Nachruf auf den Musiker und Labelbetreiber Armin Hofmann

Kein Auflehnungskitsch

Am 15. August starb der Musiker, Labelbetreiber und Plattenhändler Armin Hofmann. Obwohl nicht übermäßig bekannt, war sein Label und Mailorder X-Mist ein wichtiger Bezugspunkt für die Punk-und Hardcore-Szene – nicht nur in Deutschland.

Punk-Mythen kreisen in der Regel um Bands. Zu Legenden werden zumeist früh verstorbene Sänger, die sich allzu schonungslos verhielten, oder Gruppen, die ein Subgenre oder eine ganze Bewegung lostraten. Schlüs­selfiguren, die überwiegend im Stillen wirkten, entziehen sich hingegen der breiten Aufmerksamkeit. Wenn sie nicht mehr leben, ist die Lücke, die sie hinterlassen, umso größer.

Das gilt insbesondere für Armin Hofmann, dessen Label X-Mist nicht in einer großen und für Punk bekannten Stadt, sondern im Schwarzwald ansässig war, allerdings über einen Einfluss verfügte, der deutlich über Baden-Württemberg hinausreichte. 1960 geboren und im schwäbischen Wildberg aufgewachsen, machte Hofmann aus dem benachbarten Nagold einen informellen, dafür umso wichtigeren Knotenpunkt der globalen Hardcore-Szene.

Als Jugendlicher wurde er durch den legendären Auftritt der Zürcher Punkband Kleenex im Dezember 1978 im Schweizer Fernsehen, bei dem sie eine Playback-Version ihres Songs »Nice« präsentierten, zum Bass-Spielen motiviert. Hofmann, soeben 18 Jahre alt geworden, sei »völlig baff und fasziniert« von den vier Musikerinnen gewesen, wie er einmal in einem Interview mit dem Fanzine Ox erzählte: »Einerseits waren die – technisch betrachtet – echt nicht sonderlich gut, aber andererseits so voller Überzeugung, Energie und Selbstbewusstsein, dass ich mir dachte: Das ist ja voll der Schrott, aber so unfassbar geil! Das will ich auch!«

Weil Kassetten damals das schnellste Tauschmedium für Musik und Ideen waren, gründete Hofmann ein eigenes Tape-Label namens »Ex­tremMist«, das für einige Jahre bestand.

Unabhängig von »Können, Peinlichkeit oder anderen Kriterien (als meinen eigenen)«, wie er in einer anderen autobiographischen Auskunft mitteilte, widmete er sich fortan Klangexperimenten. Mit seinem Bruder Andy gründete er die Band Brüder Hofmann, die 1982 einige Stücke zum Kassetten-Sampler »Wir sind Brüder« beitrug, der auf Klaus Schmidbauers Label Intoleranz! erschien. Ein Song umriss bereits das zukünftige Programm: »Ich steh auf Provinz«.

Weil Kassetten damals das schnellste Tauschmedium für Musik und Ideen waren, gründete Hofmann ein eigenes Tape-Label namens »Ex­tremMist«, das für einige Jahre bestand. Mit dem Wechsel zur Schallplatte wurde das Wortspiel Mitte der achtziger Jahre durch X-Mist ersetzt; 1985 erschien als erste Veröffentlichung eine Split-Single von Spermbirds und Walter 11, beides Bands aus Kaiserslautern. Hofmann spielte zu dieser Zeit mit seinem Bruder und drei Mitstreitern bei den bundesdeutschen Hardcore-Pionieren Skeezicks und organisierte Konzerte im örtlichen Jugendzen­trum, weswegen sich Nagold rasch zu einer wichtigen Station für in Westeuropa tourende Bands entwickelte. Fugazi traten hier bereits 1988 auf, als sie gerade mal ihre erste EP parat hatten.

Im Sommer 1989 nahm Hofmann gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau Ute Prigge, mit seinem Bruder sowie mit Jason Honea von den just aufgelösten Social Unrest unter dem Namen Happy Ever After einige Songs auf, von denen manche erst ein Vierteljahrhundert später, 2014, als 100. X-Mist-Release, erscheinen würden. Es sollte seine letzte musikalische Betä­tigung sein, danach konzentrierte er sich auf das Label, wo vorrangig Musik erschien, die ihm etwas bedeutete. Zahlreiche Punk- und Hardcore-Bands fanden dort einen Ort für genuines Ausprobieren vor, dem sie Zeit ihrer Existenz treu blieben oder den sie als Sprungbrett hin zu größeren Labels nutzten.

