Was am Harz klebenblieb
Dass gebrauchte Kaugummis ein lohnender Forschungsgegenstand sein können, bewies vor einigen Jahren eine spanisch-iranische Arbeitsgruppe, die untersuchte, welche Bakteriengemeinschaften sich auf den ausgespuckten Plombenziehern ansiedeln, und dafür 2021 den nicht ganz ernst gemeinten Ig-Nobelpreis in der Sparte Ökologie erhielt.
Das Rumkauen auf zähen, nicht zum Verzehr bestimmten Substanzen ist dabei keine Erfindung der Neuzeit. Die alten Römer und ihre Zeitgenossen etwa nutzten das Harz des Mastix-Baums zur Zahnpflege, aber auch schlicht wegen des aromatischen Geschmacks; der Name Mastix leitet sich vom lateinischen Wort für kauen, »masticare«, ab. Doch auch die antiken Kulturen des Mittelmeerraums waren bei weitem nicht die ersten, die harzige Brocken zu diesem Zweck verwendeten, wie Funde aus der Steinzeit belegen.
Werkzeugfragmente, die in der Nähe gefunden wurden, deuten darauf hin, dass die Brocken weichgekaut wurden, um sie besser verarbeiten zu können, etwa zur Befestigung von Speerspitzen.
Als besonders aufschlussreich erwiesen sich rund 10.000 Jahre alte Flatschen aus Birkenpech, die in den neunziger Jahren in Schweden entdeckt wurden. Darauf verewigte Zahnabdrücke beweisen nicht nur, dass sie einmal in menschlichen Mündern gesteckt haben, sondern verraten anhand ihrer Größe und Morphologie auch das Alter der Urheber:innen: Zwischen fünf und 18 Jahren waren sie alt, die meisten davon Teenager.
Dies dürfte bis heute eine demographische Gruppe mit besonders hohem Kaugummikonsum sein, allerdings ging es in der Urzeit wohl nicht in erster Linie darum, die Kiefermuskeln zu beschäftigen. Birkenpech diente seinerzeit als Universalkleber, der aufwendig hergestellt werden musste, indem man Birkenrinde unter Luftabschluss verkohlen ließ. Werkzeugfragmente, die in der Nähe gefunden wurden, deuten darauf hin, dass die Brocken weichgekaut wurden, um sie besser verarbeiten zu können, etwa zur Befestigung von Speerspitzen.
Dank moderner Techniken zur Extraktion uralter DNA verrät die Kaumasse noch mehr, eine jüngst veröffentlichte Studie ermittelte etwa ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis und die Zugehörigkeit der Jugendlichen zu einer genetischen Gruppe, die als Skandinavische Jäger und Sammler bezeichnet wird.
Da nicht nur menschliches Erbgut an den Böppeln haften blieb, weiß man sogar, was auf dem Speiseplan stand: Hirsch, Forelle, Haselnüsse und möglicherweise auch Rotfuchs – wobei dessen DNA auch durch Bearbeitung von Häuten mit den Zähnen in das Harz gelangt sein könnte, oder schlicht, weil ein Fuchs sein Revier markierte, als das Material schon auf dem Boden lag.
Außerdem fand sich Erbgut von Bakterien, die im menschlichen Mund vorkommen und für Erkrankungen wie Karies und Parodontitis verantwortlich sind, was das Kauen schmerzhaft gemacht haben dürfte. Kaugummikauen war in der Steinzeit möglicherweise eher beschwerliche Hausaufgabe statt Zeitvertreib.