Auch in Portugal gibt es mit Chega nun eine erfolgreiche rechtspopulistische Partei

Gott, Vaterland und Familie

Lange galt Portugal als weitgehend immun gegen den Rechtspopulismus. Doch bei der Wahl am 30. Januar könnte die rechtsextreme Partei Chega (Es reicht) in Fraktionsstärke ins Parlament einziehen.
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Auch in Portugal gibt es nun, was in den meisten europäischen Ländern schon seit Jahren oder sogar Jahrzehnten zur politischen Normalität gehört: eine rechtsextreme Partei, die reelle Wahlchancen hat. Chega (Es reicht) wurde erst im Frühjahr 2019 gegründet. Ihr Gründer und Vorsitzender ist der Rechtswissenschaftler André Ventura. Der 38jährige hatte lange eine Kolumne in der Tageszeitung Correio da Manhã und war Sportkommentator bei dem privaten Fernsehsender CMTV (Correio da Manhã TV), bis er dort im Mai 2020 wegen rassistischer Kommentare entlassen wurde. Er hatte unter anderem gefordert, aufgrund der Covid-19-Pandemie Sinti und Roma in einer obligatorischen Quarantäne einzusperren.

Der Chega-Vorsitzende Ventura hatte gefordert, aufgrund der Covid-19-Pandemie Sinti und Roma einzusperren.

Bei den Parlamentswahlen 2019 schaffte Ventura es auf Anhieb ins Parlament. Dank des Wahlsystems reichten ihm knapp 22 000 Stimmen für ein Direktmandat im Großraum Lissabon. Damit eroberte er nicht nur den bis dato einzigen Parlamentssitz seiner neu gegründeten Partei, sondern ist auch der erste Abgeordnete einer rechtsextremen Partei in Portugals Parlament seit dem Ende der Diktatur 1974.

Im Oktober 2020 feierte die neue Partei ihren nächsten Erfolg: Sie errang zwei Sitze im Regionalparlament der Azoren. Chega lieferte anschließend die entscheidenden Stimmen, mit denen der Kandidat des konservativen PSD, Luís Garcia, zum Regionalpräsidenten gewählt wurde. Bis dahin war die Inselregion fest in der Hand der Sozialdemokraten vom Partido Socialista (PS) gewesen. Die Abgrenzung der etablierten Parteien der Rechten von den Rechtsextremen war damit in Portugal – wie schon in Spanien zuvor – vom Tisch. Über ein Jahr stützte Chega die Regionalregierung in den Azoren, bevor sie den Pakt aufkündigte.

Wie groß das Wählerpotential von Chega ist, zeigte sich bei den Präsidentschaftswahlen vor einem Jahr, bei denen Ventura fast 500 000 Stimmen erhielt, knapp zwölf Prozent aller Stimmen. Inzwischen hat Chega nach eigenen Angaben 40 000 Mitglieder.

Ventura sucht auch den Kontakt zu Gesinnungsgenossen im Ausland, zum Beispiel in Italien zur Lega oder in Spanien zur rechtsextremen Partei Vox. Deren Vorsitzender, Santiago Abascal, trat im September in Lissabon bei einer Veranstaltung von Chega auf. Am 8. Januar kam die Vorsitzende der französischen rechtsextremen Partei ­Rassemblement National, Marine Le Pen, nach Lissabon, um Chega im Wahlkampf zu unterstützen.

Vorige Woche stellte Chega ein neues Wahlprogramm mit insgesamt 100 Punkten vor. Das wichtigste Thema ist die Einwanderung. Straffällige Migranten sollen pauschal abgeschoben werden, auch wenn sie ein Aufenthaltsrecht besitzen. Insbesondere die Einwanderung aus muslimischen Ländern soll begrenzt werden. Außerdem will die Partei die »Propaganda der LGBTI-Agenda im portugiesischen Bildungssystem« verbieten. Statt Sexualaufklärung in den Schulen will die Partei lieber »Alternativmedizin wie Akupunktur und Osteopathie« im portugiesischen Gesundheitssystem fördern.

In der Wirtschafts- und Sozialpolitik vertritt Chega radikal neoliberale Po­sitionen, wie etwa einen einheitlichen Lohnsteuersatz von 15 Prozent. Außerdem soll Sozialhilfe an einen verpflichtenden Arbeitsdienst gekoppelt werden. Seit längerem fordert Ventura zudem die Möglichkeit lebenslanger Haftstrafen und einer chemischen Kastration für pädophile Sexualstraftäter.

