Das argentinische Filmkollektiv El Pampero Cine und der Film Trenque Lauquen«

Der Laura-Feminismus

»Cherchez la femme« in den Weiten der Pampa: Der Spielfilm »Trenque Lauquen« erzählt verschachtelt und verrätselt die Suche zweier Männer nach einer Frau in der argentinischen Provinz.

El Pampero Cine ist das bedeutendste Filmkollektiv des neuen argentinischen Kinos, die von ihm produzierten Filme sind in Europa Festivallieblinge. Bekannt wurde El Pampero Cine 2018 mit dem 13stündigen Film »La Flor« von Mariano Llinás, jetzt kommt der mit vier Stunden Laufzeit vergleichsweise kurze Film »Trenque Lauquen« von Laura Citarella in die Kinos. Der Film gliedert sich in zwei gleich lange Teile und läuft im spanischsprachigen Originalton mit deutschen Untertiteln.

El Pampero heißt der stürmische Südwestwind, der kühlere Luft aus Patagonien in die argentinische Pampa weht. Der landschaftliche Reiz der schier endlosen Fläche kommt in »Trenque Lauquen« bestens zur Geltung. Wenn die Hauptfigur Laura (Laura Paredes) nachts nach starken Regenfällen in Gummistiefeln über eine ausgedehnte Weide durch den Matsch stapft, verbinden die Bilder die karge Schönheit und die Mühe des Landlebens.

Der Film stellt nicht das repräsentative bourgeoise Argentinien mit seinen schmucken Hausfassaden in den Mittelpunkt, sondern zeigt die wenig repräsentative Provinz mit Häusern, von deren Mauern der Putz abblättert. Dabei sieht man kein Elend, aber eben auch kein ma­teriellen Wohlstand. Rost und schmutziger Beton, wohin das Auge schweift. Die Filmsprache ist kantig, die Dramaturgie von großer Ruhe, Gesten und Mimik der Menschen sind verhalten. Gauchos mit ihren Kuhherden ziehen durch die Landschaft, ein paar Autos fahren vorbei, ansonsten fegt lediglich der Wind über den Landstrich.

In einer gelungenen Montage sieht man Laura, die nachts im Studio eine Aufnahme spricht, und Juliana und Ezequiel, die beim Anhören des Bands später einträchtig auch dort sitzen, mit den gleichen Kopf­hörern und Tassen mit Matetee.

Trenque Lauquen ist eine Kreisstadt in der Provinz Buenos Aires, in die es die junge Biologin Laura verschlagen hat. Sie ist fast fertig mit ihrem Studium und kommt für einen Forschungsauftrag in die Gegend. Sie will Blumen untersuchen, die wild in der Pampa wachsen. Der städtische Angestellte Ezequiel fährt sie durch die weite Steppenlandschaft an eine Stelle, wo Laura Proben aus dem Erdreich entnimmt.

Der stille, schüchterne Mann verliebt sich in die Biologin, die so vertieft ist in ihre Forschungsarbeit, dass sie dies gar nicht bemerkt – oder sie ist zu selbstbewusst, um sich um das Gefühlsleben ihres Verehrers zu kümmern. Zumal sie auch noch an einer Sendereihe im örtlichen Radio mitwirkt und bald knietief in den Mysterien der Provinz steckt. Als sie in der städtischen Bibliothek zwischen Buchseiten versteckte Liebesbriefe entdeckt, beginnt sie, eigene Nachforschungen anzustellen, denn offenbar ist sie einem Vermisstenfall auf die Spur gekommen.

Laura (Laura Paredes)

Für ein Forschungsprojekt kommt die Biologin Laura (Laura Paredes) aus Buenos Aires nach Trenque Lauquen

Bild:
Grandfilm

Aber dann ist Laura plötzlich selbst verschwunden und ihr aus Buenos Aires angereister Verlobter Rafael sucht zusammen mit Ezequiel nach ihr. Kreuz und quer fahren die beiden die Straßen der Stadt und ihrer Umgebung ab. Einen kurzen Abschiedsbrief hatte Laura unter den Scheibenwischer von Ezequiels Auto geklemmt: »Adiós, adiós, ich geh, ich geh.« Es ist ein Zitat aus dem letzten der rätselhaften Liebesbriefe, mit dem sich die Schreiberin von ihrem Geliebten verabschiedet. Der eloquente Rafael versteht die Welt nicht mehr, Laura sei wohl verrückt geworden.

In Ezequiels Auto hat Laura einen Rucksack zurückgelassen, darin das Buch der revolutionären russischen Autorin Alexandra Kollontai: »Autobiographie einer sexuell emanzipierten Kommunistin«. Rafael, ganz der Akademiker, liest es und meint, in den eigenwilligen Schilderungen der selbstbewussten Kollontai zu erkennen, was Laura vorhat: sich nicht mehr ihrem Verlobten unterzuordnen, ihren eigenen Weg notfalls auch alleine zu gehen. Der schweigsame Ezequiel widerspricht knapp, aber Rafael ist ihr Verlobter und sollte sie besser kennen.

