Homestory

Homestory #44

Homestory Von

Eine Revolution ist es sicherlich nicht und angesichts des feministischen Aufbegehrens in der Islamischen Republik Iran nimmt sich das sprachpolitische Novum, um das in der Jungle World zuletzt gerungen wurde, eher harmlos aus. Dennoch: Fortan erlaubt die Jungle World die Verwendung eines Genderzeichens. Es ist nun möglich, dass Autor:innen in ihren Texten den Doppelpunkt verwenden. Das ist weder Empfehlung noch Zwang, aber eine Möglichkeit. Dabei folgt das Jungle World-Kollektiv einem Trend, den viele kritisch sehen. Das generische Maskulinum gilt manchen trotz aller Kritik noch immer als demokratischste Form, um Personen geschlechtsunabhängig zu bezeichnen. Auch wird kritisiert, dass Genderzeichen, unabhängig davon, wie man das generische Maskulinum bewertet, viele neue sprachliche Probleme schaffen.

Wird nun mit der Genderzeichen-Option die postmoderne Identitätsbesessenheit inhaltlich Einzug halten in die heiligen Zeilen? Die Kritik an der Sprach- und Identitätspolitik und insbesondere ihren autoritären Ausformungen bleibt eine wertgeschätzte und hochzuhaltende Tradition der Jungle World. Trotzdem wird es für andere immer weniger vertretbar, sich in der Zeitung über mehrere Dekaden einfach »mitgemeint« fühlen zu sollen; sie würden gerne auch von der »Arbeiter:innenbewegung« lesen, ohne sich gleich mit jedem sprachlichen Reformvorschlag, der als progressiv beworben wird »anfreund:innen« zu müssen. Für manche ist das Genderzeichen längst eine Selbstverständlichkeit, die Tradition der Jungle World dagegen fast schon ein museales Kuriosum. Dass auf dem Gebiet der Sprache die entscheidenden politischen Kämpfe stattfinden, glaubt hier allerdings immer noch niemand. Es bleibt das allgemeine Unbehagen am Geschlecht, welches sich auch sprachlich nicht auflösen lässt. Daher schreiten wir weiter fragend voran.