Im Krieg kann die vermeintlich schwächere Seite gewinnen

Arroganz der Macht

Was kümmert mich der Dax Von

In früheren Zeiten wurde die Philosophie oft als Universalwissenschaft betrachtet. Darin sah man allerdings keinen Freibrief, sich ohne Sachkenntnis zu jedem beliebigen Thema zu äußern, doch solche Hemmschwellen gibt es nicht mehr. Jedenfalls nicht für Richard David Precht, der, nachdem er allerlei Unfug zur Covid-19-Pandemie geäußert hat, nun ein neues Ziel verfolgt: die Kapitulation der Ukraine. Es gebe eine »Pflicht zur Klugheit, einzusehen, wann man sich ergeben muss«, sagte er Mitte März. Neben den üblichen Verdächtigen in der Linkspartei teilt unter anderem auch Alice Schwarzer die Ansicht, dass die Ukraine »unmöglich die Armee des großen Russlands besiegen kann«.

Spätestens seit vor etwa 2 500 Jahren ein Bündnis griechischer Stadtstaaten den Angriff des weit über­legenen Perserreichs zurückschlug, weiß man, dass die vermeintlich schwächere Seite gewinnen kann. Die Voraussetzungen dafür schafft die »Arroganz der Macht«, die der damalige US-Senator J. William Fulbright 1966 in einem Essay der Außenpolitik seines Landes attestierte. Die stärkste Armee der Welt gegen Reisbauern – was sollte da schon schiefgehen? Man muss den Standpunkt griechischer Sklavenhalter oder vietnamesischer Stalinisten nicht teilen, um eine elementare Tatsache zur Kenntnis zu nehmen: Die Entschlossenheit von Menschen, die etwas verteidigen, wofür sie ihr Leben zu riskieren bereit sind, kann ein kriegsentscheidender Faktor sein.

Der Widerstandskampf in der Ukraine ist angesichts der breiten öffentlichen Unterstützung und Teilnahme, was man in der Linken früher »Volkskrieg« nannte, ein Kampf für Freiheit und Demokratie gegen die Assimilation durch ein rechtsextremes Regime. Man sollte nicht den Fehler der Vergangenheit wiederholen, diesen Widerstand zu romantisieren. Die Scheiße des ukrainischen Verteidigers, der sich unter Beschuss vor Angst in die Hose macht, stinkt genauso wie die des russischen Angreifers. Doch jenseits von Moral und politischer Sympathie ist mittlerweile klar: Die ukrainische Verteidigung beruht auf den in den umkämpften Städten aktiven Widerstandsgruppen und einer kleinen, aber hochprofessionellen Armee, die über moderne Abwehrwaffen verfügt, während die Truppen des Aggressors schon zu Kriegsbeginn demoralisiert sind.

Man kann darüber streiten, welche Risiken bei der Unterstützung des ukrainischen Widerstands eingegangen werden sollten, die Gefahr eines Atomkriegs ist dabei ein relevantes Argument. Wer den Kampf gegen die russische Invasion im Widerspruch zu historischer Erfahrung und aktueller Faktenlage für von vornherein verloren erklärt, macht es sich aber allzu bequem und will in der Hoffnung, dass Wladimir Putin dann Ruhe gibt, die Ukraine opfern, diesem verächtlichen Anliegen aber den Anschein des Unabwendbaren und humanitär Gebotenen verleihen.