Der autoritäre Präsident El Salvadors, Nayib Bukele, hat sich wiederwählen lassen

Beifall für den Autokraten

Nayib Bukele hat sich als Präsident von El Salvador wiederwählen lassen, obwohl die Verfassung dies eigentlich verbietet. Ein nicht geringer Teil der Bevölkerung bejubelt ihn für sein brachiales Vorgehen gegen die Jugendbanden.

Der neue Präsident von El Salvador ist sein bisheriger. Nayib Bukele selbst verkündete am Abend des 4. Februar die Wahlergebnisse: Er sei mit 85 Prozent der Stimmen im Präsidentenamt bestätigt worden und seine Partei Nuevas Ideas (Neue Ideen) werde künftig 58 von 60 Abgeordneten im Parlament stellen. »Heute hat El Salvador alle Rekorde aller Demokratien in der Menschheitsgeschichte gebrochen«, äußerte Bukele in seiner bescheidenen Art. Dass zu diesem Zeitpunkt die Wahlbehörden noch nicht einmal eine erste Hochrechnung veröffentlicht hatten, hat weder Bukeles An­hän­ge­r:innen noch Ver­treter:innen der Staatsgewalt gestört.

Auch die Berichte von schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei der Wahl – Systemabstürze beim Obersten Wahlrat, Ausschlüsse von unabhängigen Be­ob­ach­ter:innen aus Wahllokalen, Bedrohungen von Oppositionellen und Jour­nalist:innen – stören kaum jemanden. Fast mitleiderregend erklärte Óscar Ortiz, der Generalsekretär der linken Oppositionspartei FMLN, vor nur drei Fernsehmikrophonen, dies seien »die ungeordnetsten und von der meisten in­stitutionellen Gewalt begleiteten Wahlen« seit dem Ende des Bürgerkriegs 1992 gewesen. Selbst wenn dies der Wahrheit entspräche, sind diese Worte vor allem Ausdruck der eigenen Ohnmacht angesichts der Zustände in El Salvador.

Denn Bukele hätte gar nicht erneut kandidieren dürfen, die Verfassung El Salvadors verbietet die unmittelbare Wiederwahl des Staatsoberhaupts. Doch das Verfassungsgericht selbst hat seine Kandidatur für rechtmäßig erklärt. Óscar Martínez, Chefredakteur des regierungskritischen Online-Magazins El Faro, brachte die erste Amtszeit Bukeles auf den Punkt: »Er hat eine Autokratie errichtet, in der jede staatliche Institution unter seiner unmittelbaren Kon­trolle steht.«

Die Wiederwahl des »coolsten Diktators der Welt«, wie Bukele sich selbst einmal bezeichnet hat, beruht auch auf dessen Popularität.

Doch die Wiederwahl des »coolsten Diktators der Welt«, wie Bukele sich selbst einmal bezeichnet hat, beruht auch auf dessen Popularität. Zuletzt genoss er Zustimmungswerte von teils über 90 Prozent. Denn viele Salva­doria­ner:innen rechnen ihm hoch an, die kriminellen Jugendbanden, die Maras, zerschlagen zu haben, die weite Teile El Salvadors seit den neunziger Jahren terrorisierten. Anfang der neunziger Jahre brachten aus den USA abgeschobene Bandenmitglieder die Gangs nach El Salvador. Die Namen der größten zentralamerikanischen Banden, Mara Salvatrucha 13 und Mara Barrio 18, erinnern bis heute an ihre Gründungsorte in der 13. und 18. Straße in Los Angeles. In El Salvador, wo von 1979 bis 1992 ein blutiger Bürgerkrieg tobte, fanden die ankommenden Gang-Mitglieder in den städtischen und ländlichen Elendsgebieten einen fruchtbaren Boden vor.

Der endlose Krieg zwischen den Maras machte El Salvador zeitweilig zum Land mit der höchsten Mordrate der Welt, über 100 Morde pro 100.000 Ein­wohne­r:in­nen und Jahr wurden in den schlimmsten Zeiten verzeichnet. Schätzungen gehen davon aus, dass Anfang 2022 rund 70.000 Salvadorianer, über ein Prozent der Bevölkerung, aktive Gang-Mitglieder waren und insgesamt über zehn Prozent der Bevölkerung passiv von Einkommen aus Raub, Erpressung und Drogenhandel abhängig waren.

Nach Bukeles Amtsantritt am 1. Juni 2019 sanken die Mordzahlen im Land. Er selbst hat dies auf seine harte Politik gegenüber den »Terroristen« zurückgeführt. Doch im März 2022 erlebte El Salvador ein mittlerweile ungewohntes Szenario: An nur einem Wochenende ermordeten die Maras 87 Menschen. Investigativjournalist:innen konnten später beweisen, was schon damals vermutet wurde: Geheime Verhandlungen mit der Regierung waren zur Unzufriedenheit der Maras verlaufen.

Lokale Nichtregierungsorganisationen schätzen, dass ein Viertel der während des Ausnahmezustands Inhaftierten unschuldig ist.

