Israel wird jetzt »Impfapartheid« vorgeworfen

Die angebliche Impfapartheid

Auch in der Covid-19-Pandemie wird Israel zum Objekt antisemitischer Verschwörungstheorien.
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Der Oberste Führer des Iran, Ali Khamenei, bezeichnete Israel mehrmals als Krebsgeschwür; ein Repräsentant der palästinensischen Fatah nannte »den zionistischen Feind« im Oktober 2019 in einem Fernsehinterview einer Übersetzung der NGO Palestinian Media Watch zufolge »eine Art biologische Bombe«. Die Vorstellung von Juden als wuchernder Krankheit ist eines von vielen traditionellen antisemitischen Stereotypen, die heutzutage auf Israel übertragen werden. So überrascht es kaum, dass der jüdische Staat in der Covid-19-Pandemie auch mit dem Coronavirus identifiziert wird.

Seit Frühjahr vorigen Jahres werden in sozialen Medien wie Twitter Bilder geteilt, die Israel nicht nur als Verbreiter, sondern als Verkörperung des Virus selbst darstellen. Ein Bild zeigt die israelische Nationalflagge in der Silhouette eines Covid-19-Erregers. Um es noch deutlicher zu machen, verbindet ein Gleichheitszeichen diese Graphik mit einem mikroskopischen Foto des Virus. Gekennzeichnet sind diese und ähnliche Graphiken mit dem Hashtag #Covid48, einer Anspielung auf das Gründungsjahr des Staates Israel und somit eine Gleichsetzung des Staats mit dem Virus.

Der Hashtag ist nur eines von vielen Beispielen dafür, dass Israel »den Platz des individuellen Juden als Ziel des Antisemitismus eingenommen« hat, wie es der Historiker Yehuda Bauer einmal ausdrückte. Er zeugt auch von der Adaptionsfähigkeit des Judenhasses, der aktuelle Ereignisse aufgreifen und sich in den verschiedenen Formen ausdrücken kann, ohne dabei seinen Kern zu verändern: die Überzeugung, dass Juden als Strippenzieher für das Böse auf der Welt nicht nur verantwortlich sind, sondern es verkörpern.

Egal was in unterschiedlichen geschichtlichen Perioden und politischen Diskursen als das größte Problem der Menschheit gesehen wird: Es wird stets mit den Juden in Verbindung gebracht. Karl Marx sah im Judentum eine religiöse Ausdrucksform des bürgerlichen Kapitalismus, den es zu überwinden gelte. »Das Geld«, so Marx in seiner Schrift »Zur Judenfrage«, »ist der eifrige Gott Israels.« Die »Judenemanzipation« sei daher die »Emanzipation der Menschheit vom Judentum«. Adolf Hitler wiederum machte das Judentum für den Bolschewismus verantwortlich, den er durch die physische Vernichtung aller Juden besiegen wollte. Heutzutage manifestiert sich die antisemitische Dämonisierung der Juden in der Vorstellung vom Zionismus als Rassismus, von Israel als völkermordendem Apartheidregime, oder eben vom jüdischen Staat als Verbreiter der Coronapandemie.

Selbst Israels erfolgreiche Covid-19-Impfkampagne wird paradoxerweise zur Rationalisierung solcher Schmähungen herangezogen. So entschuldigte sich die Frankfurter Rundschau kürzlich für die ­Veröffentlichung eines Kommentars, in dem Israel der »Apartheid« bezichtigt wurde, weil Einwohner der palästinensischen Autonomiegebiete angeblich völkerrechtswidrig aus dem israelischen Impfprogramm ausgeschlossen würden. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und Bürgermeister von Frankfurt, Uwe Becker (CDU), sprach von einer »völligen Entgleisung« und kritisierte neben der Verwendung des Begriffs Apartheid, dass die Zeitung »Propaganda« der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) ungeprüft als Tatsache präsentiert und so »ein Zerrbild der realen Situation« gezeichnet habe. Dabei ist der Artikel aus der FR kein Einzelfall. Auch viele andere internationale Medien bezichtigten Israel der Impfapartheid.

In Wirklichkeit betreibt die PA ein eigenes Gesundheitssystem und ist gemäß den Osloer Verträgen von 1993 selbst für die medizinische Versorgung ihrer Bevölkerung verantwortlich. So führte Ramallah auch direkte Verhandlungen mit mehreren Impfstoffanbietern und erhält mittlerweile Vakzine im Rahmen des UN-geführten Projekts Covax. Dennoch hat Israel bis dato über einhunderttausend palästinensische Pendler geimpft, die in Israel arbeiten. Bereits im Januar schickte Israel eine kleinere Menge Impfstoff direkt an die PA. Israels Staatsbürger haben unabhängig von ihrer Religion, Abstammung oder Herkunft gleichen Zugang zum Impfprogramm des Landes.

Frei erfunden sind auch Berichte palästinensischer Medien, Israel habe palästinensische Häftlinge absichtlich mit Covid-19 infiziert. Tatsächlich gehörten Insassen israelischer Gefängnisse – Palästinenser eingeschlossen – zu den ersten auf der Welt, die gegen die Erkrankung geimpft wurden. Solche Verschwörungsphantasien machen deutlich, dass die Mythen des israelbezogenen Antisemitismus ebenso wenig mit dem tatsächlichen Handeln des jüdischen Staates zu tun haben wie die Vorstellungen des Corona-bezogenen Antisemitismus mit der Realität der Pandemie. Der Antisemitismus, so der Soziologe Zygmunt Bauman in seinem Buch »Dialektik der Ordnung: die Moderne und der Holocaust«, lasse sich gerade deshalb auf so viele Themen münzen, weil er in der Realität mit keinem von ihnen verbunden ist.