Rocko Schamoni im Gespräch über sein neues Album »All Ein«

»Ich bin eigentlich gar kein großer Fan von Beats«

Musiker, Schriftsteller, Unterhalter: Rocko Schamoni ist ein vielbeschäftigter Tausendsassa. Doch die Covid-19-Pandemie und damit sinkende Einnahmen aus Live-Auftritten machen auch ihm Sorgen. Anlässlich seines neuen Albums »All Ein« spricht er über das Älterwerden, seine Lieblings­droge und was Beats mit Corona zu tun haben.
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Rocko Schamoni, beginnen wir mit dem Cover Ihres neuen Albums. Darauf sieht man eine Gretsch-Gitarre, Modell Bo Diddley, eine retrofuturistische Schrift und Sie, sechsarmig in Meditationshaltung. Was soll uns das sagen?

Diese spezielle Gretsch-Gitarre ist für mich eine der coolsten Gitarren der Welt. Vor 20 Jahren habe ich mir das Modell im Sonderangebot in Zürich gekauft, seither hing sie ungenutzt bei mir zu Hause rum. Jetzt hatte ich endlich Verwendung für sie! Die Verbindung der Science-Fiction-Schrift aus den frühen Achtzigern mit dem esoterischen Ambiente fand ich reizvoll, denn das Motiv passt zum Albumtitel: In »All ein« steckt natürlich das Alleinsein, dann das »All«, beziehungsweise der Weltraum, und der Titel kann auch bedeuten, mit allem eins zu sein. Die Figur auf dem Cover schwebt über einem Planeten, sie ist im All allein und getrennt von allem, aber gleichzeitig eben mit allem vereint. Das verweist auch auf die mittelalterliche Herkunft des Wortes »allein«. Und durch Corona haben wir ja alle gerade lange Phasen des Alleinseins ­erlebt.

»Ich war natürlich auch mal bei AC/DC, aber im Großen und Ganzen sind Stadionshows nicht die Welt, die mich interessiert.«

Das letzte Stück des Albums, »Wenn der Rock vorbei ist«, ­handelt auch von der Coronazeit. Ist das ein Abgesang auf die ­Live-­Kultur?

Ich glaube, wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Zeit, in der das, was wir gehabt haben, vielleicht nicht mehr zurückkommt. Wir erleben krasse Zäsuren durch Corona und durch den Krieg. Letzterer sorgt für eine enorme Inflation und wahrscheinlich auch für eine Rezession. Alles wird teurer. Warum soll ich 20 oder 25 Euro für eine Lesung ausgeben? Da gibt es andere Dinge, die wichtiger sind. Ob wir jemals zu der Unbekümmertheit zurückkehren, die in den neunziger und frühen nuller Jahren bis 9/11 noch herrschte, wage ich zu bezweifeln. Wir spüren jetzt die Konsequenzen unseres eigenen Handelns und unserer eigenen Geschichte. Wir haben die Welt dahin geführt, wo sie jetzt ist.

Dieser Bruch wirkt sich auf die gesamte Kulturbranche aus. Sie haben im Rolling Stone beklagt, dass gerade die randständigen, schrägen Künstlerinnen und Künstler darunter litten. Andererseits gibt es aber jetzt, da wieder Shows stattfinden, auch ein großes Bedürfnis nach Konzertbesuchen und Eskapismus. Oder sehen Sie das anders?

Nein, aber der Eskapismus beschränkt sich eher auf die Jüngeren, die gehen nämlich zu den Shows. Viele Ältere haben sich während der Pan­demie zu Hause in Netflix-Blasen eingemottet und gehen nur noch ungern weg. Vielleicht wollen sie das Risiko einer Infektion nicht eingehen. Oder sie haben kein Geld. Ich rechne damit, dass wir spätestens im November oder Dezember wieder einen deutlichen Anstieg der Infektionszahlen sehen werden. Die Sorgen und Ängste sind also auch weiterhin verständlich und berechtigt.

Man würde ja annehmen, dass dann eher Massenveranstaltungen gemieden würden. Warum leiden ausgerechnet die kleinen Acts darunter?

Warum es die Leute zu Events treibt, wo die Ansteckungsgefahr noch mal viel höher ist als bei kleinen Veranstaltungen, ist mir auch ein Rätsel. Vielleicht hat es etwas mit dem vermeintlichen Wertigkeitscharakter zu tun, einen großen Act muss man scheinbar eher gesehen haben als einen kleinen. Bei den kleinen sorge ich mich deshalb darum, dass sie hinschmeißen, weil sie nicht mehr genug Geld mit der Kunst verdienen. Dann müssen sie Jobs machen und haben keine Zeit für ihre Projekte. Ich würde mir mehr Bewusstsein seitens der Politik, aber auch seitens des Publikums dafür wünschen. Mich persönlich interessieren die nischigen Künstler mehr, weil sie speziellere Kost anzubieten haben als die ­großen. Ich war natürlich auch mal bei AC/DC, aber im Großen und ­Ganzen sind Stadionshows nicht die Welt, die mich interessiert.

Im Rolling Stone schrieben Sie, das sei vielleicht »Jammern auf hohem Niveau«. Ich hätte auch gedacht, dass Sie zu den Künstlern zählen, die so eine Durststrecke kompensieren können.

Das ist auch so. Aber meine Altersrücklagen werden eben dadurch aufgebraucht. Und ich kann nicht von mir sagen, ich sei altersmäßig richtig gut abgesichert und würde mir keine Sorgen machen. Anderen geht es viel schlechter, weil sie gar keine Rück­lagen haben, deshalb ist es bei mir Jammern auf hohem Niveau. Aber auch ich fühle mich mit der Situation mehr als schlecht. Zu Beginn der Pandemie wurden 28 Shows abgesagt. Und zu den Veranstaltungen, die jetzt wieder stattfinden, kommt zum Teil nur ein Viertel der Leute, die vorher gekommen sind. Das mach ich nicht mehr lange.

