Ukrainische Transitflüchtlinge in Lettland

Der erste Halt

Am Busbahnhof in Riga betreiben Freiwillige eine Anlaufstelle für ukrainische Flüchtlinge. Die meisten von ihnen sind über Russland aus den besetzten Gebieten geflohen.

Der erste Tag der russischen Invasion »war der längste Tag meines Lebens«, sagt Anastasia. Die 16jährige steht im Busbahnhof von Riga in einer engen Kammer voller Regale. Früher war hier die Gepäckstelle, heute sind die Regale voll mit Wasserflaschen, Instant-Nudeln und Kinderspielzeug. Es ist eine erste Anlaufstelle für ukrainische Flüchtlinge. Anastasia hilft als Freiwillige mit, fast jeden Tag ist sie da. Vor drei Monaten ist sie selbst geflohen, aus ihrer Herkunftsstadt im Süden der Ukraine, einem kleinen Ort in der Nähe von Cherson.

Man habe schon in den Monaten ­zuvor erwartet, dass es irgendeine Art Kriegshandlung geben würde, sagt Anastasia, aber alle hätten zunächst versucht, nicht schwarzzumalen. Dann ­erzählt sie ihre Geschichte: Am 23. Fe­bruar hieß es in den Nachrichten, dass es am nächsten Tag losgehen könnte, aber sie hat nicht wirklich daran geglaubt. Am nächsten Morgen wachte sie um sechs Uhr auf, weil ihre Oma panisch herumlief und Sachen packte. Doch ihre Familie blieb fürs Erste. Am zehnten Kriegstag wurde ihre Stadt besetzt. Panzer fuhren an ihrem Haus vorbei. Die russischen Soldaten schossen in die Luft und nahmen das Stadtparlament ein.

Am Anfang konnte man sich draußen noch relativ frei bewegen, aber die Stromversorgung und die Internet- und Telefonverbindungen brachen immer wieder zusammen. Fast drei Monate hat sie unter der Besatzung gelebt. »Nachts hatte ich Alpträume vom Krieg und wachte dann jeden Tag in diesem Alptraum auf.« Die Stadt war wie ausgestorben, die Leute sind nur morgens herausgekommen, um das Nötigste zu kaufen. Viele haben trotzdem versucht, irgendwie normal weiterzuleben. Sie hat weiter Gesangsstunden genommen. Aber ständig hörte man Schüsse und Bombardements.

Fast zwei Millionen ukrainische Flüchtlinge sind seit dem Krieg nach Russland gekommen.

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