Niederländische Hightech-Produkte gelangen weiterhin nach Russland

Profit schlägt Sanktion

Trotz westlicher Sanktionen liefern niederländische Unternehmen Produkte nach Russland. Hightech-Komponenten aus nieder­ländischer Fertigung wurden auch in russischen Waffen gefunden.

Zum ersten Jahrestag der russischen Invasion der Ukraine hat die EU ihr zehntes Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet. Niederländische Firmen umgehen die Exportverbote für Waren und Dienstleistungen im Technologie- und Rüstungssektor umfassenden Sanktionen allerdings teilweise. Das Zentra­le Amt für Statistik der Niederlande teilte Ende Februar mit, dass die Exporte nach Russland 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 38 Prozent zurückgegangen sind. Demnach »wurden insbesondere weniger Halbleiter, Chips, Blumen und Pflanzen sowie Maschinen exportiert«. Auch deutlich weniger Medikamente, LKW und Busse aus niederländischer Produktion sind dorthin ausgeführt worden, wie aus den Berechnungen des Amts hervorgeht. Im Umkehrschluss bedeutet das: 62 Prozent der Exportmenge von 2021 gelangt trotz Sanktionen weiter nach Russland.

Einer laufenden Studie der Yale School of Management zufolge sind mindestens 18 niederländische Unternehmen weiterhin in Russland tätig, beispielsweise der Elektronikhersteller Philips, die Schnellrestaurantkette Domino’s Pizza sowie die Bank ING. Die Brauerei Heineken hat Recherchen der investigativen Rechercheplattform Follow the Money zufolge im vergangenen Jahr sogar in Russland investiert, obwohl sie im März 2022 gelobt hatte, sich wegen des Einmarschs in die Ukraine dauerhaft aus Russland zurückzuziehen.

»Eine Reihe niederländischer Komponenten ist für die russische Kriegsmaschinerie von entscheidender Bedeutung«, sagte der Rusi-Analyst James Byrne.

Die jüngsten Berichte haben in den Niederlanden zu Kontroversen geführt, weshalb die Kommission für Außenhandel und auswärtige Politik im niederländischen Parlament Mitte Februar zu einer öffentlichen Anhörung einlud. Dort beteuerten Vertreter der vier anwesenden Unternehmen unisono, den Krieg in der Ukraine abzulehnen. Dennoch sähen sie sich aus unterschiedlichen Gründen dazu genötigt, weiter in Russland Geschäften nachzugehen. Jan-Willem Scheijgrond, der Leiter der Abteilung Regierung und öffentliche Angelegenheiten bei Philips, betonte in der Anhörung, dass sich das Unternehmen direkt nach dem Kriegsausbruch dazu entschieden habe, keine Haushaltsgegenstände wie Rasiergeräte oder Zahnbürsten mehr nach Russland zu exportieren. Die Ausfuhr beschränke sich auf Produkte für die medizinische Grundversorgung. »Der Zugang zu Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht«, sagte er.

Doch auch andere Produkte finden über Umwege nach Russland, wie Recherchen der öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung »Nieuwsuur« zeigen. Demnach sind im vergangenen Jahr Halbleiter und Mikrochips aus europäischer und speziell niederländischer Fertigung trotz strenger Sanktionen auf den russischen Markt gelangt. Schätzungen zufolge soll es sich um mehrere Millionen Fabrikate handeln, die seit dem Beginn der Invasion in der Ukraine bis Dezember nach Russland importiert wurden. Darunter fallen elektronische Komponenten für Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen, Telefone oder Toaster.

Doch wurden solche Komponenten aus niederländischer Fertigung auch in russischen Waffen gefunden, wie bereits im August vergangenen Jahres aus einer Studie des britischen sicherheitspolitischen Think Tanks Royal United Services Institute (Rusi) hervorging. Darin heißt es beispielsweise, dass Bauteile des Halbleiterherstellers NXP in zehn von 27 untersuchten Waffensystemen gefunden wurden. »Eine Reihe niederländischer Komponenten ist für die russische Kriegsmaschinerie von entscheidender Bedeutung«, sagte der Rusi-Analyst James Byrne der Sendung »Nieuwsuur«. Die Chips befänden sich in fast allen Arten von Armeedrohnen und in Präzisionswaffen wie Marschflugkörpern. NXP gab an, nicht zu wissen, wie die eigenen Produkte an den Sanktionen vorbei nach Russland gelangten.

Die niederländische Halbleiterindustrie spielt eine bedeutende Rolle für die globale Kapitalakkumulation, auch im Konflikt zwischen China und den USA.

Erkenntnissen des Außenministeriums zufolge spielen Zwischenhändler in Drittstaaten eine entscheidende Rolle. Insbesondere chinesische Technologieunternehmen sind daran beteiligt, ergaben Recherchen von »Nieuwsuur«, darunter etwa Sigma Technology und Xin Quan Electronics. Mit Sinno Elec­tronics ist demnach auch ein Unternehmen involviert, das seit Juni auf der Sanktionsliste der Vereinigten Staaten steht. Aus Informationen des US-Finanzministeriums geht hervor, dass es mittelbare Verbindungen zur russischen Rüstungsindustrie hat.

Dass so viele Halbleiter auf Umwegen nach Russland gelangen, dürfte für den Verlauf des russischen Angriffskriegs nicht ganz unerheblich sein. »Die russische Kriegsindustrie ist für einen großen Teil abhängig von westlicher Technologie, vor allem wenn es um Halbleiter geht«, teilte das niederländische Außenministerium auf Anfrage der Jungle World mit. Auch darum habe die EU früh damit begonnen, den Export von »technologisch fortgeschrittenen Chips und Halbleitern« mittels Sanktionen zu verhindern. Ob es aktuelle Erkenntnisse darüber gibt, dass weiterhin Chips und Halbleiter aus niederländischer Fertigung nach Russland gelangen, wollte das Ministerium nicht beantworten.

Die niederländische Halbleiterindustrie spielt eine bedeutende Rolle für die globale Kapitalakkumulation, auch im Konflikt zwischen China und den USA. Wie vergangene Woche bekannt wurde, hat die niederländische Regierung nach Absprache mit US-Präsident Joe Biden strengere Exportregeln beschlossen. So soll ASML, der weltweit größte Anbieter von Lithographiesystemen für die Halbleiterindustrie, nicht mehr nach China exportieren. Bislang betraf das nur ältere Chipmaschinen, die neuen Exporteinschränkungen gelten auch für die modernen Deep-Ultraviolet-Systeme. Die USA und die Niederlande wollen verhindern, dass China an die Technologie des Marktführers ASML gelangt, um das wirtschaftliche und militärische Potential des Landes zu begrenzen.