Small Talk mit Bernd Beier über 25 Jahre Jungle World

»Die Themen liegen auf der Straße«

Nach der Gründung der Jungle World 1997 hätten nicht viele darauf gewettet, dass die Zeitung mehr als ein paar Monate überleben würde. Ein Vierteljahrhundert später gibt es sie noch immer. Bernd Beier ist einer der Chefs von Dienst und seit Gründung der Zeitung dabei.
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Wie hat die Zeitung es geschafft, alle Krisen zu überstehen?

Wir finden immer wieder neue Themen, mit denen wir uns Ärger einhandeln können. Damit können wir die Leserinnen und Leser der Jungle World offensichtlich gut unterhalten. Wir haben seit jeher versucht, bei dem elenden Thema Antisemitismus, der sich auch in der Linken breit gemacht hat, zu polarisieren. Das Thema ist uns ja erhalten geblieben, zumal der Antisemitismus durch die Covid-19-Pandemie nochmal Schwung bekommen hat.

Die islamistischen Anschläge auf die Redaktion von Charlie Hebdo waren natürlich ein großes Thema, da in diesem Zusammenhang auch versucht wurde, mit dem Begriff der Islamophobie gleich die Religionskritik mit zu diskreditieren. Bei einem Teil der Linken hat sich damals gezeigt, dass sie mit einem gewissen unverfrorenen Humor nicht klarkommen und darauf mit verhärteten Identitätskonstruktionen reagieren.

Die Linke schafft ja immer wieder neue Anlässe, um die Kritik zu schärfen. Beispielsweise als sich Linke mit völkischen Bewegungen wie in Katalonien solidarisiert haben. Oder wenn sie der Meinung waren, dass Hillary Clinton oder Barack Obama schlimmer seien als Donald Trump. Der Stoff geht ja nicht aus. Momentan müssen wir uns mit der linken Putin-Solidarität beschäftigen, da liegen die Themen sozusagen auf der Straße.

Besitzt die Jungle World ein Markenzeichen oder eine eigene Identität, etwas, das sie unverwechselbar macht?

Wenn überhaupt, dann hat sie eine antiidentitäre Identität. So wie sich die Jungle World weiterentwickelt, ist sie an keine feste Identität gebunden, sondern muss sich mit der Realität bewegen. Das Ziel ist es immer, eine Kritik zu formulieren, die sich auf der Höhe der Zeit befindet, die aber gleichzeitig auch die Geschichte reflektiert.

Gleich geblieben sind die prekären Bedingungen, unter denen die Zeitung produziert wird.

Die Leserschaft der Junge World ist sehr jung, viele kommen aus den Gewerkschaften oder aus den Universitäten. Das hat sich kaum verändert. Allerdings hat die Prekarisierung zugenommen, gerade auch im Kunst- und Kultursektor. Der Konkurrenzdruck ist deutlich höher, wenn es zum Beispiel um Stellen geht, die es an den Universitäten noch gibt. Unser politisches Interesse, eine kritische Zeitung zu machen und Kritik zu organisieren, die sich auch kulturell ausdrückt, ist nach wie vor vorhanden. Das ist mit Grund, weshalb auch immer wieder neue Leute bei der Jungle mitarbeiten wollen.

Warum braucht die Welt noch eine Zeitung wie die Jungle World?

Einen Grund beschreibt das Buch »How Bullshit Conquered the World« bereits in seinem Titel. Darin analysiert der Autor James Ball die Ära der Post-Wahrheiten in den sozialen Medien nach dem »Brexit« und dem Wahlsieg von Trump. Mit Bullshit wird man wahrgenommen, Bullshit macht dich reich, heißt es darin. Das scheinen die Zeichen der Zeit zu sein. Wir wollen nicht, dass dieser Bullshit tatsächlich die ganze Welt erobert. Und dafür ist die Jungle World ein gutes Korrektiv.