Der andere Bauernprotest
»Wir haben es satt«, hieß es am Samstag zum 14. Mal bei der Demonstration für eine nachhaltigere und ökologischere Landwirtschaft in Berlin. Eingeladen hatte das Bündnis »Meine Landwirtschaft«, in dem sich 50 Organisationen aus der Agrarwirtschaft, dem Umwelt- und Tierschutz sowie entwicklungspolitische Gruppen zusammengeschlossen haben. Die Demonstration, die die zentrale Jahresveranstaltung des Bündnisses ist, findet seit 2011 immer im Januar zum Auftakt der größten deutschen Landwirtschaftsmesse, der sogenannten Internationalen Grünen Woche Berlin, statt. Sie grenzt sich inhaltlich von der dort propagierten wachstumsorientierten Agrarpolitik deutlich ab. Die Grüne Woche wird weitestgehend geprägt von konventionellen Agrarunternehmen und der Ernährungsindustrie.
Diesmal demonstrierten 7.000 Menschen, deutlich weniger als sonst. In früheren Jahren gingen bis zu 30.000 auf die Straße. Auch das Interesse der Medien hat deutlich nachgelassen. Das Problem ist, dass sich die Demonstration jedes Jahr wiederholt, inhaltlich wie politisch viel Richtiges bietet, aber nichts Neues, und so immer mehr zu einem Ritual verkommt. Zudem dominieren derzeit agrarpolitisch die Proteste des konservativen Deutschen Bauernverbands (DBV) und der Vereinigung »Land schafft Verbindung«, die Rechten Raum bieten und bei ihnen großen Anklang finden. Von solchen Tendenzen grenzte man sich bei »Wir haben es satt« erfreulicherweise auf wie neben der Bühne klar ab.
Seit Wochen protestieren der Bauernverband & Co. an vielen Orten gegen die Abschaffung der Subventionen für Agrardiesel, ohne dabei allerdings eine grundlegende politische Kritik an der herrschenden Agrarpolitik zu formulieren. Solche Kritik war jahrelang ein Alleinstellungsmerkmal der »Wir haben es satt«-Demonstration, die damit die agrarpolitische Debatte prägte, woran sich viele große Beteiligte – unter anderem Agrarminister:innen von CDU und CSU und der DBV – abarbeiten mussten.
Wenn man die enge Kooperation zwischen dem Gros der NGOs und staatlichen Stellen sieht, liegt der Gedanke nahe, dass sich hier der Staat seine eigene Zivilgesellschaft schafft.
Somit war das Bündnis »Meine Landwirtschaft« Ausdruck einer positiven Veränderung in der deutschen Agrardebatte. Dies hat – ungewollt – etwas mit einer Entscheidung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) aus dem Jahr 2001 zu tun. Als Reaktion auf die heftige Debatte über Massentierhaltung, die die Tierseuche BSE seinerzeit ausgelöst hatte, schob Schröder damals das unbeliebte Agrarministerium seinem grünen Koalitionspartner zu und Renate Künast wurde Agrarministerin. Sollen sich doch die Grünen an diesem heißen Eisen die Finger verbrennen, eingekeilt zwischen aufgescheuchten, hyperventilierenden Verbraucher:innen und dem DBV, dürfte sich die SPD gedacht haben.
Das war etwas komplett Neues: Zum ersten Mal übernahm eine Frau das Agrarministerium, und dann noch eine mit ungewohntem Parteibuch! Bis dahin hatte der Bauernverband faktisch festgelegt, wer von seinen Gnaden aus der Riege von CDU, CSU und FDP im Bund – und meist auch in den Bundesländern – Agrarminister wurde. Kurz zuvor hatte sich 1998 der Bundesverband deutscher Milchviehhalter gegründet, der ein paar Jahre später mit seinen spektakulären Milchstreiks einer größeren Öffentlichkeit bekannter werden sollte. Die meisten seiner Mitglieder kamen aus dem bis dato alles bestimmenden DBV, dessen Vertretungsmonopol dadurch brüchig wurde.
Damit gab es neben der kleineren und eher den Grünen nahestehenden Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) eine weitere kritische bäuerliche Gruppe.
Ende der nuller Jahre gründete sich das Bündnis »Meine Landwirtschaft«, das 2011 begann, alljährlich im Januar eine Demonstration unter dem Motto »Wir haben es satt« zu organisieren. Man entwickelte gute ökologische Positionen, propagierte eine Landwirtschaft, die sich an Kreisläufen orientiert, thematisierte die Kennzeichnung von Gentechnik, setzte sich für die Kontrolle von Bauern und Bäuerinnen über das von ihnen bewirtschaftete Ackerland sowie – von vielen in der Gesellschaft oft unbeachtet – für den freien Zugang zu Saatgut ein und benannte, dass »unsere« Agrarpolitik global Hunger produziert.