Der X-Mist-Mailorder entwickelte sich derweil zu einer unerlässlichen Vinyl-Bezugsquelle für all jene, die von der Welt als solcher entfremdet, von der Oberflächlichkeit von Indie gelangweilt sowie vom musikjournalistischen Diskursgequatsche der neunziger Jahre unbeeindruckt waren. Dort gab es alles, was der örtliche Plattenladen nur widerwillig bestellt hätte oder gar nicht erst beziehen konnte: Veröffentlichungen aus dem lesbischen Underground des Pacific Northwest, Platten aus dem DIY-Umfeld von Slampt in Newcastle oder die abgedrehten Kracher vom Label Gravity aus San Diego – nebst weitaus Obskurerem, deutlich Seltenerem und heute völlig Vergessenem aus Mikroszenen aus aller Welt. Genauer gesagt: Vieles, sehr vieles mehr, sicherlich Abertausende Titel über die Jahrzehnte, die Hofmann Single um Single, LP um LP selbst anhörte, um sie anschließend mit eigenen Infotexten zu versehen, anstatt die Vorlagen der jeweiligen Labels zu recyclen. Die Website von X-Mist blieb dabei von Anfang an unprätentiös. Bis heute wirkt sie demonstrativ wie ein Mittel zum Zweck.

Wer in Sachen Punk eine Frage hatte, konnten sich jederzeit an ihn wenden – egal ob es um eine Tour oder um die Gründung eines Labels ging, um Vertriebsfragen oder um Druckerzeugnisse.

Daneben gab es in den neunziger Jahren noch das Fanzine Plot, das Hofmann mit herausgab und das so vielen Pseudorebellen, Dummschwätzern und Posern auf die Füße trat wie irgend möglich, sowie den X-Mist-Laden in Nagold, der zugleich als Konzertort diente. Irgendwann wurde das Anwesen verkauft, der Gesandte des neuen Eigentümers machte sich bei Hofmann und Prigge folgendermaßen vorstellig: »Guten Tag, ich bin Ihr neuer Hausverwalter und ich muss Ihnen gleich mal sagen, dass Sie viel zu wenig Miete zahlen!« Ein Umzug war unumgänglich, und die neue Adresse von X-Mist führte nun zu einem Reihenhaus in Nagold.

Damit waren zwar die Konzerte passé, von dort wurden aber wie gehabt Pakete in alle Welt verschickt, während Hofmann weiterhin Freunde und Bekannte empfing und bei einem Bier – selbstredend Tannenzäpfle – mit Nachdruck die 2012 veröffentlichte Diskographie von Nōh Mercy empfahl. Die Band aus San Francisco galt ihm als Inbegriff von Punk: Dreieinhalb Jahrzehnte zuvor, Ende der siebziger Jahre, hatte das weibliche Duo unter der Devise »No boys on guitars!« für Aufregung in der Bay Area gesorgt, um dann weitgehend in Vergessenheit zu geraten. Frauen als Avantgardistinnen blieben für Hofmann enorm wichtig – sicherlich eine Nachwirkung seiner frühen Prägung durch Kleenex, aber auch exemplarisch für sein Verständnis von Rebellion und Ausdruck seiner Wertschätzung des Ephemeren, das in einem bestimmten Moment all das auf den Punkt bringt, was es gerade zu sagen gibt.

Wer in Sachen Punk eine Frage hatte, konnten sich jederzeit an ihn wenden – egal ob es um eine Tour oder um die Gründung eines Labels ging, um Vertriebsfragen oder um Druckerzeugnisse. Die Antwort fiel immer ehrlich, realistisch und prägnant aus, was den jeweiligen Emp­fänger aber nicht selten irritierte, wie folgendes Zitat aus einer E-Mail von 2014 zur Frage, ob es sich lohne, Promo-Material an Redaktionen zu senden, zeigt: »ich hasse es, promos zu verschicken, weil fast alle leute, die reviews schreiben, kleinkarierte vollidioten sind. entweder sie haben einen völlig festgefahrenen ›geschmack‹, oder sie hängen sich an die aktuellsten hypes … tut mir leid, aber mir fällt dazu wirklich nichts positives ein – und je länger ich darüber nachdenke, desto negativer wird meine stimmung … «

