Die Historie des Alfred-Kunze-Sportpark (AKS) in Leipzig-Leutzsch ist eng verbunden mit der der Arbeiterbewegung

Ein Kapitel linker Sportgeschichte im Leipziger Westen

Ein neues Buch beschäftigt sich mit der Historie des Leutzscher Sportparks in Leipzig, die eng verbunden mit der der Arbeiterbewegung ist.

Der Alfred-Kunze-Sportpark, umgangssprachlich AKS, begeistert nicht nur das örtliche, sondern auch ein subkulturaffines Fußballpublikum aus anderen Gefilden. So gibt es wohl kaum einen Stadion-Hopper, der sich noch nicht neben dem Schild »Das mutwillige Zerstören einer Sitzschale kostet bei uns nur 100 Euro« hat fotografieren lassen hat.

Die BSG Chemie Leipzig bietet ein besonderes Fußballerlebnis, es ist ein Verein, der nach Wiederaufnahme des Spielbetriebs unter diesem Namen (das Investorenprojekt, das den Verein unter dem Namen FC Sachsen Leipzig nach oben bringen sollte, war zuvor gescheitert) in der Saison 2008/09 und Neustart in der 12. Liga nun mit dem Aufstieg in den Profisport liebäugelt.

Der Spielort der BSG hat eine lange Geschichte. Seit über 100 Jahren wird an dieser Stelle in Leipzig-Leutzsch Fußball gespielt und geschaut. Verbindende Elemente sind von damals bis heute der Gedanke der Selbstorganisierung von unten sowie das Unangepasstsein. Ein umfangreiches, bildstarkes zweibändiges Stadionbuch, verfasst vom Vorsänger der heutigen Chemie Leipzig-Fanszene, dem Kulturwissenschaftler Alexander Mennicke, führt durch die Jahrzehnte dieser Leipziger Lokalgeschichte.

Die Machtübergabe an die Nazis 1933 führte schon in den ersten Monaten zur Auflösung der Arbeiter­sportvereine in Leutzsch und zur Beschlagnahmung von deren Vereinsvermögen, wozu auch die Sportgeräte gehörten.

Die organisierte Leutzscher Arbeiterkultur begann im Jahr 1892. Nach der Aufhebung der Sozialistengesetze Bismarcks wurde in einer Leutzscher Gastwirtschaft von 117 Menschen der erste Arbeiterverein gegründet. Der Turn- und Sportverein 92 Jahn Leutzsch hatte neben einer Turn auch eine Sängerabteilung. Später trat dieser Verein der SPD bei. Leipzig war während des Ersten Weltkriegs eine Hochburg der kriegskritischen USPD. Während der Weimarer Republik gehörte die Leipziger SPD zum linken Flügel der Partei. Die Leutzscher Turner waren 1893 unter den Mitgründern des Arbeiterturnbundes in Gera. Die Leutzscher Turnabteilung nannte sich 1906 in Turnverein Jahn Leutzsch e. V. um und gehörte zu den ersten Nutzern des ab 1920 Stück für Stück entstehenden Sportpark Leutzsch.

In den Jahren des ausgehenden 19.Jahrhundert war Leutzsch noch nicht Bestandteil der Messestadt Leipzig, die Eingemeindung erfolgte erst 1922. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert war das vor den Toren der Stadt Leipzig gelegene Leutzsch als Industriestandort gewachsen. Günstige Mieten und Baumöglichkeiten ließen den Vorort prosperieren. Arbeiter und Angestellte zog dieser Boom in die Mietskasernen der Peripherie des Leipziger Westens. Für reiche Bürger entstand in Leutzsch zudem ein Villenviertel. Diese wirtschaftliche Potenz machte es der kommunalen Verwaltung nach dem Ersten Weltkrieg möglich, ein Gelände für einen Sportpark zur Verfügung zu stellen und Baukredite zu geben. Zudem gab es auch im Umfeld des Arbeitervereins gutsituierte Mitglieder, die für vom Verein aufgenommene Kredite bürgen konnten.