Damit wurde in Deutschland erstmals organisationsübergreifend über diese Themen diskutiert und eine Plattform zur Bündelung der diskutierten Alternativen geschaffen. Das Bündnis reicht über die Umweltverbände BUND und Nabu, die kirchlichen Hilfswerke »Brot für die Welt« und Misereor, die AbL, den Deutschen Naturschutzring, den Tierschutzverband, die Deutsche Umwelthilfe und Campact bis hin zu dem linken Exoten Aktion 3. Welt Saar.
Während man inhaltlich plausibel für eine Wende in der Agrarpolitik plädierte, blieb man ansonsten komplett dem Hergebrachten verhaftet: Man appellierte an Staat und Parteien, gab dort fachlich qualifizierte, wissenschaftlich hervorragend unterfütterte Inputs und wunderte sich, dass trotz des konstruktiven Diskurses die Welt weiter so eingerichtet blieb, wie sie war. Adressat:innen der Expertise waren und sind primär das Bundesagrarministerium mit seinen untergeordneten Behörden, die Agrarministerien der Bundesländer und die EU-Kommission.
Wenn man die enge Kooperation zwischen dem Gros der NGOs und staatlichen Stellen sieht, liegt der Gedanke nahe, dass sich hier der Staat seine eigene Zivilgesellschaft schafft. Es gibt keine politischen Impulse aus dem Bündnis, die auf einem weniger staats- und parteifixierten Politikverständnis fußen. So kommt es zu der bizarren Situation, dass seit Jahren inhaltlich weitestgehend die gleichen Redebeiträge von immer denselben Personen und Organisationen gehalten werden. Während man für Vielfalt auf dem Acker eintritt, herrscht bündnisintern in politischer Hinsicht eher Monokultur. So hat beispielsweise die Aktion 3. Welt Saar bis heute faktisch Redeverbot bei der Demonstration. Und auch ansonsten meidet man linke Positionen wie der Teufel das Weihwasser.
Dabei täten linke – oder zumindest eher linke – Positionen dem Bündnis gut und könnten helfen, die schlimmsten Kapriolen zu vermeiden: Beispielsweise die recht pauschale Kritik an der Industrialisierung und Massentierhaltung in der Landwirtschaft. Während diese Begriffe nicht klar definiert und emotional besetzt sind, stellt sich die Frage, wie denn Landwirtschaft in einer Industriegesellschaft anders funktionieren soll als industriell. Die Felder werden mit Maschinen bearbeitet, die industriell hergestellt werden. Die Stallungen werden nicht mit Zeltplanen und in Lehm eingewickeltem Stroh gebaut, sondern mit Beton, Zement und Stahl.
Die Rede von der bösen Industrie transportiert zugleich ein idyllisches und falsches Bild von der guten, heilen Natur. Dabei leben wir nicht in einer Naturlandschaft, sondern in einer Kulturlandschaft, die von Menschenhand gestaltet wird, inklusive Interessenkonflikten um die Nutzung. Wenn dann noch, wie bei der Demonstration geschehen, von agrarfremden Investoren die Rede ist oder ein Spekulationsverbot gefordert wird, dann klingt das nach jener personalisierenden Kapitalismuskritik, die schnell ins offen Antisemitische kippen kann.
Die Demonstration selbst war professionell durchdesignt, konform auf den Politikbetrieb ausgerichtet und wirkte wie der CSD der Agraropposition. Gutgelaunt und mit viel Öko-Habitus trommelt man im doppelten Sinne des Wortes für eine Veränderung in der Agrarpolitik, ohne die systemischen Grenzen des eigenen Tuns zu reflektieren. Grenzwertig und widersprüchlich war zudem, dass zwar dafür geworben wurde, die Agrarwende mit den Bauern zusammen zu gestalten, aber Tierrechtler mitgingen, die aus ihrer Antipathie gegen Bauern und Bäuerinnen, die Tiere halten, was nun mal Bestandteil von Landwirtschaft ist, keinen Hehl machten. Besonders negativ fiel auf, dass die Beteiligung der sogenannten Tierschutzorganisation Peta akzeptiert worden war, die in der Vergangenheit mit fragwürdigen Holocaust-Vergleichen auftrat und der Demonstration mittels metergroßer aufblasbarer Buchstaben, die sich zu »vegan« zusammenfügten, optisch ihren Stempel aufdrückte.
Leider ist es seit Jahrzehnten ein Defizit der Linken, dass Agrarpolitik in ihren Reihen kaum interessiert. Weil das so ist, kommt eben in der Konsequenz nicht viel mehr heraus als diese Demonstration.
Roland Röder ist Geschäftsführer der Aktion 3. Welt Saar, kennt die Arbeit von NGOs aus verschiedenen Perspektiven und nahm wie jedes Jahr an der »Wir haben es satt«-Demonstration teil. Mit Dank an Audrey Biasucci und Tarek Strauch für ihre Impulse.