André Ventura hat sich auch im Kulturkampf um Rassismus und die Kolonialvergangenheit Portugals profiliert. Erst die sogenannte Nelkenrevolution, die 1974 die von António Salazar begründete Diktatur des sogenannten Estado Novo (Neuer Staat) beendete, läutete auch das Ende der Kolonialkriege in Mosambik und Angola ein. Als ein Veteran der portugiesischen Kolonialkriege Ende Juli 2020 aus mutmaßlich rassistischen Motiven den schwarzen portugiesischen Schauspieler Bruno Candé ermordete, verstärkte dies die Diskussionen über den Rassismus in der portugiesischen Gesellschaft. Zu dieser Zeit fanden in Portugal, wie in zahlreichen anderen Ländern, Black-Lives-Matter-Proteste statt. Ventura führte damals eine Demons­tration unter den Mottos »Portugal ist nicht rassistisch« und »#AllLives­Matter« an.

Im vergangenen Jahr hielt der Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa (PSD) eine vielbeachtete Rede, in der er die Portugiesen aufforderte, über die Kolonialgeschichte ihres Landes und auch über Rassismus und Sklaverei offen nachzudenken. Venturas Botschaft ist dagegen, dass Portugals Kolonial­geschichte zu negativ dargestellt werde, sie habe auch positive Aspekte gehabt. So habe Portugal den Kolonien Kultur, Infrastruktur und Schulen gebracht. Auch sprach sich Ventura öffentlich gegen ein Mahnmal für die Verbrechen der Sklaverei aus, das in Lissabon aufgestellt werden sollte.

Chega bezieht sich nicht direkt positiv auf die Salazar-Diktatur. Die Partei bezeichnet sich jedoch als »Anti-System-Partei« und strebt eine neue »IV. Repu­blik an«, wobei nicht ganz klar ist, was damit gemeint ist. Allerdings hatte Ventura beim vierten Parteitag von Chega Ende November in Viseu – hier schlugen einst die Lusitaner unter dem Häuptling Viriathus die Römer – den Wahlspruch des früheren portugiesischen Diktators, »Deus, pátria e família« (Gott, Vaterland und Familie), verwendet, wobei er noch das Wort »Trabalho« (Arbeit) hinzufügte. Dieser Wahlspruch findet sich nun auch in dem kürzlich vorgestellten Wahlprogramm.

Am 30. Januar stehen vorgezogene Neuwahlen an. Der sozialistische Premierminister António Costa (PS) hatte sie ausgerufen, weil er keine Parlamentsmehrheit für den Haushalt des Jahres 2022 finden konnte. Costas Partei verfügt über keine eigene Mehrheit und war bislang auf die Stimmen von linken Parteien wie dem Bloco de Esquerda (Linksblock) und der Coligação Democrática Unitária (CDU), einem Bündnis der Kommunistischen Partei mit Grünen und anderen Kleinparteien, angewiesen, hinzu kam punktuell die »Partei Tiere und Natur« (PAN).

Auf der anderen Seite hofft der PSD, unter dem Bürgermeister von Porto, Rui Fernando da Silva Rio (kurz Rui Rio), auf eine politische Wende. Einer aktuellen Umfrage der Katholischen Universität Lissabon zufolge würde der PSD derzeit auf 32 Prozent der Stimmen kommen, der PS auf 38 Prozent und die Liberalen (Iniciativa Liberal) und Chega kämen auf je sechs Prozent.

Ventura hat bereits angekündigt, er wolle kein »Steigbügelhalter« für den konservativen Rio sein. Dafür gebe es die Liberalen und, sollten sie es in Parlament schaffen, die christlich-konservative Partei CDS-PP. Auch der PSD-Spitzenkandidat Rio verkündete im Wahlkampf, dass er die Rechtsradikalen ablehne. Er wolle weder die Wähler von Chega für den PSD gewinnen, noch wäre eine Koalition mit dieser Partei eine Option, sagte er im Interview mit CNN Portugal. Ob er diese Haltung beibehält, wenn er sich nach der Wahl mit Chegas Stimmen zum Premierminister wählen lassen könnte, wird sich zeigen.