Kurze Tage, lange Weile
Wer kennt es nicht: Die Tage sind einfach viel zu kurz, um neben der leidigen Lohnarbeit genug Schlaf zu bekommen, den Haushalt zu erledigen und es vielleicht sogar mal ins Freibad zu schaffen.
Dabei hat die Menschheit es heutzutage noch vergleichsweise gut – in der Frühzeit der Erde drehte diese sich so schnell, dass die Evolution nicht dazu kam, etwas anderes als Mikroben hervorzubringen. So zumindest die These der Geowissenschaftler Ross N. Mitchell und Uwe Kirscher, die jüngst die Entwicklung der Tageslänge und deren Einfluss auf das irdische Leben unter die Lupe nahmen.
Dass die Tage einst kürzer waren, ist Stand der Wissenschaft; vor 310 Millionen Jahren dauerten sie lediglich rund 22 Stunden. Das liegt an den Gezeitenkräften des Mondes: »Im Lauf der Zeit wurde Rotationsenergie der Erde an den Mond übertragen, wodurch er in eine weiter von der Erde entfernte Umlaufbahn gelangte«, erklären die beiden Forscher in ihrer Studie.
Sie kommen allerdings zu dem Schluss, dass die Tageslänge nicht, wie bisher angenommen, kontinuierlich anstieg. Denn der Abbremsung der Erde wirkt eine weitere Kraft entgegen: die sogenannten thermischen Gezeiten, die darauf beruhen, dass die Atmosphäre sich durch die Sonneneinstrahlung aufheizt. Dies verursacht in jeweils bestimmten Regionen Ausdehnung, die wie eine Welle in einem Takt von rund 10,4 Stunden um den Globus läuft und dadurch die Erdrotation beschleunigt.
Die Evolution scheint einfach eine ausgedehnte Pause eingelegt zu haben, ehe sie begann, komplexere Lebensformen hervorzubringen.
In einer Zeit vor zwei bis einer Milliarde Jahren, so Mitchell und Kirscher, hoben sich die beiden Effekte gegenseitig auf, so dass die Tageslänge relativ konstant bei 19 Stunden lag. Interessanterweise ist das exakt jene erdgeschichtliche Periode, die im Englischen als boring billion, also langweilige Milliarde, bezeichnet wird (deren Tage der Studie zufolge jedoch recht kurzweilig waren).
Bis dahin entwickelte sich das Leben ziemlich geradlinig: Es entstanden Bakterien und die weniger bekannten Archaeen, später auch einzellige Eukaryoten, also Lebewesen mit Zellkern und komplexer zellulärer Maschinerie. Sowohl die Fotosynthese als auch die Stoffwechselwege, um den dabei entstehenden Sauerstoff zu nutzen, existierten ebenfalls schon vor zwei Milliarden Jahren.
Dann aber geschah lange Zeit – nichts. Die Evolution scheint einfach eine ausgedehnte Pause eingelegt zu haben, ehe sie begann, komplexere Lebensformen hervorzubringen. Genau zu jenem Zeitpunkt also, so argumentiert das Forschungsteam, als die Bremswirkung des Mondes die Oberhand gewann, die Tage wieder länger wurden und fotosynthetische Organismen dadurch mehr Sauerstoff freisetzten. Und dieser war notwendig, damit sich vielzellige Lebewesen mit ihrem anspruchsvolleren Stoffwechsel entwickeln konnten.
Wir gehetzten Vielzeller von heute wiederum sollten lieber für kürzere Arbeitszeiten kämpfen, als auf die lunare Bremse zu hoffen: Bis zum 25-Stunden-Tag wird es noch über 250 Millionen Jahre dauern.