Die israelischen Fußballprofiligen haben den Spielbetrieb wieder aufgenommen

Kicken im Krieg

In Israel wird wieder Profifußball gespielt. Sportliche Normalität herrscht aber noch lange nicht.

Jerusalem. Mitten im Krieg haben die beiden israelischen Fußballprofiligen nach mehreren Wochen Unterbrechung den Spielbetrieb wiederaufgenommen. Die Begegnungen der Teams finden allerdings ohne Publikum statt – vor allem aus Sicherheitsgründen. Denn im Fall von Raketenangriffen aus dem Gaza-Streifen oder dem Libanon, wie sie sich derzeit ständig ereignen, wäre es für größere Mengen an Stadionbesuchern kaum möglich, rechtzeitig geeignete Schutzräume zu erreichen. In den Richtlinien des israelischen Fußballverbands gibt es eigens Regeln dafür, wie Nachspielzeiten zu berechnen sind, wenn Partien durch Raketenalarm unterbrochen werden.

Auch die Vereine der Amateurligen sollen bald wieder auf den Rasen zurückkehren, obgleich das öffentliche Interesse an sportlichen Wettkämpfen wegen der sicherheitspolitischen Lage eingeschränkt ist. »Das israelische Publikum hat gerade keinen Kopf für Fußball«, sagt der Sportjournalist Shy Nobleman der Jungle World. »Wie kannst du dich denn auch auf ein Spiel konzentrieren, wenn dir jeden Tag Raketen auf den Kopf fliegen und wir um die Menschen bangen, die als Geiseln von der Hamas in Gaza festgehalten werden?« Seine Fußballreportagen beim israelischen Sportkanal Sport 5 haben derzeit kaum Zuschauer. Daher konzentriert er sich gerade auf seinen Zweitberuf als Musiker, fährt zu israelischen Militärbasen in der Umgebung des Gaza-Streifens und spielt dort ehrenamtlich für die Soldaten.

Auf der anderen Seite sieht Nobleman den Wunsch nach Rückkehr zur Normalität. Dementsprechend gemischt sind auch die Reaktionen auf die Wiederaufnahme des Spielbetriebs in den Kommentarspalten der Online-Sportseiten. »Riesenspiel, großes Drama, schöne Tore, interessante Mannschaft. Es war die richtige Entscheidung, zu versuchen, zur Routine zurückzukehren«, kommentierte ein Fußballfan vor zwei Wochen die Zweitligapartie Nof HaGalil gegen Umm al-Fahm auf der Web­site von Sport 5. »Vor wenigen Minuten gab es Luftalarm. Wer interessiert sich denn gerade überhaupt für Fußball?« schrieb hingegen eine andere Kommentatorin.

Während seiner Gefangenschaft als Geisel der Hamas erreichte den mittlerweile freigelassenen neunjährigen Ohad Munder eine Solidaritätsbotschaft seiner Lieblingsfußballmannschaft, Hapoel Be’er Sheva.

In der Krise spielen die israelischen Fußballclubs aber vor allem eine wichtige soziale Rolle. Sie geben den Menschen im Land Kraft und werden gleichzeitig zur Projektionsfläche für Spannungen, die der von der Hamas angeführte Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober, die Entführung von israelischen Geiseln in den Gaza-Streifen und der darauffolgende Krieg in der Gesellschaft des Landes verursachten.

Während seiner Gefangenschaft als Geisel der Hamas erreichte den mittlerweile freigelassenen neunjährigen Ohad Munder eine Solidaritätsbotschaft seiner Lieblingsfußballmannschaft, Hapoel Be’er Sheva, israelischer Pokalsieger 2022. Zu Munders Geburtstag am 23. Oktober, den der Junge in Geiselhaft verbrachte, nahmen die Fußballer des Erstligisten einen Videogruß für ihn auf, den sie auf dem Microblogging-Dienst X posteten. »Lieber Ohad, pass auf dich auf! Wir beten, dass du gesund zu uns zurückkommst«, sagt darin der Trainer und vormalige Kapitän des Teams, Elyaniv Barda. Das Video selbst bekam Munder während seiner Gefangenschaft nicht zu Gesicht, aber er erfuhr indirekt durch einen Mitgefangenen davon, wie die israelische Tageszeitung Yedioth Ahronoth am vorvergangenen Dienstag berichtete.

Während ihrer Geiselhaft im Gaza-Streifen mussten die Verschleppten immer wieder ihren Aufenthaltsort wechseln. So wurde eines Tages ein anderer israelischer Gefangener der Hamas zu Ohad ins Versteck gebracht. Der Neuankömmling habe Ohad zum Geburtstag gratuliert, obwohl die beiden sich nicht kannten. »Woher weißt du, dass ich Geburtstag hatte?« habe Munder ihn gefragt. Der habe geantwortet, er habe in seinem vorigen Versteck im Fernsehen gesehen, dass der Hapoel-Trainer Barda ihm zum Geburtstag gratuliert hatte und außerdem gesagt habe, dass er auf seine Rückkehr warte. Daraufhin sei Ohad in Tränen ausgebrochen. Die Botschaft habe ihm Kraft und Hoffnung gegeben, sagte Ohads Familie Yedioth Ahronoth.

