Die Regierungsbildung in Spanien verzögert sich wegen Patt nach Parlamentswahl

Die Entscheidung fällt in Waterloo

Nach den Wahlen in Spanien liegen rechte und linke Parteien gleichauf. Katalanische Separatisten entscheiden darüber, ob der sozialdemo­kratische Ministerpräsident Pedro Sánchez eine Regierung bilden kann.
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Granada. Über die Regierungsbildung in Spanien entscheidet nun ein mit Haftbefehl gesuchter, im belgischen Waterloo lebender separatistischer Europaabgeordneter. Das von Carles Puigdemont gegründete liberal-konservative Wahlbündnis Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien) hat im Abgeord­netenhaus, dem Unterhaus des spanischen Parlaments, sieben Mandate ­ge­wonnen. Ohne diese dürfte eine Mehrheit für die Wahl des Minister­prä­si­­denten kaum zustande kommen. ­Puigdemont hat den Vorsitz von Junts zwar im vorigen Jahr abgegeben, hat in der Partei aber immer noch das Sagen. Unklar ist allerdings, ob er sich zur Unterstützung einer Regierung des verhassten Zentralstaats bereitfinden wird.

Undenkbar ist, dass Junts einer Regierung des rechtskonservativen Partido Popular (PP) und der rechtsextremem Vox (Stimme) zur Mehrheit verhelfen wird – jenen Kräften, die die Strafverfolgung gegen ihn und andere separatis­tische katalanische Politiker:innen gefordert und unterstützt haben.

Der PP-Vorsitzende Alberto Núñez Feijóo ließ zwar in der Wahlnacht Konfetti auf sein Haupt regnen, immerhin hatte seine Partei mehr als zwölf Prozentpunkte und 47 Sitze hinzugewonnen; zu den Wahlverlierern aber gehörte Vox, die Partei büßte etwa 2,7 Prozentpunkte und damit, da das spanische Wahlrecht große Parteien begünstigt, 19 Mandate ein. Mit einem Mandat für den PP-Ableger Unión del Pueblo Navarro (UPN) kamen die rechten Parteien ersten Ergebnissen zufolge auf 170 Mandate, sechs weniger, als für die abso­lute Mehrheit erforderlich sind.

Somit ist die Strategie der Regierungsparteien aufgegangen. Nach dem Debakel des sozialdemokratischen PSOE und des linken Bündnisses Unidas Podemos bei den Regional- und Gemeindewahlen am 28. Mai zog Ministerprä­sident Pedro Sánchez die Parlamentswahlen auf den 23. Juli vor. Gemeinsam warnten Sozialdemokrat:innen und das um einige Organisationen erweiterte, nun als Sumar (Zusammenzählen) antretende linke Bündnis vor einer möglichen Koalition der Konservativen und extremen Rechten – mit Erfolg. Die Wahlbeteiligung lag mit 70,4 Prozent etwa vier Prozentpunkte höher als 2019.

Der mit Haftbefehl gesuchte, im belgischen Exil lebende katalanische Separatist Carles Puigdemont entschied sich in der Vergangenheit stets für die Konfrontation.

Der PSOE blieb mit 31,7 Prozent der Stimmen und, wie zunächst prognostiziert wurde, 122 Mandaten zwar hinter dem PP (33 Prozent) zurück und Sumar liegt mit 31 Mandaten und 12,3 Prozent knapp hinter Vox. Doch kann eine Regierungskoalition der beiden auf die Stimmen einiger regionalistischer und separatistischer Parteien zählen. So sagte die baskische separatistische Allianz EH Bildu, die sechs Mandate errungen hat, unter Oskar Matute ihre Unterstützung zu. Man stelle keine For­derungen, hieß es, da es darum gehe, eine rechts-rechtsextreme Regierung zu verhindern. Mit den sieben Stimmen der katalanischen Esquerra Republicana de Catalunya (Republikanische Linke Kataloniens, ERC) und möglicherweise den fünf der konservativen baskischen Nationalpartei PNV schien eine linke Regierungskoalition zunächst 172 Stimmen auf sich vereinigen zu können und damit knapp vor den rechten Parteien zu liegen.

Doch nach der Auszählung der Stimmen im Ausland lebender Wähler:in­nen fiel ein Mandat für Madrid vom PSOE an den PP, beide Blöcke liegen nun mit jeweils 171 Sitzen gleichauf. Die sieben Stimmen von Junts sind noch wichtiger geworden. Bei der Wahl des Ministerpräsidenten genügt im zweiten Wahlgang eine einfache Mehrheit, daher hätte beim zunächst prognostizierten Stimmenvorsprung eine Enthaltung von Junts ausgereicht, um Sánchez wiederzuwählen. Nun bedarf es der Zustimmung von zumindest einem oder einer Junts-Abgeordneten.

Wegen der strikt zentralstaatlichen Ausrichtung von PP und Vox und des repressiven Vorgehens gegen separatistische Kräfte unter PP-geführten Regierungen ist es de facto ausgeschlossen, dass baskische und katalanische Parteien eine Koalition aus PP und Vox unterstützen. PSOE und Sumar sind konzilianter und kompromissbereiter bei den Autonomiebestrebungen der Regionen. Als Entgegenkommen denkbar wäre etwa die von Junts geforderte Amnestie für inhaftierte und mit Haftbefehl gesuchte katalanische Politi­ker:in­nen, die wegen der Abhaltung eines Referendums über die Unabhängigkeit 2017 verurteilt beziehungsweise ins Exil getrieben wurden. Die »Selbstbestimmung« – die staatliche Unabhängigkeit Kataloniens – lehnen jedoch auch die linken Parteien ab.

Zumindest für katalanische Parteien zahlt sich Kompromissbereitschaft nicht unbedingt in der Wählergunst aus. Wohl wegen ihrer Dialogbereitschaft und der Zusammenarbeit mit der Zentralregierung im Katalonien-Konflikt hat die ERC sechs ihrer zuvor 13 Mandate im Abgeordnetenhaus verloren. Carles Puigdemont könnte die Chance nutzen, um Zugeständnisse von PSOE und Sumar zu erwirken, oder aber in der Hoffnung, den katalanischen Se­paratismus zu stärken, eine Regierungsbildung blockieren. In der Vergangenheit entschied Puigdemont sich stets für die Konfrontation. Für Sumar kontaktierte ihn Jaume Asens, ein katalanischer Politiker, um Verhandlungen einzuleiten.

Nicht ausgeschlossen, aber wegen der auch historisch begründeten politischen Gegensätze sehr unwahrscheinlich ist eine Große Koalition von PP und PSOE. Dass Feijóo Sánchez ein Treffen anbot, kann als vorsichtiger Versuch einer Annäherung gedeutet werden – nach einer seitens der Rechten sehr rüde geführten Wahlkampagne, in der der PP viele Themen des Kulturkampfs gegen Feminismus, LGBT-Rechte und Klimapolitik aufgenommen hatte. Sánchez lehnte ein Treffen ab.

Nach der Sommerpause tritt das neu gewählte Parlament am 17. August erstmals zusammen. Wem König Felipe VI. den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen wird, ist offen – der PP ist stärkste Partei, doch der PSOE hat bessere Chancen, eine Regierung zu bilden. Auch Neuwahlen sind nicht unwahrscheinlich, denn ob es zu einer Einigung mit Junts kommt, ist offen.