Ist das auch ein Stimmungskiller?

Nicht immer. Auch Abende, an denen 100 Leute da sind, können toll sein. Aber wenn viele Besucher da sind, der Raum voll ist, dann gibt es mehr Energie und mehr Feedback, als wenn der Raum nur ein Viertel voll ist.

Stellen Sie sich als Künstler darauf ein und verlassen sich we­niger auf die Einnahmen aus dem Live-Geschäft?

Ich habe ja glücklicherweise schon immer mehrere Standbeine gehabt: Musikmachen, Schreiben, Abend­unterhaltung. Jetzt muss ich mich vielleicht noch breiter aufstellen. Vielleicht wieder Fliesen herstellen. Ich muss umsatteln. Es geht nicht anders.

Ein Thema Ihres neuen Albums ist das Altern. Sie wurden einmal gefragt, ob Sie Angst vorm Älterwerden hätten, da haben Sie geantwortet: »Ich fühle mich eigentlich alterslos.« Ist das jetzt nicht mehr so?

Wenn ich in den Spiegel schaue, fühle ich mich nicht alterslos, aber von meinem gedanklichen Selbst, vom Seelischen her, spüre ich nicht, dass ich inzwischen eher zu den ­Alten zähle.

Dennoch hören Sie sich nicht so an, als hätten Sie ein großes Pro­blem mit dem Altern.

Habe ich aber in bestimmten Momenten, es gibt diese ganzen Gebrechen, die sich langsam ansammeln. Es tauchen merkwürdige Phänomene auf, mit dem man nicht gerechnet hat. Zum Beispiel darf ich auf einmal keine Bohnen mehr essen, weil Bohnen Faserfrüchte sind, und die können sich in Divertikeln im Darmbereich absetzen. Ich habe auch eine ziemlich starke Rosazea, das ist eine Hautkrankheit, die im mittleren Gesichtsbereich zu Rötungen und Vereiterungen führt, sobald ich im Licht bin. Wenn ich wiederum nicht ans Licht und in die Sonne gehe, werde ich depressiv, weil ich Endorphine brauche. Von dieser Sorte gibt es ungefähr 263 Spezialeffekte in unseren Körpern, die ab circa 45 Jahren jederzeit angeknipst werden können – und dann wird’s manchmal richtig scheiße.

Und nach diesen Effekten muss man dann sein Leben ausrichten?

Genau. Es ist einfach so: Je älter du bist, desto mehr musst du dafür tun, dass du dich wohlfühlen kannst. Wenn ich nichts tun würde für mich, dann hätte ich ständig Schmerzen und würde mich scheiße fühlen. Und noch schlimmer aussehen, als ich aussehe.

Was tun Sie denn?

Meine Lieblingsdroge ist Fahrradfahren. Schnelles, aktives, stundenlanges Fahren. Das ist das Allerbeste für mich. Bewegung, Licht, Luft sind wichtig. Und ich mache täglich Yoga.

Was sind die weiteren großen Themen des neuen Albums?

Was mich bei der Arbeit an dem Album am meisten beschäftigt hat, ist das Trennende und die Einsamkeit, unsere Gesellschaft, die auseinandertreibt. Die Leute entfernen sich gegenwärtig voneinander, in den Städten vielleicht nicht ganz so stark wie in der Provinz, aber für mich ist das ein allgemeines Phänomen, ausgelöst vor allem durch die sozialen Medien. Und Corona war der Peak dieser Entwicklung. Hate speech, das gegenseitige Diffamieren und das Polemisieren haben immer weiter zugenommen. Auch deshalb habe ich den Titel »All ein« gewählt.

Es gibt auch humoristische Nummern wie »Only Beer Can Stop Us Now«. Wem gehört eigentlich diese derbe britische Stimme in dem Song?

Das ist Matthew Partridge vom Hamburger Westwerk, ein kluger englischer Freund. Weil ich nicht so richtig gut Englisch spreche, habe ich ihn gefragt, ob er das einsprechen kann. Er hat mir dann auch gleich mal den Text redigiert und die ­Ansage gemacht.

Es ist ein Song über einen Aufstand.

Genau. Die Ursprungsidee kommt von meinem Graphiker Felix Schlüter, die Umsetzung von Matthew Partridge. Es geht darum, dass die Aufständischen kurz davor sind, die oberen Zehntausend anzugreifen. Das Einzige, was sie noch stoppen kann, ist Bier.

Reden wir noch über die Musik. Ich denke, die Ära von Disco ist wichtiger für dieses Album als für die vorherigen.

Ich bin eigentlich gar kein großer Fan von Beats. Ich bin eher Fan von den Beach Boys und vor allen Dingen von Mark Hollis, die beide mit der Reife das strenge Korsett der zählbaren Zeiteinheiten, also Beats, aufgegeben haben und somit in ­einen Zustand der Fläche und Zeitlosigkeit eingetreten sind. Aber wenn man alleine zu Hause sitzt und Musik macht und keine echten Musikerinnen und Musiker um sich hat, dann liegt es nahe, mit Samples zu arbeiten – und somit kreuzen Beats deinen Weg. Die Beats haben eine Art ­Aufstand gegen den Stillstand angeführt. Mit Corona kamen die Beats zurück.

Rocko Schamoni: All Ein (Misitunes)