Tausende nahmen an Demonstration der Linkspartei gegen steigende Preise in Leipzig teil

Angewärmte Melange

Am Montag ist es der Linkspartei in Leipzig gelungen, linke Gruppen über Parteigrenzen hinweg für ihre groß angekündigte Protest­kund­gebung gegen die Preissteigerungen zu gewinnen. Die »Freien Sachsen« scheiterten vorerst mit ihren Querfront-Bestrebungen.

Würde Sören Pellmann ein Arbeitszeugnis für seine Öffentlichkeitsarbeit der vergangenen Wochen erhalten, stünde darin wohl folgender Satz: »Er war stets bemüht.« Der Leipziger Bundestagsabgeordnete der Linkspartei hatte vor einigen Wochen angekündigt, vor dem Hintergrund von Inflation und Energiekrise gemeinsam mit seiner Partei den »heißen Herbst« einzuleiten und eine Versammlung unter dem Titel »Preise runter – Energie und Essen müssen bezahlbar sein!« angemeldet.

Dem Aufruf der Linkspartei folgten am Montag, dem 5. September, schließlich mehrere Tausend Menschen und versammelten sich auf dem Leipziger Augustusplatz. Der Kleinstpartei »Freie Sachsen« gelang es zur selben Zeit ebenfalls, über 1 000 Teilnehmer zu der von ihr angemeldeten Versammlung zu mobilisieren. Die Organisa­tion wird vom Verfassungsschutz als »rechtsextremistisch« eingestuft. In ihrem Aufruf fabulierte sie von einer oppositionellen Querfront gemeinsam mit Linken und erweckte fälschlicherweise den Eindruck, Vertreter der Linkspartei würden mit rechter Szenepro­minenz auf einer Bühne sprechen. Die beiden Veranstaltungen trennten Absperrgitter.

Ein Plakat, das »Frieden ohne Waffen« forderte und sich gegen eine »Nato-Osterweiterung« aus­sprach, war zunächst bei der Kund­gebung der Linkspartei zu sehen und später im »Freie Sachsen«-Mob.

Sören Pellmann – der mit seinem Leipziger Direktmandat bei der Bundestagswahl über die Grundmandatsklausel den Wiedereinzug der Links­partei ins Parlament erst ermöglichte – bekam schon vor dem Aufruf der »Freien Sachsen« Probleme. Einige Tage nach dem Protestaufruf der Linkspartei wurde bekannt, dass er seine umstrittene Kollegin Sahra Wagenknecht zuerst als Rednerin nach Leipzig ein­geladen, dann auf Druck der Parteiführung wieder ausgeladen hatte. Darüber berichtete Die Welt. Wagenknecht fordert ein Ende der Sanktionen gegen Russland, Friedensverhandlungen und eine Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2.

Auch für seine Entscheidung, an einem Montag in Leipzig zu demonstrieren, erhielt Pellmann Kritik von links. Die Argumentation: Nachdem unter anderem »Legida« und »Querdenken« in den vergangenen zehn Jahren an die Leipziger Montagsdemonstrationen von 1989 mit rechten und verschwörungsmythischen Parolen anzuknüpfen versucht hatten, sei der Montags vorbelastet und seine Wahl als Einladung zur Querfront zu verstehen. Tatsächlich sahen die »Freien Sachsen« darin zunächst »ein Zeichen« und kündigten ihre »Unterstützung« an. Gregor Gysi und Pellmann sahen sich gezwungen, den »Freien Sachsen« gerichtlich zu untersagen, ihre Namen in ­deren Rednerliste anzupreisen.

Heterogen war die von der Linkspartei veranstaltete Versammlung in vielerlei Hinsicht, wenn auch die For­derungen der Partei – Stopp der Gas­um­lage, die sofortige Einführung einer Übergewinnsteuer, die Aussetzung der Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel und die gesetzliche Deckelung von Gas- und Strompreisen – allent­halben Zustimmung fanden. Zahlreiche linke Gruppen hatten sich – teilweise trotz Kritik an Pellmanns Vorgehen – vorab dem Aufruf der Linkspartei an­geschlossen. Unter ihnen die Gruppe »Prisma – Interventionistische Linke«, die einen Redebeitrag auf Pellmanns Bühne hielt und die Veranstaltung mit einem riesigen Transparent vor Jürgen Elsässer, André Poggenburg und ihren Mitstreitern auf der anderen Seite des Augustusplatzes abschirmte. »Es gibt keine Solidarität von rechts«, stand auf dem Transparent.

Weitere Kleinstgruppen beteiligten sich ebenfalls. Die sich selbst als »kommunistische Gruppe« bezeichnende »Rote Wende«, die in der Vergangenheit mitunter als antisemitisch kritisiert wurde, organisierte eine Zubringerdemonstration. Mit Sprechchören wie »Nazis jagen ist nicht schwer, mit Hammer, Sichel und Gewehr« und »Es gibt aufs Maul für Nazipropaganda« zogen die rund 150 Teilnehmer am frühen Abend in die Innenstadt ein. Auf ihren Plakaten und in ihren Parolen forderten sie »soziale Sicherheit statt Geld für Aufrüstung«. Angekommen auf dem Augustusplatz reihten sie sich neben der Regenbogenfahne des Sozialistisch-­Demokratischen Studierendenverbands (SDS) ein.

