Wirtschaftsminister Robert Habeck will die deutsche Industrie mit Subventionen retten

Die Wertschöpfung in Deutschland halten

Wirtschaftsminister Robert Habeck sorgt sich um die deutsche Industrie. Seine kürzlich vorgelegte Industriestrategie enthält unter zahlreichen unternehmerfreundlichen Forderungen auch den Vorschlag, energieintensive Konzerne staatlich zu subventionieren.

Als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Ende Oktober in Berlin seine neue Industriestrategie vorstellte, war er voll des Lobes für das verarbeitende Gewerbe in Deutschland. Innovativ sei es, vielfältig und eine »Stütze des Wohlstands«. Und das müsse so bleiben, trotz der derzeitigen Probleme.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für dieses Jahr mit einem Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent; alle anderen G7-Länder können demnach mit einem geringen Wachstum oder zumindest Stagnation rechnen.

Habecks Programm mit dem Titel »Industriepolitik in der Zeitenwende« soll den Weg aus dieser Krise weisen. Auf rund 60 Seiten legt es dar, wie die deutsche Industrie zukunftsfest gemacht werden soll – trotz weltpolitischer Konflikte, hoher Energiepreise, seit 25 Jahren verschleppter Modernisierung der Infrastruktur und des eklatanten Mangels an qualifizierten Arbeitskräften. Beim Lesen entsteht der Eindruck, Hunderte Tonnen schwere Industrieanlagen ständen schon zusammengepackt an der Bahnsteigkante, weil die Bedingungen in der Bundesrepublik so miserabel seien.

Der Staat soll mittels »gezielter Anreize« darauf hinwirken, dass ältere Menschen »freiwillig länger arbeiten«.

Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie müsse gestärkt werden, auch ein Ausbau von Schienen-, Straßen- und Glasfasernetz ist vorgesehen. Damit dem weniger lästige Regulierung im Wege steht, will das Ministerium »Deutschland entkrusten« und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Die Vorschriften zum Artenschutz sollen »vereinfacht« werden und die »Nachhaltigkeitsberichterstattung« – die die früheren »Umweltberichte« abgelöst hat – soll ebenfalls einem »Praxis-Check« unterzogen werden. Neue Technologien sollen in »Reallaboren« getestet werden, um schneller zugelassen und etabliert zu werden.

Dem Arbeitskräftemangel soll unter anderem ein Ausbau der Kinderbetreuung entgegenwirken, damit Eltern (meist Mütter) weniger von der Berufstätigkeit abgehalten werden. Der Staat soll zudem mittels »gezielter Anreize« darauf hinwirken, dass ältere Menschen »freiwillig länger arbeiten«. Wichtig sei außerdem die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen und die Erleichterung der »Fachkräfteeinwanderung«.

Unterstützen, fördern, »entkrusten«, vereinfachen, anreizen: »Der Industrie« soll unter die Arme gegriffen werden, wo es nur geht. Das ist der Grundsatz, der sich durch das gesamte Strategiepapier zieht: »Die Verbesserung der Angebotsbedingungen müssen den Schwerpunkt der zweiten Halbzeit der Bundesregierung bilden.« In den nächsten vier Jahren seien »steuerliche Anreize für Investitionen und für die Entlastung von Wirtschaft und Industrie in einem Umfang von 50 Milliarden Euro geplant«, verlautete das Ministerium.

Bei einer wichtigen Forderung Habecks herrscht in der Bundesregierung jedoch bisher Uneinigkeit: dem sogenannten Industriestrompreis, also einer staatlichen Subvention der Stromkosten für die besonders energieintensive Indus­trie. Denn diese Branchen – beispielsweise die Herstellung von Zement, Papier, Glas, Chemie- und Metallprodukten – leiden besonders unter den hohen Energiekosten. Seit vergangenem Jahr geht die energieintensive Produk­tion in Deutschland zurück.

Nicht nur der Konflikt mit Russland und die sich vollziehenden technologischen Entwicklungen und entsprechenden Konkurrenzkämpfe, sondern auch die Industriepolitik Chinas und der USA, die hohe »Subventionen für Transformationstechnologien« zahlten, machten es notwendig, die »Wirtschaftssicherheit« Deutschlands zu priorisieren, argumentiert das Bundeswirtschaftsministerium.

Habeck hatte im vergangenen Jahr mit Katar eine »langfristige Energiepartnerschaft« zur Lieferung von Erdgas als Alternative zum Import aus Russland vereinbart, und auch der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen soll wieder zu niedrigeren Energiepreisen führen, was jedoch noch dauern wird. So helfen derzeit nur staatliche Zuschüsse, um die Profitabilität der Industrie zu erhalten, argumentiert das Strategiepapier. »Brückenstrompreis« nennt Habeck das, um zu unterstreichen, dass es sich um eine temporäre Lösung handeln soll, zunächst bis 2030.

