David Rolf von Ezra über das Gerichtsverfahren zum Angriff im Erfurter Hirschgarten

»Ein fatales Signal an die militante Neonazi-Szene«

Vor dem Landgericht Erfurt findet seit dem 12. Januar ein Prozess gegen fünf Angeklagte statt. Ihnen wird vorgeworfen, vor zweieinhalb Jahren an einem Überfall auf eine Gruppe junger Menschen im Hirschgarten vor der Staatskanzlei beteiligt gewesen zu sein. Die Angeklagten sollen im Juli 2020 insgesamt 14 Menschen, darunter zwei Polizisten, aus einer Menschenmenge heraus zum Teil schwer verletzt ­haben. Der Prozess ist das dritte Gerichtsverfahren in diesem Fall. In den beiden vorigen sind die meisten der insgesamt neun Angeklagten bereits rechtskräftig verurteilt worden. Die Opferschutzorganisation Ezra kritisiert, dass das mutmaßlich rechtsextreme Tatmotiv bei den bisherigen Ermittlungen ausgeblendet wurde. Die Jungle World sprach mit David Rolfs, Berater bei Ezra.
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Laut Staatsanwaltschaft ist das Motiv der Angeklagten bis heute unklar. Wie beurteilen Sie den Angriff der Angeklagten?

Es gibt viele Hinweise, die aus unserer Sicht für ein rechtes Tatmotiv sprechen. Als Beratungsstelle ist die Perspektive der Betroffenen für uns natürlich ausschlaggebend. Auch die Art des Angriffs gibt Aufschluss auf die Tatmotivation. Die Tat war offenbar zielgerichtet und vorher abgestimmt. Auch die extreme Brutalität der Tat lässt die Abwertung der Betroffenen durch die Täter vermuten. Bei Vernehmungen der Beschuldigten bei der Polizei ordneten diese sich teilweise selbst als »rechts-national« und die Betroffenen als eher dem »linken Milieu« zugehörig ein.

Sind die Angeklagten bereits vorher aufgefallen?

Ja, einige Angeklagte sind bereits im Zusammenhang mit rechten Angriffen in Erscheinung getreten und der militanten organisierten Neonazi-Szene zuzuordnen. Natürlich ist uns bewusst, dass Staatsanwaltschaft und Justiz ihre Einschätzung anhand klarer Beweislage treffen müssen – jedoch werden die mögliche Tatmotivation und die Hintergründe der Täter zu wenig thematisiert.

Welche Konsequenzen hat das?

Leider sendet die Justiz damit ein fatales Signal an die militante Neonazi-Szene. Angeklagte kommen teilweise ungestraft oder mit sehr milden Urteilen davon. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, sich die mögliche Intention der Tat bewusst zu machen. Rechte Gewalt­taten sind immer auch Botschaftstaten. Extreme Rechte verfolgen die Strategie, durch Gewalt territoriale Hoheit zu erlangen und Räume der Angst zu schaffen.

Wie ist in dieser Hinsicht die Situation in Erfurt einzuschätzen?

Mit Blick auf Erfurt ist erkennbar, dass sich rechte Täter hier sehr sicher fühlen. Den am Angriff Beteiligten war durchaus bewusst, dass der Platz vor der Kanzlei per Video überwacht wird. Erfurt führt mit Abstand seit Jahren die Statistik der ­Anzahl rechter und rassistischer Angriffe in Deutschland an. Insbesondere gibt es im Erfurter Südosten und im Erfurter Norden sehr bedrohliche Orte. Rechte Gewalt steht an diesen Orten auch immer im Zusammenhang mit Immobilien in rechter Hand und rechten Treffpunkten, von wo sie ausgeht.

Welche Form der Unterstützung bieten Sie den Betroffenen an?

Die Unterstützung der Betroffenen erfolgt sehr individuell. Wir schauen, dass wir einen Raum zum Reden im Rahmen psychosozialer Gespräche anbieten. Oftmals waren Betroffene selbst noch nie bei ­einem Gerichtsprozess – hier geben wir Informationen zum Ablauf im Rahmen von Prozessvorbereitungen. Wenn es gewünscht ist, begleiten wir zur Aussage vor Gericht. Außerdem helfen wir, einen Zeug:in­nenschutzraum zu organisieren, um Zahl und Länge der Begegnungen zwischen Tätern und Opfern zu minimieren, und versuchen eine solidarische Prozessbegleitung zu organisieren. Nach dem Gerichtsverfahren unterstützen wir bei der Beantragung von Entschädigungsleistungen.