In einer anderen Nachricht zu einer Single, die ihm zum Weiterverkauf im X-Mist-Mailorder vorgeschlagen wurde, schrieb er: »weiss nicht, was die band damit ausdrücken will, bzw. was die motivation dahinter sein soll, solch belanglose musik zu machen? dementsprechend schwer würde es mir fallen, das zu verkaufen … «

Sein Urteil saß bis zuletzt. Den gegenwärtigen Trend zu Veröffentlichungen auf Kassetten etwa hielt er »in erster Linie und größtenteils für kompletten Schwachsinn«, wie er in einem Interview mit dem Fanzine Trust bekundete, dem X-Mist anfangs verbunden gewesen war: »Ich werde dabei das Gefühl nicht los, dass es sich um ›coole‹ Objekte handelt, mit Vintage-Appeal sozusagen, die nur dazu dienen, einen noch größeren Exklusivitätsfaktor zu haben, noch nerdiger und damit auch hip zu sein. Das ist dann das pure Aufplustern des eigenen kleinkarierten Egos von Menschen mit einer Briefmarkensammler-Mentalität.«

Armin Hofmann teilte an den richtigen Stellen mit den richtigen Worten aus und verteilte zugleich die richtigen Platten.

Solche Bemerkungen waren nie auf das eigene Coolsein bedacht, sondern zielten stets darauf ab, das Falsche aufzudecken, das auch jene Kreise hervorbringen, die sich a priori für die besseren Menschen halten. Aus Hofmanns schroff wirkenden Gesten sprach durchweg Aufrichtigkeit. Das galt sowohl für das ästhetische Urteilsvermögen – wenn er etwas für schlecht befand, war dies ausnahmslos gut begründet – wie auch für Vertriebliches: Personen, die ihm einst ein paar Platten in Kommission überreicht hatten, konnten selbst dann, wenn ihr jeweiliges Label längst Geschichte war und es erst nach Jahrzehnten zu einem Wiedersehen kam, damit rechnen, den einst ausgemachten Betrag ausbezahlt zu bekommen – egal, wie hoch oder niedrig dieser war.

Leuten aus dem Ländle dürfte seine Mischung aus Ehrlichkeit, Geradlinigkeit und Direktheit nebst Bescheidenheit im Auftritt etwas weniger ungewöhnlich angemutet haben als Nichtschwaben. Universell verständlich und höchst erfreulich war die Interaktion mit ihm immer dann, wenn er seine unvergleichliche Hilfsbereitschaft beweisen konnte, weil ihn etwas ansprach. Sein Enthusiasmus beschränkte sich ohnehin nicht auf eng umrissene Musikgenres: Er mochte Hunde, fuhr sehr gern Ski und interessierte sich für minoritäre Sprachen und Dialekte, darunter das in Timau gesprochene Tischlbongarisch.

2022 erstellten die Ärzte eine furchtbare Diagnose. Obwohl nicht mehr viel Zeit blieb, lief X-Mist dank Prigge, die ihrem Mann bis zuletzt beistand, wie gewohnt weiter. In der Nacht zum 15. August 2023 erlag Hofmann in Nagold einem Krebsleiden. In »Beri-Beri«, einem Kleenex-Song von 1978, der um eine prägnante Bassline herum aufgebaut ist, heißt es: »Give it out, do it better/And each day you’ll feel nicer«. Falls diese Losung jemals wie ein maßgeschneidertes Credo zu einem Individuum gepasst hat, war im Schwarzwald vorgelebt worden, wie es geht. Für immer Punk, ganz ohne den damit üblicherweise einhergehenden Auflehnungskitsch: Armin Hofmann teilte an den richtigen Stellen mit den richtigen Worten aus und verteilte zugleich die richtigen Platten. Schon damit machte er vieles besser als viele andere in dieser Szene. Und er gab sehr vielen Menschen sehr viel, so dass sich diese in einer schlecht eingerichteten Welt jeden Tag etwas besser fühlen konnten.

Zur Erinnerung an Armin Hofmann wurde ein Blog eingerichtet, der unter armin-x-mist.blogspot.com aufgerufen werden kann.