Nicht nur das Turnen begeistert die Menschen in der Region. Auch der aus England kommende Fußball fand schnell Anhänger. 1900 wurde der Deutsche Fußball-Bund (DFB) in Leipzig gegründet, 1903 der VfB Leipzig erster Deutscher Meister. Der VfB Leipzig und seine Nachfolgevereine unter dem Namen Lok Leipzig sind bis heute die Lokalrivalen der Leutzscher, die sich 1950 als BSG Chemie Leipzig formierten. Die heutige BSG Chemie Leipzig und der 1. FC Lokomotive Leipzig spielen derzeit in derselben Klasse, der Regionalliga Nordost. Die Fans der beiden Vereine tragen ihre Rivalität auf den verschiedenen Ebenen der Fußballfansubkulturen aus.

Begeisterte Fans der »Chemiker« im Leutzscher Alfred-Kunze-Sportpark

Begeisterte Fans der »Chemiker« im Leutzscher Alfred-Kunze-Sportpark

Bild:
Website Chemie Leipzig - DIE GESCHICHTE VON DAMALS BIS HEUTE

Schon aus den frühen Jahren der Weimarer Republik gibt es Berichte über Schlägereien zwischen Anhängern und Spielern Leutzscher Vereine und dem »Nobelclub« VfB Leipzig. Der bürgerliche VfB Leipzig war, anders als die Arbeitersportler, im DFB organisiert. Während das Leutzscher Arbeitermilieu für die Novemberrevolution in Deutschland eine wichtige Rolle spielte, gab man sich beim VfB Leipzig patriotisch und kaisertreu. Bei der Eröffnung des VfB-Stadions im Stadtteil Probstheida 1922 wurde als Vereinsziel »die Erziehung der deutschen Jugend zur vaterländischen Gesinnung« genannt.

Die erste Fußballvereinigung entstand in Leutzsch als »wilder Verein« ohne Verbandszugehörigkeit, gegründet von schulentlassenen Jugendlichen nach Ostern 1906. Im November desselben Jahres erfolgte die Vereinsgründung unter dem Namen Fußball-Klub Viktoria 06 Leutzsch e. V. Ein halbes Jahr später passierte zum ersten Mal das, was vielen Leutzscher Fußballvereinen in den nächsten knapp 100 Jahren passieren wird: Einstellung des Spielbetriebs wegen finanzieller Schwierigkeiten.

Richtig los ging es mit dem Sportpark Leutzsch und insbesondere dem Fußball dort erst nach dem Ersten Weltkrieg. Ein Grund für die in die Breite wachsende Sportbegeisterung dürfte die Einführung des Achtstundentags – vorher waren elf Arbeitsstunden üblich – nach der Novemberrevolution gewesen sein. Die Erfüllung dieser Forderung der Arbeiterbewegung brachte es mit sich, dass nun lohnarbeitende Menschen mehr Freizeit und damit überhaupt Zeit für Sport beziehungsweise Fußballgenuss hatten.

Am 19. September 1920 konnte der Verein sein erstes Turnfest abhalten. Das erste Fußballspiel auf dem neuen Gelände wurde im Oktober 1920 angepfiffen.

Beharrliches Drängen Leutzscher Sportvereine führte 1919 dazu, dass der damalige Oberbauinspektor mit einem Gemeinderatsmitglied eine Dienstreise antrat, um Sportplätze und die dafür nötige Infrastruktur anderer Gemeinden zu besichtigen. Danach erwarb Leutzsch mit einem Darlehen von 200.000 Reichsmark Grundstücke jenseits der Gleise am Nordrand der Gemeinde. Die verkehrsgünstige Lage spielte damals noch keine Rolle, da der Gemeindeplatz nur von örtlichen Bewohnern genutzt wurde. Neben dem Gemeindesportplatz entstand 1921 der Kleingartenverein »Vorwärts«. Bis heute grenzt eine Kleingartenanlage mit Vereinshaus an das Sportgelände.