Fünf Milliarden Euro im Jahr würde das Schätzungen zufolge kosten. Die FDP lehnt die Subventionen deshalb ab, auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unterstützt sie bisher nicht. Doch neben den Industrieverbänden, deren Mitglieder profitierten würden, unterstützen auch Industriegewerkschaften wie die IG Metall Habecks Plan. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) bevorzugt stattdessen eine Senkung der Stromsteuer, von der alle Unternehmen profitieren würden.

Der Ökonom Clemens Fuest, Präsident des meist unternehmerfreundlich Ifo-Instituts, erklärte im Gespräch mit der Wirtschaftswoche, warum aus wirtschaftsliberaler Sicht Subventionen falsch seien: Energie werde »in Deutschland dauerhaft teuer sein«, daran könnten auch Subventionen nichts ändern. Die energieintensive Industrie zu subventionieren, sei deshalb sinnlos und sogar gesamtwirtschaftlich schädlich. Schuld sei die Regierung, die, unbeirrt von Russlands Beendigung der Erdgaslieferungen, am Ausstieg aus der Atomkraft festgehalten habe und auch die Förderung von Erdgas in Deutschland mit Hilfe der Fracking-Technologie ablehne. Die Folgen könnten dramatisch sein, so Fuest: »Wenn die energieintensive Industrie abwandert, stellt sich die Frage, ob wir die verlorene Wertschöpfung ersetzen können. Wir reden hier immerhin über 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.« Nun müsse man notgedrungen den »Strukturwandel bejahen, auch wenn er riskant ist«.

Im Vergleich zu dieser Position erscheint Habecks Industriestrategie als der Versuch, mehr Staatsinterventionismus zu rechtfertigen. Die weltpolitische Lage mache es nötig, sich aktiv um den Erhalt des Industriestandorts zu bemühen. Nicht nur der Konflikt mit Russland und die sich vollziehenden technologischen Entwicklungen und entsprechenden Konkurrenzkämpfe, sondern auch die Industriepolitik Chinas und der USA, die hohe »Subventionen für Transformationstechnologien« zahlten, machten es notwendig, die »Wirtschaftssicherheit« Deutschlands zu priorisieren, argumentiert das Bundeswirtschaftsministerium.

Die Abhängigkeit von China soll vermindert, Handelsbeziehungen in Südamerika und dem indopazifischen Raum sollen vertieft werden.

Das Ziel sei es, aufzubauen, »was uns sichert«: Die »Resilienz« des deutschen Wirtschaftsstandorts soll angesichts der sich verschärfenden weltpolitischen Konflikte gestärkt werden. Dafür sollen neue Handelspartner gesucht und die deutschen Unternehmen vor der Übernahme ihrer Technologie durch ausländische Konkurrenten besser geschützt werden. Außerdem sollen Produktionskapazitäten in Deutschland erhalten und in bestimmten Branchen ausgebaut werden; »das gilt natürlich zuallererst für die Rüstungsindustrie«, aber auch die Halbleiterherstellung und »zentrale Technologien für die Energiewende und für die Dekarbonisierung der Indus­trie« wie Photovoltaik, Windenergie oder Batterien werden als Schlüsseltechnologien genannt.

Außerdem sollen deutsche Unternehmen aktiv bei der Erschließung neuer »Beschaffungs- und Absatzmärkte« unterstützt werden. Die Abhängigkeit von China soll vermindert, Handelsbeziehungen in Südamerika und dem indopazifischen Raum sollen vertieft werden. Zudem will der Minister Engpässe bei der Lieferung von Rohstoffen und Risiken durch Abhängigkeit von wenigen Lieferanten abbauen. Dafür soll die Kreislaufwirtschaft gestärkt, aber auch der heimische Rohstoffabbau »erleichtert« werden.

Fast verlegen ist im Strategiepapier die Rede davon, dass sich der Staat mit der geforderten Industrieförderung »zum Teil über Marktmechanismen hinwegsetzt« und womöglich Ressourcen bindet, die »anderswo eingesetzt werden könnten«. Dass die FDP da Schnappatmung bekommt, liegt auf der Hand.

Aber auch wer sich beispielsweise für die Finanzierung des Sozialstaats oder Investitionen in die öffentliche Infrastruktur interessiert, muss sich fragen, warum der Minister bei dank »Schuldenbremse« ohnehin knappem Bundeshaushalt Geld samt und sonders für solche Vorhaben aufbringen will, von denen zunächst die Besitzer:innen der Produktionsmittel profitieren werden. Die beschworene Krisenstimmung und die Erklärung der »Sicherung des Industriestandorts« zur obersten Priorität machen es möglich.