Ein Eklat beim Wahlkampf ­des rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour

Nazischläger im Saal

Bei einer Wahlkampfkundgebung nahe Paris verletzten Anhänger des rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Éric Zemmour fünf Mitglieder von SOS Racisme.

»Manche werfen mir vor, ich sei brutal. Das trifft manchmal zu. Das liegt daran, dass ich leidenschaftlich bin. Mit ganzer Hingabe setze ich mich für Frankreich ein.« Diese Worte richtete Éric Zemmour, der vorige Woche seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl öffentlich gemacht hatte, bei einem Wahlkampfauftritt am Sonntag an sein Publikum. Seine Anhänger nahmen ihn postwendend beim Wort. Als in dem Veranstaltungssaal fünf Mitglieder von SOS Racisme in einer Protestaktion ihre Pullover auszogen und T-Shirts mit der Aufschrift »Nein zum Rassismus« enthüllten, griffen Anhänger Zem­mours sie an und verletzten sie. Die Bilder einer jungen Frau mit blutender Platzwunde am Kopf gingen am Abend über viele Fernsehbildschirme. Zudem wurden am Boden liegende Personen von Veranstaltungsteilnehmern getreten.

Neben Anhängern der nationalistisch-monarchistischen Action française hatten sich auch solche der unter Hooligans rekrutierenden nazistischen Schlägertruppe Les Zouaves unter das Publikum gemischt. Zemmour und seine sich derzeit organisierende Partei – am Sonntag wurde ihr Name ­bekanntgegeben: Reconquête (Rückeroberung) – haben dies nicht unter Kontrolle. Doch die Sprüche des ­Kandidaten wirkten ermutigend auf die Gewalttäter. Judith Waintraub, eine Redakteurin des konservativ-reaktionären Figaro Magazine, des ­früheren Arbeitgebers des ehema­ligen Journalisten Zemmour, reagierte am Sonntagabend zur Empörung anderer Studiogäste in einer Talkshow bei BFM TV auf die Gewalttaten: Erst müsse festgestellt werden, wer Angreifer und wer Angegriffene gewesen seien, eine Stellungnahme sei vorher nicht möglich.

In den Messehallen in Villepinte, in der Nähe des Flughafens Paris-Charles-de-Gaulle, waren für den Wahlkampfauftritt nach Angaben der Sender France 24 und BFM TV rund 13 000 Menschen zusammengekommen. Tatsächlich waren es eher zwischen 5 000 und 8 000, wobei die Generation im Studentenalter stark vertreten war – ein auffälliger Unterschied zum Rassemblement national von Marine Le Pen. Rund ein Drittel der Anwesenden trugen keine Gesichtsmaske, Abstände wurden nicht eingehalten. Die konservative Partei Les Républicains (LR) hatte im Hinblick auf eine solche Großver­anstaltung in Pandemiezeiten bereits am Vortag den Anhängern Zemmours Verantwortungslosigkeit vorgeworfen.

Seit voriger Woche sind die Kandidaturen auf Seiten der Rechten klar. 150 000 Parteimitglieder von LR stimmten in zwei Wahlgängen über die Präsidentschaftsbewerbung ab. In der Stichwahl setzte sich die Regionalpräsidentin des Großraums Paris, Valérie Pécresse, mit 61 Prozent gegen den Abgeordneten von Nizza, Éric Ciotti, durch, der 39 Prozent erhielt.

Das ist bemerkenswert, da Ciotti nicht nur innerhalb der Partei rechtsaußen steht, sondern auch ein Duzfreund Zemmours ist. Beide Männer verwenden den Ausdruck grand remplacement (großer Austausch, nämlich der Bevölkerung). In Frankreich hat ihn der Schriftsteller Renaud Camus in Umlauf gebracht, der im April 2000 wegen einer antisemitischen Buchpassage und im April 2015 wegen muslimfeindlicher Äußerungen rechtskräftig verurteilt worden ist. Die Identitäre Bewegung hat ihn wörtlich übernommen, Brenton Tarrant, der Attentäter von Christchurch im März 2019, benutzte ihn in der englischen Übersetzung Great Replacement.

Hingegen hatte Marine Le Pen im Dezember 2014 in einem Interview mit der Sonntagszeitung JDD gesagt, sie lehne das Konzept eines von den Eliten planmäßig betriebenen Austauschs der Bevölkerung zwecks Unterminierung der Nationen als zu verschwörungstheoretisch ab. Ansonsten bleibe sie bei ihrem Programm gegen Zuwanderung und Sozialdumping durch Ausländerbeschäftigung. Zemmour bezeichnete Le Pen unter anderem deswegen im Oktober bei einem Auftritt in Biarritz voller Verachtung als »eine Frau der Linken«.

Ciotti hat bereits in der ersten Septemberwoche verkündet, im Falle einer Stichwahl zwischen dem Amtsinhaber Emmanuel Macron und Éric Zemmour werde er für Letzteren stimmen. Pécresse hat ein moderateres Profil und vergleicht sich selbst mit Margaret Thatcher – als Vorbild für »Reformen« – und Angela Merkel. Am Sonntag beschwerte sich Ciotti lautstark darüber, die nominierte Kandidatin sei nicht bereit, seine Vorschläge zu 100 Prozent in ihr Wahlprogramm aufzunehmen; Pécresse will zum Beispiel das ius soli, den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Geburt in Frankreich, nicht vollständig abschaffen, sondern es unter zusätzliche Bedingungen stellen. Einige der Anhänger Ciottis drohten am Wochenende in Nizza, wo er seine eigene Parteiströmung unter dem einfallsreichen Namen À droite (Nach rechts) gründete, für Zemmour zu stimmen. Allerdings gewann in Umfragen in den vorigen beiden Wochen Marine Le Pen gegenüber Zemmour an Boden zurück.