Echte und angebliche Angriffe auf Menschen aus Russland und der Ukraine

Auf der Suche nach Feinden

Wegen des russischen Angriffskriegs werden in Deutschland Menschen attackiert, weil sie vermeintlich oder tatsächlich aus Russland oder der Ukraine stammen. Es kursieren aber auch Fake News über solche Vorfälle.

Jugendliche attackierten im fränkischen Rednitzhembach ein Kind, weil es, so die Polizeiinspektion Roth, russischstämmig ist. Der Grundschüler sei, so das Nachrichtenportal Nordbayern, heftig »körperlich angegangen«, allerdings nicht schwer verletzt worden. Russische und belarussische LKW-Fahrer berichteten gegenüber dem NDR, dass sie in Westeuropa immer öfter Anfeindungen erlebten. In Kreuzberg wurden am Wochenende zwei junge Männer, die sich auf Russisch unterhielten, von fünf möglicherweise ukrainischstämmigen Unbekannten beleidigt, geschlagen und durch Messerstiche verletzt.

Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, wie unverhohlen russsischstämmige oder auch nur für Russen gehaltene Menschen in Deutschland derzeit für Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine mitverantwortlich gemacht ­werden. Umgekehrt können sich allerdings auch Ukrainischstämmige nicht sicher fühlen. In Berlin-Charlottenburg wurde der Inhaber einer Werkstatt wegen einer vor seinem Laden angebrachten ukrainischen Fahne mit einer Eisenstange angegriffen. Am 20. März war ein Ukrainer, der Hilfsgüter transportierte, an der Autobahntankstelle Frankenhöhe-Süd von zwei Männern bedroht und beleidigt worden, die ihn aufforderten, zwei ukrainische Flaggen am Armaturenbrett zu entfernen. Einen Tag später wurde eine 52jährige vor einem Supermarkt im fränkischen Kitzingen aufgrund ihrer ukrainischen Herkunft beleidigt und attackiert.

In Berlin wurde der Inhaber einer Werkstatt wegen einer vor seinem Laden angebrachten ukrainischen Fahne mit einer Eisenstange angegriffen.

Woher aber kommt der Hass, und warum meinen Menschen, ihn ungehemmt ausleben zu können? Während in den deutschsprachigen Medien ­darauf Wert gelegt wird, zwischen den Kriegshandlungen der russischen ­Regierung und russischen Bürgern zu trennen, sieht die Sache im Internet ganz anders aus. Zwei Russen seien in Deutschland bereits totgeschlagen worden, was von den Medien jedoch verschwiegen werde; aus der Ukraine Geflüchtete würden Luxusautos fahren und den deutschen Sozialstaat ab­zocken – solche und ähnliche Lügengeschichten kursieren derzeit auf deutschsprachigen Social-Media-Plattformen. Verbreitet werden sie von ­Accounts, die erst kurz zuvor angelegt worden waren, um, wie die Betreiber oder Betreiberinnen oft versichern, ihrer Wut Ausdruck zu verleihen.

Wie zum Beispiel eine angebliche Großmutter, die darüber klagt, ein entfernterer Verwandter sei fristlos gekündigt worden, weil er Russe sei. Nun stehe der Mann, ein Familienvater, vor dem Nichts und wisse nicht mehr aus noch ein. Weitere Details möchte die angebliche Verwandte nicht öffentlich machen, was verständlich ist. Allerdings geht sie auch nicht auf Ratschläge von Leuten ein, antwortet nicht auf Nachfragen, likt Hilfsangebote nicht. Und verhält sich damit wie ein klassischer Troll-Account. Ausgeschlossen ist es natürlich trotzdem nicht, dass die Großmutter echt sein könnte. Schaut man sich den Account näher an, fällt jedoch auf, dass das Profilbild bereits von anderen eigenartigen Accounts verwendet wird und der angegebene Name nirgendwo sonst im Internet auftaucht.

Die anscheinend nicht besonders netzaffine Seniorin hat es zudem innerhalb weniger Tage geschafft, sich eine erkleckliche Anzahl von Followern zusammenzuklicken. Und das, obwohl sie die offiziellen Twitter-Empfehlungen für Neulinge konsequent ignorierte und weder Promis noch den großen etablierten Medien folgte. Stattdessen ist sie ausschließlich mit Impfgegnern und Putin-Fans befreundet, allerdings auch in diesen Fällen nicht mit den großen bekannten TwitterProfilen, sondern nur mit solchen, die maximal 1 500, tendenziell jedoch deutlich weniger Follower haben.

Die meisten wurden erst vor einigen Wochen angelegt und erzählen ähnliche Geschichten, wenn sie nicht gerade Bilder von Putin posten, auf denen er sich liebevoll um Kinder oder betagte Menschen kümmert – oder gehässige Bemerkungen über »Kulturmarxisten«, Dreadlocks, die Klimakrise und Ukrainer machen. Die Geschichten handeln allesamt von Diskriminierung. Eine ihrem Profil zufolge hübsche blonde Russin, die angeblich in der Schweiz lebt, erzählt, dass sie den Hund ihrer Nachbarin nicht mehr ausführen dürfe, seit diese Ukrainer aufgenommen habe. Und verbreitet natürlich auch den Tweet der empörten Großmutter.

Viele dieser Accounts arbeiten sich zudem hingebungsvoll an CNN ab, einem in Deutschland nur von wenigen gesehenen US-amerikanischen Nachrichtensender. Sie verbreiten eine derzeit immens beliebte Fake-Geschichte, wonach Livebilder eines durch Raketen­beschuss ausgelösten Großbrandes in Lwiw in Wirklichkeit Aufnahmen von brennenden Öltanks im kanadischen Edmonton im Oktober 2021 zeigten. Die ukrainischen Feuerwehrleute seien in Wirklichkeit kanadische Brandbekämpfer, wie unschwer an den Uniformen zu erkennen sei. Immerhin: Vereinzelt verlinken Twitter-User unter diesen vollmundigen Anklagen gegen CNN auf Medienberichte aus dem Jahr 2017 über die Lieferung von mehr als 600 Schutzanzügen sowie Sauerstoffgeräten und Löschequipment aus Kanada an ukrainische Feuerwehren. An der weltweiten Verbreitung der Lügengeschichte ändert dies jedoch wie immer nichts.