So unterschiedlich beide Männer sind, trauern doch beide derselben Frau hinterher, ohne diese zu verstehen. Auf ihrer Suche treffen sie eine Reihe souveräner Frauen, mit denen Laura zuletzt zu tun hatte, etwa Juliana, ihre Kollegin vom Rundfunk. Im Radiosender spielt sich eine der schönsten Episoden des Films ab: Juliana spielt Ezequiel den letzten Beitrag vor, den Laura ihr hinterlassen hat – es ist eigentlich kein Beitrag, es sind Überlegungen, die Laura über das Zusammenleben zweier Frauen anstellt, bei denen sie zuletzt gelebt hatte. In einer gelungenen Montage sieht man Laura, die nachts im Studio die Aufnahme spricht, und Juliana und Ezequiel, die beim Anhören des Bands später einträchtig auch dort sitzen, mit den gleichen Kopfhörern und Tassen mit Matetee.

Karge Schönheit und die Mühe des Landlebens

Die Bilder verbinden die karge Schönheit und die Mühe des Landlebens

Bild:
Grandfilm

Es gibt viele solcher ebenso behutsam wie originell auserzählter Sequenzen in dem Spielfilm des Kollektivs, das angetreten ist, um unabhängige Filmproduktionen zu ermöglichen: absolut low budget, unabhängig von staatlicher Filmförderung und institutionellen Vorgaben. Es ist ein Balanceakt: Fördergelder von nichtstaatlichen Fonds werden zwar ebenso angenommen wie staatlich finanzierte Filmpreise, aber Unabhängigkeit ist oberstes Gebot der Gruppe; jede Beratung im Hinblick auf die kommerzielle Verwertbarkeit der Produktionen lehnt sie völlig ab.

Die Filmcrews sind klein, gedreht wurde vom Beginn 2002 an nur digital, nicht auf Zelluloid. Die Regisseurin von »Trenque Lauquen«, Laura Citarella, war für andere Filme von El Pampero Cine als Produzentin tätig. Ihren Lebensunterhalt bestreitet sie als Universitätsdozentin. »Trenque Lauquen« ist ihr vierter Langfilm als Regisseurin.

»Unsere Idee bestand darin, den Ton der ­Kamera zu übernehmen, um den Ton gleichmäßiger und demokratischer zu machen.« Regisseurin Laura Citarella

In einem Interview zu ihrem Spielfilm »La Mujer de los Perros« (2015), dem Porträt einer Frau, die mit einem Rudel Hunde lebt, erklärte sie auf dem Blog der Zeitschrift Film Comment die Unabhängigkeit des Filmemachens am Beispiel des Tons. »Produzierter Ton ist nicht demokratisch«, so Laura Citarella. »Unsere Idee bestand darin, den Ton der ­Kamera zu übernehmen, um den Ton gleichmäßiger und demokratischer zu machen und Schritte mit der gleichen Lautstärke wie alle anderen Geräusche hörbar zu machen.« Andernfalls müsste das Filmteam auch aufgestockt werden, jemand müsste die Tonangel halten, jemand anderes das Tonband bedienen.

»Trenque Lauquen« ist der zweite Film der Regisseurin, in dessen Mittelpunkt die Reise einer Frau mit dem Namen Laura steht. Der erste war der hochgelobte Thriller »Ostende« (2011), in dem die Protagonistin Laura einen viertägigen Urlaub in einem alten, abgerockten großen Strandhotel in der Provinz Buenos Aires gewinnt. Citarella castete bereits für diesen Film Laura Paredes als Hauptdarstellerin. Auf Festivals erklärte die Regisseurin ihr Konzept: Sie wolle eine junge Frau in verschiedenen Situationen mit mysteriösen, rätselhaften Herausforderungen konfrontieren.

Laura Paredes, die für den zweiten Laura-Film am Drehbuch mitgeschrieben hat, ist für die Rolle der souveränen, vom Feminismus inspirierten Protagonistin ideal besetzt. Zwar kann sie auch Verunsicherung darstellen, aber vor allem machen die Lauras ihr eigenes Ding. Man darf gespannt sein, wie es mit Laura ­weitergeht.

Trenque Lauquen (Argentinien / Deutschland 2022) Regie: Laura Citarella, Drehbuch: Laura Citarella, Laura Paredes. Darsteller: Laura Paredes, Ezequiel Pierri, Rafael Spregelburd, Elisa Carricajo, Juliana Muras, Verónica Llinás, Cecilia Rainero. ­Kinostart: 1. Juni.