Trotz des Demonstrationsverbots protestieren in Frankreich Zehntausende gegen Rassismus und Polizeigewalt

George Floyd und Adama Traoré

Auf teils überraschend großen Kundgebungen wurde in Frankreich der Opfer rassistischer Polizeigewalt gedacht.

Antirassistisches Engagement heißt, zu Fuß zu gehen – das war die Devise am Wochenende in Paris. Diverse Metro-Linien im westlichen Stadtzentrum waren vorübergehend lahmgelegt worden, wohl um das Eintreffen von Protestwilligen, einzeln und in Gruppen, an den geplanten Kundgebungsorten zu verhindern.

An zwei Plätzen wurde am Samstag in Paris protestiert, um unter anderem an den gewaltsamen Tod von George Floyd in Minnesota, aber auch an Opfer französischer Polizeigewalt zu erinnern. Ab 15 Uhr hockten und standen etwa 3 000 Menschen auf der großen Place de la Concorde, an deren nördlicher Seite die US-Botschaft liegt. Viele kamen vor allem wegen dieses unmittelbaren örtlichen Bezugs. Linke hatten jedoch Bedenken gegen die Teilnahme am Sit-in geäußert, da die Initiative dafür ursprünglich von einer kleinen Gruppierung mit ethnozentrischer Tendenz ausgegangen war, der »Schwarzafrikanischen Verteidigungsliga« (LDNA), die gegen Rassismus, Polizeigewalt sowie »Negrophobie« vorgehen will, mit diesem Konzept aber einem pseudorebellischen Rassebegriff frönt. Linke Gruppen und universalistische Initiativen gegen Polizeigewalt riefen deshalb zu einer Kundgebung ab 17 Uhr auf dem Marsfeld in der Nähe des Eiffelturms auf, beziehungsweise offiziell zum »Spazierengehen«.

Seit voriger Woche hat sich in der französischen Öffentlichkeit die Vorstellung durchgesetzt: Der französische George Floyd ist Adama Traoré.

Circa 2 000 Menschen kamen trotz der Einschränkungen bei den öffentlichen Verkehrsmitteln am Kundgebungsort an. Unterstützung kam dabei auch von bekannten Gruppen, die sich seit längerem gegen Polizeigewalt engagieren, wie dem Komitee Adama. Dieses thematisiert seit fast vier Jahren den Tod des 24jährigen Adama Traoré, der an seinem Geburtstag, dem 19. Juli 2016, in einem Fahrzeug der französischen Gendarmerie in der Pariser Vorstadt Persan-Beaumont zu Tode kam – mutmaßlich erstickt von mehreren auf ihm sitzenden Beamten, in Anwendung einer Technik zur Ruhigstellung, die in Nachbarländern wie Belgien und der Schweiz ausdrücklich verboten ist. Am Montag kündigte Innenminister Christophe Castaner an, künftig werde sie auch in Frankreich nicht mehr Anwendung finden. Jedes Jahr im Juli schafft es das Komitee Adama, mehrere Tausend Menschen in Paris und in Persan-Beaumont zu mobilisieren.

Ein weiteres gerichtlich angeordnetes Gutachten in diesem Fall kam vorvergangene Woche zum selben Ergebnis wie das ursprüngliche: Die Polizeimethode sei nicht schuld am Tod Traorés, der wegen eines Herzfehlers nach einem Lauf von 400 Metern in Atemnot geraten und dann gestorben sei. Die Familie des sportlichen jungen Mannes bestreitet dies. Ein von ihr am 2. Juni vorgelegtes, von ihr selbst finanziertes Gutachten belegt ihr zufolge das Gegenteil.

Aus diesem Anlass hatten die Unterstützer des Komitees mit der Forderung nach »Gerechtigkeit für Adama« für den frühen Dienstagabend voriger Woche dazu aufgerufen, zum Pariser Justizpalast zu kommen, wo das Gegengutachten an die zuständigen Justizorgane übergeben werde. Die Polizei war seit dem Spätnachmittag an Ort und Stelle, doch wurde sie alsbald durch Tausende von allen Seiten herbeiströmende Menschen schier überrannt. Selbst nach polizeilichen Angaben kamen über 20 000 Menschen zusammen. Rund ein Drittel der Beteiligten waren schwarz, viele junge Menschen waren in der Menge zu sehen. Sämtliche Medien berichteten ausführlich. Seither hat sich in der französischen Öffentlichkeit die Vorstellung durchgesetzt: Der französische George Floyd ist Adama Traoré. Die Regierung äußert sich sehr reserviert zum Thema wie auch zu den Unruhen in den USA; Innenminister Castaner bestritt rassistische Tendenzen in der französischen Polizei, doch Präsident Emmanuel Macron kündigte eine »Verbesserung ihrer Ausbildung« an. Am Montagabend verkündete die Regierungspartei LREM ihre Unterstützung für die weltweiten Trauerfeiern für George Floyd am Dienstag.

Nach einer Demonstration von gut 5 000 Menschen am 30. Mai für die Rechte von Einwanderern ohne Aufenthaltsstatus, war diese der zweite Fall, an dem das geltende Demonstrationsverbot in großem Stil missachtet wurde. In Frankreich sind derzeit öffentliche Versammlungen mit mehr als zehn Personen grundsätzlich verboten, und dies voraussichtlich bis mindestens zum 10. Juli, an dem die derzeitige Frist zur Anwendung des »Gesetzes zum gesundheitlichen Ausnahmezustand« ausläuft.

Zwar haben mittlerweile alle Schulen ihren Betrieb wieder aufgenommen, zumindest in manchen Verkehrsmitteln wie den Zügen der berüchtigt überlasteten Linie 13 der Pariser Metro drücken sich die Leute längst schon wieder eng an eng, und am Ufer der Seine und vieler Kanäle versammeln sich Menschen, ob nun mit oder ohne Wein- und Bierflaschen. Auch Versammlungen in religiösen Kultstätten aller Art muss die Regierung wegen eines Urteils des höchsten Verwaltungsgerichtshofs nach einer Klage rechtsextrem-katholischer Organisationen wie der Piusbruderschaft und Civitas erneut zulassen.

Doch Menschenansammlungen politischen oder sozialen Charakters unter freiem Himmel oder in geschlossenen Räumen bleiben, angeblich wegen gesundheitlicher Bedenken, untersagt. Selbst der konservative Oppositionsführer in der Nationalversammlung, Damien Abad (Les Républicains), kritisierte dies in der Zeitung Le Parisien vom 29. Mai und forderte eine Aufhebung des Versammlungsverbots – allerdings wohl vor allem, weil er eben öffentlichkeitswirksam der Rolle des Oppositionsführers gerecht werden will.