In Portugal streiken Beschäftigte des öffentlichen Diensts

Winter der Unzufriedenheit

In Portugal streiken seit November immer wieder Beschäftigte des öffentlichen Diensts. Die Hilfsmaßnahmen der sozialdemokratischen Regierung gleichen die hohe Inflation nicht aus.
Von

Am Montag standen in Portugal viele Räder still. 143 Züge fielen nach Angaben der Eisenbahngesellschaft CP wegen eines Streiks aus, weitere Arbeitsniederlegungen werden erwartet, da die Lohnverhandlungen nicht vorankommen. Seit Monaten folgt ein Streik dem anderen, die spanische Tageszeitung El País sprach von einem »Winter der Unzufriedenheit«. Ein kämpferischer Frühling könnte folgen, ein Generalstreik des öffentlichen Diensts wurde für den 17. März angekündigt.

Mitte November vorigen Jahres riefen die großen Gewerkschaften, die der Kommunistischen Partei (PCP) nahestehende Confederação Geral dos Trabalhadores Portugueses (CGTP), das ihr nahestehende Gewerkschaftsbündnis Frente Común de Sindicatos de la Función Pública der Angestellten im öffentlichen Dienst und die sozialdemokratische União Geral de Trabalhadores (UGT), die dem Partido Socialista (PS) nahesteht, zu einem Generalstreik im öffentlichen Dienst auf. An diesem ersten Generalstreik seit 2017 am 18. November beteiligten sich zwischen 60 und 90 Prozent der Beschäftigten. Sie protestierten vor allem gegen den Haushalt für 2023, der Lohnsteigerungen um 3,6 Prozent im öffentlichen Dienst vorsieht – viel zu wenig bei einer Inflationsrate von knapp acht Prozent im Jahr 2022.

Um die sozialen Proteste zu dämpfen, plant die portugiesische Regierung erhebliche Eingriffe in den Immobilien­markt und bei den Mieten.

Im Dezember legte dann das Bord- und Kabinenpersonal der Fluggesellschaft TAP Air Portugal die Arbeit nieder. Ein für Ende Januar geplanter zweiter, ausgedehnterer Streik konnte durch Zugeständnisse – mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen – abgewendet werden.

Es folgte ein Streik der Justizbeamten, dann ein Massenprotest der Leh­rer:in­nen am 11. Februar, zu dem bis zu 150 000 Menschen auf den Straßen Lissabons zusammenkamen. Über zwei bis drei Monate zuvor streikten Lehrer:innen wiederholt, tageweise blieben über 300 Schulen geschlossen, so auch zum Schulanfang nach den Winterferien. Hauptgrund für die Streiks sind niedrige Löhne – zwischen 1 100 und knapp 2 000 Euro – und Überlastung im Unterrichtsbetrieb. Das Verfassungsgericht berät noch darüber, ob der Lehrer:innenstreik rechtens war, ob das Grundrecht auf Bildung oder das auf den Arbeitskampf Vorrang hat. Vom 9. bis 17. Februar kam es zu weitreichenden Streiks im Bahnverkehr, die nun wiederaufgenommen werden.

Auch die Ärzt:innen und Pfleger:in­nen des staatlichen Gesundheitswesens traten wiederholt in den Streik. Ihre Gründe sind dieselben wie im Bildungsbereich: zu niedrige Löhne, zu viele Überstunden und chronische Überlastung – schätzungsweise 25 000 Beschäftigte fehlen im portugiesischen Gesundheitssystem, so dass sich 2022 über acht Millionen Überstunden im staatlichen Gesundheitssystem Serviço Naci­onal de Saúde (Nationaler Gesundheitsdienst, SNS) summierten. Im privatwirtschaftlichen Bereich streikten wiederholt die „Rider“, Zusteller:innen von Paket- und Essenslieferdiensten.

Etwas mehr als ein Jahr nach dem triumphalen Wahlsieg, der dem PS des wiedergewählten Ministerpräsidenten António Costa die absolute Mehrheit im Parlament verschaffte, hat der mit wachsendem sozi­alem Unmut zu kämpfen. Er konnte zwar gemeinsam mit Spanien im April vorigen Jahres bei der Europäischen Union durchsetzen, dass durch einen »Gaspreisdeckel« die Energiekosten begrenzt werden können, sollte der Preis für eine Megawattstunde über 180 Euro steigen, zudem werden Übergewinnsteuern von Petrochemie- und Energiekonzernen, aber auch von großen Lebensmittelketten erhoben.

Doch vor allem den Gewerkschaften gehen Costas Hilfsmaßnahmen nicht weit genug, denn sie schaffen keinen hinreichenden Ausgleich für die Preissteigerungen seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Die Gewerkschaften wollen sich mit den vorgesehenen Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst weit unter der derzeitigen Inflationsrate nicht zufriedengeben. Der Mindestlohn wurde zu Jahresbeginn erhöht, bleibt mit etwa 886 Euro pro Monat aber dürftig.

Die Staatsverschuldung lag 2021 bei 127 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, unter den strikten Regeln der EU ist der Spielraum für öffentliche Ausgaben begrenzt. Seit 2015 hatte der PS eine Minderheitsregierung gebildet, die auf wechselnde parlamentarische Allianzen mit dem Linksblock (Bloco de Esquerda), der PCP im Bund mit der Coligação Democrática Unitária (CDU) oder der Partei Pessoas – Animais – Natureza (Personen – Tiere – Natur , PAN) angewiesen war – eine Regierungsform, die als geringonça, improvisierte Lösung, bezeichnet wurde, aber zunächst relativ erfolgreich bei der Überwindung der zuvor herrschenden Austeritätspolitik war. Sie überdauerte die Wahlen 2019, scheiterte aber im Herbst 2021 an der Verabschiedung des Haushalts, so dass erneut gewählt werden musste.

Costa war seit dem Wahlsieg am 30. Januar 2022 gezwungen, mehrere Minis­ter:innen auszuwechseln, Kabinettsmitglieder waren mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert. Zwei Misstrauensanträge gegen seine Regierung sind bereits gescheitert, die absolute Mehrheit dürfte ihm ermöglichen, die Legislaturperiode zu überstehen. Um die sozialen Proteste zu dämpfen, planen Cos­ta und sein Kabinett nun erhebliche Eingriffe in den Immobilienmarkt und bei den Mieten. Wohnraum soll nicht mehr in Ferienwohnungen umgewandelt werden können, die sogenannten Goldenen Visa, die die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen für Groß­in­vestor:innen aus Nicht-EU-Ländern beschleunigen, sollen abgeschafft werden. Zukünftig soll es auch möglich sein, leerstehenden Wohnraum im Eigentum von Banken oder Fonds ohne deren Zustimmung zu vermieten – an Bedürftige, die dann nicht mehr als 35 Prozent ihres Haushaltseinkommens pro Monat bezahlen müssen. Überdies soll die im vergangenen Jahr beschlossene Regelung, die Mieterhöhungen auf zwei Prozent pro Jahr begrenzt, nun auch bei neu geschlossenen Verträgen gelten.