgeschlossen gilt.

AD und Chega würden zusammen über die absolute Mehrheit der Mandate verfügen, aber Montenegro hatte einer Regierungsbeteiligung von Chega im Wahlkampf eine Absage erteilt und erneuerte das auch nach der Wahl. Bislang scheint die »Brandmauer« noch zu halten, auch wenn es in der AD durchaus gewichtige Fürsprecher einer Koalition mit Chega gibt, zwecks »Stabilität« des Landes.

Chega konnte vor allem an der Algarve Erfolge feiern, wo Luxustourismus und Villen Vermögender aus dem Aus- und Inland mit ländlicher Armut und einem hohen Anteil migrantischer Bevölkerung kontrastieren. Bei niedriger Wahlbeteiligung gewann Venturas Partei dort auch dank des d’Hondt-Verfahrens Mandate en masse (dieses Verfahren zur Zuteilung von Mandaten begünstigt stärkere Parteien). Auch in den bislang mehrheitlich sozialdemokratischen oder kommunistischen Wahlkreisen in den südlichen Vorstadtgemeinden Lissabons sowie im Hinterland in Portalegre, Évora oder Beja an der Grenze zu den spanischen Regionen Extremadura und Andalusien holte Chega viele Mandate.

Die Partei hatte auch Erfolg bei der durch rechtsextreme Influencer:innen und Youtuber:innen beeinflussten Jungend. Ihr Programm ist Antiziganismus, Antifeminismus, Rassismus, Gegnerschaft zur EU, Nationalismus sowie der »Kampf gegen die Polit-Korruption«. Chega plakatierte vor der Wahl landesweit den Slogan »Portugal ausmisten«. Man müsse »analysieren, ob die ultrarechten Stimmen von Protestwäh­ler:innen kamen oder strukturelle Gründe haben«, sagte Ministerpräsident Costa in der Wahlnacht vor Journalist:innen.

Trotz der Verbesserung der volkswirtschaftlichen Lage Portugals ist das Leben deutlich teurer geworden. Mieten sind für Einheimische längst nicht mehr nur in Lissabon und Porto unerschwinglich; Erhöhungen des Mindestlohns, der Pensionen, Lohnsteuersenkungen und monatliche Zusatzzahlungen können dies nicht kompensieren. Weitere gesetzliche Maßnahmen für den Wohnungs- und Immobilienmarkt wie ein Moratorium bei der Lizenzvergabe für Ferienwohnungen oder die temporäre Zwangsenteignung von als Spekulationsobjekt gehandelten Immobilien zur Nutzung als Sozialwohnungen brauchen noch Zeit, um wirken zu können. Arbeiter:innen und Familien aus Indien und Bangladesh leben in Zelten, improvisierten Behausungen, ausrangierten Wohnwagenanhängern oder kleinen, extrem überteuerten Wohnungen. Und auch die Obdachlosigkeit ist hoch. Seit Monaten wird für bessere Löhne und gegen hohe Mieten protestiert.

Rita Silva von der Bewegung Vida Justa (Gerechtes Leben) beklagte im spanischen öffentlich-rechtlichen Sender RTVE, dass Mieten teils um 200 Prozent gestiegen seien und es über drei Millionen Arbeitnehmer:innen in Portugal gebe, die von weniger als 1.000 Euro im Monat leben – was nicht mal für eine Monatsmiete in Lissabon reiche, wo Einzimmerwohnungen zum Teil 2.000 Euro Miete kosteten. Sollte die Rechte regieren, fürchtet Silva, dass die Probleme sich weiter verschlimmern werden, weil der Staat dann nicht mehr in den sogenannten freien Markt intervenieren dürfte.