Zudem beteiligten sich Mitglieder des Turnverein Jahn Leutzsch an den anstehenden Arbeiten. Am 19. September 1920 konnte der Verein sein erstes Turnfest abhalten. Das erste Fußballspiel auf dem neuen Gelände wurde im Oktober 1920 angepfiffen. Die Bauarbeiten gingen parallel zu diesen ersten sportlichen Nutzungen mit Kabinenhäuschen und anderer Infrastruktur weiter. Im folgenden Jahr 1921 wurden Tore für weitere Fußballplätze angeschafft. Im Dezember 1921 wurde auf Betreiben der Gemeinde in Leutzsch erstmals eine Eisbahn angelegt, 21 Paar Schlittschuhe zum Verleih sowie 20 sterile Verbandspäckchen wurden gekauft.

Die bei der Erstellung des Sportplatzes abgeräumte Erde wurde zu kleinen Zuschauerwällen aufgetürmt, die heute noch sichtbar sind. Aus Abrechnungen von Eintrittseinnahmen bei Fußballspielen lassen sich schon für den Herbst 1920 6.500 Zuschauer für ein Spiel in der Kreismeisterschaft des Arbeiter-Turn- und Sportbundes ATSB berechnen. 1919 hatte der ATSB als Verband der Arbeitervereine den bisherigen Arbeiterturnerbund ersetzt.

Der sozialdemokratisch regierten Stadt Leipzig war daran gelegen, die Verhältnisse im Sportpark Leutzsch zwischen den unterschiedlichen Nutzern, dem bürgerlichen Sportverein Sturm 1910 Leutzsch e. V., den Arbeitersportvereinen Jahn und Viktoria und dem Schulsport zu ordnen.

Mit der Eingemeindung Leutzschs fiel der Sportpark 1922 in die Zuständigkeit der sozialdemokratisch regierten Stadt Leipzig. Ihr war daran gelegen, die Verhältnisse im Sportpark Leutzsch zwischen den unterschiedlichen Nutzern, dem bürgerlichen Sportverein Sturm 1910 Leutzsch e. V., den Arbeitersportvereinen Jahn und Viktoria und dem Schulsport zu ordnen. Hierfür war das aus bürgerlichen wie Arbeitersportvereinen paritätisch besetzte Gremium »Gemischter Ausschuss für körperliche Erziehung« zuständig. Als Resultat bekamen die drei Vereine gleich große, den Anforderungen für Fußball entsprechende Flächen, die sie als Pächter selbst verwalteten.

Die Verhältnisse zwischen bürgerlichen Sportvereinen und denen aus der Arbeiterbewegung sind von Konkurrenz und unterschiedlichen Sportvorstellungen geprägt. Während es den bürgerlichen Vereinen vor allem um den sportlichen Wettkampf an sich ging und sie den Sport als Verlängerung einer auf Wettbewerb ausgerichteten Gesellschaft in die Freizeit betrachteten, verbanden die Arbeitervereine politische Agitation sowie erlebte Solidarität mit gemeinschaftlicher sportlicher Betätigung. Der Konkurrenzgedanke sollte nicht der ausschlaggebende Antrieb sein.

Zwischen 1924 und 1926 entstand noch das große Vereinshaus am Sportpark Leutzsch, womit die großen Baumaßnahmen des Turnverein Jahn abgeschlossen waren. Die Machtübergabe an die Nazis 1933 führte schon in den ersten Monaten zur Auflösung der Arbeitersportvereine in Leutzsch und zur Beschlagnahmung von deren Vereinsvermögen, wozu auch die Sportgeräte gehörten. So endete das erste Kapitel linker Sportgeschichte im Leipziger Westen, die ab 1950 mit der Gründung der BSG Chemie Leipzig weitergehen sollte. Die Vereinsakten wurden beschlagnahmt und archiviert, so dass deren Inhalt in diesem Stadionbuch sehr detailliert die Entstehung und der Bau des Sportparks Leutzsch nachvollzogen werden kann.
Buchcover

Alexander Mennicke, BSG Chemie Leipzig (Hrsg.): Sportpark Leutzsch – Über 100 Jahre Alfred-Kunze-Sportpark (zwei Bände). Selbstverlag, Leipzig 2023, 784 Seiten, 59 Euro