Auch eine Gruppierung, die sich selbst als antiautoritär und anarchistisch bezeichnet, war auf dem Augus­tusplatz zugegen. In ihrem Aufruf betont die Gruppe, dass »für uns alle noch viele Fragezeichen und Unsicherheiten bezüglich des heißen Herbstes existieren«. Man wolle sich dennoch dem Protest anschließen, um den Menschen anarchistische Ideen nahezubringen und praktische Lösungen aufzuzeigen. Als Beispiel nennt die Gruppe ihre Forderung nach kostenloser Mobilität und die »Ent-Kapitalisierung« des öffentlichen Lebens, eine Forderung, die anschlussfähig sei, wie die Popularität des Neun-Euro-Tickets gezeigt habe. Ein SDS-Mitglied, das sich als Sohn ehemaliger vietnamesischer Vertragsarbeiter aus Riesa vorstellte, rief dazu auf, »als multiethnische Arbeiterklasse zusammenzukommen«.

Die Forderungen des an sich redegewandten Gysi kamen teilweise etwas wirr daher: Abgrenzung von »rechtem Gesocks«, die Nato habe mit ihrer Russlandpolitik versagt, Deutschland habe aufgrund seiner Geschichte nicht das Recht, von Waffenexporten zu profitieren, und das Fernbleiben europäischer Regierungsvertreter von Gorbatschows Beerdigung diskreditiere dessen Lebenswerk. Außerdem habe sich die FDP nicht »Partei der Mitte« zu nennen und die EU sollte den USA nicht immer »wie die Lakaien« hinterherrennen. »Das nervt mich!« rief Gysi ins Mikrophon. Trotz all seiner Kritik an der west­lichen Politik betonte er, dass die Nato nichts getan habe, was den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine rechtfertigen würde. Sanktionen gegen die russische Führung und die Oligarchen befürworte er, Sanktionen gegen die russische Bevölkerung lehne er hingegen ab.

Konkreter wurde seine Parteikollegin Amira Mohamed Ali: Das »mickrige Entlastungspäckchen« der Ampelkoalition verhöhne die Menschen, da es vorn und hinten nicht reiche gegen die steigenden Nebenkostenabrechnungen und Lebensmittelpreise. Ähnlich wie ihre Verbündete Sahra Wagenknecht bezeichnete Ali die Sanktionen gegen Russland als wirkungslos und suggerierte, die Verantwortung für die Energiekrise läge bei der Bundesregierung und nicht bei Russland. Auch nutzte sie die Gelegenheit, um sich noch einmal deutlich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine auszusprechen.

Im Großen und Ganzen gelang es trotz vorab geäußerter anderslautender ­Befürchtungen, sich inhaltlich und räumlich klar von den Rechten auf der anderen Seite des Augustusplatzes zu distanzieren. Dies sei »vor ­allem den außerparlamentarischen linken Gruppen zu verdanken, die die Kundgebung auf dem Augustusplatz flankiert & unterstützt haben und ­denen, die den Faschisten widersprochen & blockiert haben«, twitterte ­Juliane Nagel, Leipziger Stadträtin und Landtagsabgeordnete der Linkspartei nach der Kundgebung.

Manche Teilnehmer zogen die Grenzen nicht so scharf: Hin und wieder wechselten einige Personen zwischen den Veranstaltungen. Ein Plakat beispielsweise, das »Frieden ohne Waffen« forderte und sich gegen eine »Nato-Osterweiterung« aussprach, war zunächst bei der Kundgebung der Linkspartei zu sehen. Am späten Abend tauchte es im »Freie Sachsen«-Mob wieder auf, als dieser versuchte, unter »Wir sind das Volk!«-Rufen über den Leipziger Ring zu laufen.

Der Versuch scheiterte vor allem, weil sich das linke Aktionsnetzwerk »Leipzig nimmt Platz« den »Freie Sachsen«-Teilnehmern in den Weg setzte. Ein großer Teil des rechten Aufzugs wurde durch die Blockade zur Umkehr zurück auf den Augustusplatz gezwungen. Ein kleiner Teil lief bis vor den Hauptbahnhof weiter, wurde dort aber von der Polizei blockiert und ebenfalls zurück auf den Augustusplatz geschickt.

Als die »Freien Sachsen« den Ring zu erreichen versuchten, griff eine Gruppe junger Gegendemonstranten mindestens einen »Freie Sachsen«-Teilnehmer körperlich an. Ein Video zeigt, wie dem Mann ins Gesicht ­geschlagen wird. Aus dem Video geht nicht hervor, was vor dem Angriff passierte. Stunden zuvor hatte eine Gruppe dafür gesorgt, dass zwei ältere Männer mit Deutschlandflagge die Linkspartei-Kundgebung ­verließen, diesmal mit einem höflichen »Verpissen Sie sich«. In einem Video ist zu sehen, wie sich die beiden Männer halb amüsiert, halb perplex vom Versammlungsort entfernen.

Der Linkspartei ist am Montag eine Protestaktion gelungen, an der sich auch andere linke Gruppen beteiligten. Gleichzeitig konnte eine Vereinnahmung durch die »Freien Sachsen« verhindert werden. »Ich bin froh, dass meine Partei wieder in der Lage ist, solche Demos zu organisieren«, frohlockte Gysi in seiner Abschlussrede. Die Journalistin Antonie Rietzschel resümierte allerdings auf Twitter: »Die inhaltlichen Grenzen scheinen mit Blick auf den Krieg in der Ukraine zuweilen zu verschwimmen. Und es gibt einen gemeinsamen Gegner: Die da oben.«

Eine ähnlich große Mobilisierung wie die Linkspartei in Leipzig konnte die AfD quasi aus dem Stegreif in Magdeburg bewerkstelligen. Auch sie hatte den Montag ausgesucht, um eine Demon­s­tration unter dem Titel »Preisexplosion stoppen« anzumelden.