Homestory

Homestory #51-52

Homestory Von

Wenn man eine ganze Ausgabe zum Thema »kulturelle Aneignung« vorbereitet, ist das ein guter Anlass, um in sich zu gehen, Selbstkritik zu üben, die eigenen Verstrickungen zu reflektieren. Das zumindest denken manche, für die Redaktion Ihrer Lieblingszeitung ist es mehr ein Anlass, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Aber aneignen kann man sich nicht nur Kleidung oder Musik, sondern auch Namen: Eine Kollegin flunkerte manchmal über ihren Vornamen und stellte sich Fremden als Chloé oder Michelle vor. Auch andere Redaktionsmitglieder sind dem Charme französischer Vornamen verfallen – oder hatten keine andere Wahl: Ein Kollege musste sich für den Französischunterricht in der Schule umbenennen und gab sich den Namen Pierre, ebenfalls elegant.

Manch Kollegin oder Kollege muss gar nicht so weit in die Vergangenheit gehen, um sich selbst der kulturellen Aneignung zu überführen: Schon die morgendliche Tasse Kaffee kann einen in Bedrängnis bringen. Der stammt allerdings nicht, wie man meinen könnte, aus Lateinamerika, sondern ursprünglich aus Afrika. Um es vollends intersektional zu machen, gibt es Berichte darüber, dass Mönche mit der Entdeckung des Kaffees zu tun hatten, manch andere glauben aber, diese Sicht auf die Dinge sei haram, Mohammed höchstpersönlich hat ihnen zufolge den Kaffee in die Welt gebracht. Bevor man jetzt im Religionskrieg zwischen die Fronten gerät, lieber erst mal eine Tasse Tee trinken. Eine Kollegin hat da etwas ganz Ausgefallenes parat: Sie schwört auf Genmaicha, eine japanische Grünteemischung, in der sich auch gepuffte Reiskörner ­befinden. Ganz schön trendy, diese »cultural appropriation«!

Während die einen abwarten und Tee trinken, treiben die anderen Sport – oder zumindest taten sie das mal. Ein Kollege betrieb als Jugendlicher Kung Fu, allerdings mit Leuten, die das alles viel zu ernst nahmen. Da war dann auf einmal von Chakren und chinesischer Medizin die Rede – plötzlich wusste man, wieso man den Kampfsport lernt, nämlich um seinen esoterisch verwirrten Trainingspartnern eine zu verpassen.

Einige andere Kolleginnen und Kollegen teilten auch noch ihre wildesten Rezepte mit, die allerdings nicht so sehr auf kultureller Aneignung basieren, sondern mehr Ausdruck einer kulinarischen Vermischung sind, die aber ein anderes Mal Thema sein werden. Nur noch ein Hinweis: Wenn Sie sich in dieser Ausgabe verirren und sich nicht mehr zurechtfinden, achten Sie auf die kleinen Tiki-­Statuen, die sich auf den Seiten finden lassen, diese markieren nämlich die Texte zum Schwerpunkt.

Viel Vergnügen beim Lesen!