Munder gehörte zu den ersten Geiseln, die vor knapp zwei Wochen im Rahmen einer Waffenstillstandsvereinbarung zwischen Israel und der Hamas freikamen. In der Geburtstagsvideobotschaft an ihn hatte ihm neben Barda auch der Stürmer Alon Turgeman gratuliert: »Ich verspreche dir, dass wir, sobald du zurückkommst, deinen Geburtstag feiern werden, so wie du es dir wünschst.« Dieses Versprechen lösten die Spieler dann auch ein. Einen Tag nach Ohads Rückkehr besuchten sie ihn im Schneider-Kinderkrankenhaus in Petach Tikva, wo mehrere der freigelassenen Geiseln unmittelbar nach ihrer Rückkehr nach Israel ihre Familien trafen und versorgt wurden. Bilder von der Zusammenkunft liefen immer wieder im Fernsehen und wurden zu einem Symbol der Hoffnung für die Solidarität mit den Entführten.

»Der israelische Fußball wird von der Solidarität der Fangemeinden bestimmt«, teilt der Sportjournalist Ron Amikam der Jungle World mit. »Am 7. Oktober wurden Mitglieder dieser Gemeinschaft ermordet, verletzt und gekidnappt. In Zeiten einer solchen nationalen Krise stiftet der Fußball Unterstützung und Identität.«

»Einer Person wird die Staatsbürgerschaft nicht aberkannt, weil sie ein Banner nicht festhält. Ich schlage vor, dass wir uns mit der wichtigen Aufgabe befassen, der Sicherheit Israels zu gewährleisten, und weniger mit Populismus, der auf Sympathien für eine rivalisierende Fußballmannschaft beruht.« Innenminister Moshe Arbel

Zum Politikum wurde eine Solidaritätsaktion für die von der Hamas verschleppten Geiseln vor einem Match zwischen Maccabi Haifa und Hapoel Petach Tikva am vorvergangenen Wochenende. Vor dem Anpfiff stellten sich die Spieler beider Teams hinter ein Banner, auf dem zu lesen war: »Bring them home now«. Im Unterschied zu den Petach-Tikva-Spielern, die das Banner alle festhielten, stellten sich einige der Haifa-Spieler einfach nur hinter das Spruchband, ohne es zu berühren. »Eine Schande«, titelte die israelische Sportwebsite One nach der Partie, die Haifa 2:1 für sich entscheiden konnte.

Das sportliche Ergebnis schien niemanden mehr zu interessieren. In den Medien ging es nur noch um die Spieler – allesamt Zugänge aus dem Ausland –, die das Banner nicht berührt hatten. Unter ihnen: der Rechtsverteidiger und schwedische Nationalspieler Daniel Sundgren, der vor kurzem die israelische Staatsbürgerschaft erhalten hatte. Israels Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir von der rechtsnationalistischen Partei Jüdische Kraft, forderte prompt, Sundgren die Staatsbürgerschaft wieder abzuerkennen.

Die Forderung wurde ebenso prompt von Innenminister Moshe Arbel zurückgewiesen. Dieser antwortete Ben-Gvir: »Einer Person wird die Staatsbürgerschaft nicht aberkannt, weil sie ein Banner nicht festhält. Ich schlage vor, dass wir uns mit der wichtigen Aufgabe befassen, der Sicherheit Israels zu gewährleisten, und weniger mit Populismus, der auf Sympathien für eine rivalisierende Fußballmannschaft beruht.« Arbel spielt darauf an, dass Hapoel Petach Tikva sich hoher Beliebtheit erfreut, weil sich der Verein seit einer Insolvenz im Jahr 2019 im Besitz seiner Anhänger befindet.

44 Anhänger und Anhängerinnen von Maccabi Haifa wurden bei dem Massaker der Hamas ermordet. Kürzlich wurde bekannt, dass der 27jährige Haifa-Fan Ofer Tzarfati in der Geiselhaft der Hamas ums Leben gekommen ist.

Ein anderes politisches Ereignis, das den Sport bei Maccabi Haifa überschattete, begann mit einem Instagram-Post von Narmin Saba, der Ehefrau von Haifas arabisch-israelischem Mittelstürmer Dia Saba. Am 17. Oktober teilte sie im Rahmen einer Instagram-Story einen Post, in dem es Medienberichten zufolge in Bezug auf den Militäreinsatz der israelischen Armee in Gaza hieß: »Auch in Gaza gibt es Kinder.« Und weiter: »Es gibt keinen Unterschied zwischen einem Kind und einem Kind.« Haifa-Fans warfen ihr deshalb vor, sie setze die Operation der israelischen Armee im Gaza-Streifen mit dem vorausgegangenen Massaker der Hamas vom 7. Oktober gleich. One kritisierte, Saba habe den Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober »nicht eindeutig verurteilt«.

Die Wut der Maccabi-Haifa-Fans kommt nicht von ungefähr: 44 Anhänger und Anhängerinnen des Vereins wurden einem Bericht der Washington Post zufolge bei dem Massaker der Hamas ermordet. Kürzlich wurde bekannt, dass der 27jährige Haifa-Fan Ofer Tzarfati in der Geiselhaft der Hamas ums Leben gekommen ist.

Saba löschte die umstrittene Story, wies die gegen sie gerichtete Vorwürfe zurück und teilte mit, dass sie die Angriffe der Hamas selbstverständlich verurteile. Doch seit der Veröffentlichung ihres ursprünglichen Posts wurde ihr Mann, der höchstbezahlte Spieler Haifas, nicht mehr aufgestellt. Israelische Medien spekulieren derzeit über eine kurz bevorstehende Trennung zwischen Saba und dem Verein. Yedioth Ahronoth berichtete, dass es schon vor dem 7. Oktober und damit vor dem Instagram-Post seiner Frau Unstimmigkeiten zwischen dem Stürmer und Haifas neuem Trainer Messay Dego gegeben habe. Der ebenfalls für Yedioth Ahronoth tätige Sportjournalist Gad Lior zeigt sich gegenüber der Jungle World jedoch davon überzeugt, dass Sabas faktische Suspendierung keine sportlichen Gründe habe.