Doch der Gegenschlag der Regierung kam mit einer nie zuvor erlebten Härte. Das Parlament verhängte den Ausnahmezustand, der bis heute gilt. Ordnungskräfte dürfen nun ohne richterlichen Beschluss jede verdächtige Person verhaften. Ein Tattoo, zu weite Hosen oder eine Baseball-Kappe können Grund genug für eine Verhaftung sein. Wer der Mitgliedschaft in einer Bande bezichtigt wird, hat kein Recht mehr auf Strafverteidigung. Der Justiz- und Sicherheitsminister Gustavo Villatoro sagte: »Dieser Krieg gegen die Banden wird weitergehen, bis der Letzte von ihnen im Gefängnis ist.«

Bereits in den ersten beiden Monaten des Ausnahmezustands wurden 35.000 zumeist junge Männer als vermeintliche Mitglieder der Maras verhaftet. Mittlerweile sitzen 75.000 Menschen in salvadorianischen Gefängnissen, was rund 1,6 Prozent der Bevöl­kerung entspricht. Wohl in keinem anderen Land der Welt ist ein so großer Bevölkerungsanteil inhaftiert.

Die Justiz des Ausnahmezustands sieht für die tatsächlichen und vermeintlichen Gang-Mitglieder Massen- und Schnellverfahren via Webcam vor. In wenigen Minuten werden Gruppen teils Dutzender junger Männer zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt. Aus der Haft Entlassene berichten über Parasitenbefall und Epidemien. Die Menschenrechtsorganisation Socorro Jurídico Humanitario zählt 224 Tote in Gefangenschaft seit Beginn des Ausnahmezustands, wobei die Hälfte von ihnen angeblich getötet wurde.

Anfang 2023 verkündete Bukele, die Maras besiegt zu haben: »In kurzer Zeit ist El Salvador vom gefährlichsten Land der Welt zum sichersten Lateinamerikas geworden.« Für 2023 sprach er gar von einem Jahr ohne Mord, eine offensichtliche Falschmeldung. Vor allem darüber, was die neu gewonnene Sicherheit für die Armenviertel im Land bedeutet, wird in der Öffentlichkeit nicht gesprochen. Polizist:innen berichten ­anonym davon, dass örtlichen Polizeibehörden Inhaftierungsquoten vorgegeben werden. Dies deckt sich mit massenhaften Berichten über willkürliche Verhaftungen. Untersuchungen von Polizeiakten haben ergeben, dass »nervöses Verhalten«, »auffälliges Aussehen« oder »anonyme Denunziation« zu gängigen Begründungen für Verhaftungen geworden sind.

Lokale Nichtregierungsorganisationen schätzen, dass ein Viertel der während des Ausnahmezustands Inhaftierten unschuldig ist. Doch der Anteil könnte noch höher liegen: Die Medienorganisation Insight Crime berichtete im September 2023 aus durchgestochenen internen Papieren der salvadorianischen Polizei. Darüber hinaus befinden sich ihnen zufolge noch 43.000 Gang-Mitglieder auf freiem Fuß, 54 bewaffnete Gruppen operieren vor allem im ländlichen Raum.

Die Verfassung El Salvadors verbietet die unmittelbare Wiederwahl des Staatsoberhaupts. Doch das Verfassungsgericht hat Bukeles Kandidatur für rechtmäßig erklärt.

Das Magazin El Faro, das seinen Redaktionssitz mittlerweile nach Costa Rica verlegt hat, berichtete in einer vor der Wahl veröffentlichten Reportage ausführlich über die Situation vieler Armer im Ausnahmezustand. Die Kleinbäuerin Esmeralda schilderte demnach, wie sie und ihr Ehemann grundlos verhaftet worden seien. Sie sei nach acht Monaten freigelassen worden, ihr Mann jedoch immer noch inhaftiert. Mit dem Eintrag »Gang-Mitgliedschaft« in ihrem Führungszeugnis wird Esmeralda wohl nie wieder formell arbeiten können.

Bukele konnte bislang darauf verweisen, durch demokratische Wahlen an die Macht gekommen zu sein. Mit der verfassungswidrigen Wiederwahl habe er nun »eine Diktatur installiert«, so El Faro in einer Kolumne vom 5. Fe­bruar. Noch ist das der großen Mehrheit der Bevölkerung offensichtlich egal. Sie ist zu dankbar dafür, sich nach unzähligen Jahren wieder ohne Todesangst frei bewegen und Kinder unbeaufsichtigt auf der Straße spielen lassen zu können, keine Angst vor Raub und Erpressungen haben zu müssen.

In Lateinamerika, wo viele Länder eine Zunahme der vor allem mit dem internationalen Drogenhandel zusammenhängenden Gewalt erleben, schielt insbesondere die politische Rechte auf das Modell Bukeles. Doch Óscar Martínez prophezeite: »Je weniger beliebt Bukele wird, desto gefährlicher wird er. Noch überdeckt es der Applaus, aber sobald dieser verhallt, werden die lauten Schritte der Militärstiefel zu hören sein.« Am 6. Februar hat die oberste Wahlbehörde eine Neuauszählung der Stimmen aufgrund technischer Probleme angeordnet. Es ist schwer zu glauben, dass sich Bukele seinen Rekordsieg schmälern lassen wird.