In Koblenz läuft ein Prozess gegen zwei mutmaßliche Schergen des Assad-Regimes

Überläufer vor Gericht

In Koblenz stehen zwei mutmaßliche Schergen des Assad-Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschheit vor Gericht. Dass es sich um Überläufer handelt, die selbst aus Syrien geflohen sind, erschwert die juristische Aufarbeitung.

Es war ein denkwürdiger Prozess, der am 23. April vor dem Oberlandesgericht Koblenz begann: Zum weltweit ersten Mal läuft ein Prozess gegen zwei syrische Angeklagte, die im Auftrag des Regimes von Bashar al-Assad an Verbrechen gegen politische Gegner beteiligt gewesen sein sollen. Die Vorwürfe betreffen hierbei vor allem Taten im Foltergefängnis al-Khatib in Damaskus, das dem sogenannten allgemeinen Geheimdienstdirektorat unterstellt ist, einem von mehreren Geheimdiensten, die vom Regime mit der Verfolgung der Opposition betraut sind.

Eyad A. wird in der Anklageschrift vorgeworfen, im Herbst 2011 mindestens 30 Demonstranten in das Foltergefängnis verschleppt zu haben. Ihm drohen wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschheit in mindestens 30 Fällen bis zu 15 Jahre Haft. Die gegen Anwar R. erhobenen Vorwürfe sind schwerer: Verbrechen gegen die Menschheit wegen 58fachen Mordes und Folter in mindestens 4 000 Fällen sowie Vergewaltigung und sexuelle Nötigung. Er soll bis September 2012 die Ermittlungseinheit der »Abteilung 251« des Geheimdienstes geleitet, unter anderem die Vernehmungsbeamten befehligt und damit die »Tatherrschaft« über das Gefängnis al-Khatib innegehabt haben. Der Staatsanwaltschaft zufolge war er der militärische Vorgesetzte des Gefängnispersonals.

Dass dieser Prozess überhaupt zustande kam, liegt an mehreren Besonderheiten. Das Verfahren wird nach dem sogenannten Weltrechtsprinzip geführt. Dieses erlaubt nationalen Behörden, schwere Verbrechen selbst dann zu verfolgen, wenn sie ohne spezifischen Inlandsbezug verübt wurden, also weder der Tatort im Inland liegt noch der Täter oder das Opfer eine inländische Staatsangehörigkeit besitzen. Dieses völkerrechtliche Prinzip, das im Jahr 2002 auch in Deutschland ein­geführt wurde, greift vor allem dann, wenn die Verfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit auf internationaler Ebene nicht möglich ist – was im Fall Syriens vor allem am Veto Russlands im UN-Sicherheitsrat liegt, dessen Regierung das Assad-Regime politisch und militärisch unterstützt.

In Deutschland werden etwa 80 Ermittlungsverfahren sowie 20 Strafprozesse wegen schwerer Verbrechen auf syrischem Boden geführt.

Nach diesem Prinzip vorzugehen, könnte daher zu einer Vielzahl von Prozessen in einzelnen Staaten gegen einzelne Beschuldigte führen, derer man wie Eyad A. und Anwar R. habhaft werden kann. Die jeweiligen nationalen Behörden sind dabei auf die Hilfe von Menschenrechtsorganisationen wie dem »European Center for Constitutional and Human Rights« (ECCHR) oder der »Commission for International Justice and Accountability« (CIJA) an­gewiesen. Diese Organisationen suchen seit Jahren unter Exilsyrern in Europa Opfer von Verbrechen, sammeln Beweismittel, leiten diese an lokale Behörden weiter und stellen Strafanzeigen. Insbesondere die Staaten, in denen seit 2015 eine große Zahl von Syrern Flüchtlingsstatus erhalten haben, fungieren hier als Vorreiter, allen voran Deutschland, gefolgt von Schweden, das ebenfalls das Weltrechtsprinzip kennt.

Nicht zuletzt wegen der Vielzahl der Hinweise richtete das Bundeskriminalamt 2018 eine Zentralstelle für Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in Syrien ein, die Speicherfrist für solche Taten betreffende Daten soll von fünf auf 30 Jahre erhöht werden. Auch dank der von der Behörde gesammelten 4 600 Hinweise werden zurzeit allein in Deutschland etwa 80 Ermittlungsverfahren sowie 20 Strafprozesse wegen schwerer Verbrechen auf syrischem Boden geführt. Das Problem ist jedoch: Nur wenige Angeklagte halten sich in Deutschland oder Europa auf, die wenigen, die es tun, sind in der Regel Überläufer. Letzteres ist bei den beiden Angeklagten in Koblenz der Fall, was die juristische Aufarbeitung kompliziert.

Bis zum 22. Dezember sind bislang 61 Verhandlungstage angesetzt, der Prozess selbst findet unter besonderen Bedingungen statt. Wegen der Pandemie wurde die Zahl der Sitze im Verhandlungssaal reduziert, Dolmetscher übersetzen aus dem Deutschen ins Arabische und umgekehrt. Am ersten Verhandlungstag am 23. April verlas Oberstaatsanwalt Jasper Klinge die Vorwürfe und sparte nicht an grausamen Details, die von Schlägen, Elektroschocks, der rektalen Einführung von Gegenständen über Vergewaltigungen bis hin zu unmenschlichen Haftbedingungen reichten.

 

Die Bundesanwaltschaft stützt sich in der Anklage auf drei verschiedene Arten von Beweismitteln: Die erste sind Aussagen von Opfern und Angehörigen, die als Zeugen vor Gericht erscheinen werden und von denen einige als Nebenkläger auftreten. Sechs vorgesehene Zeugen haben das Gefängnis al-Khatib überlebt, andere haben dort Angehörige verloren. Ihre Aussagen sollen ab Juli vor Gericht aufgenommen werden.
Als zweite Art von Beweismitteln dient eine Sammlung von 28 000 Fotografien, die ein syrischer Militärfotograf mit dem Decknamen »Caesar« von Opfern der Foltergefängnisse in einem Krankenhaus in Damaskus aufnahm. »Caesar« schmuggelte die Aufnahmen 2013 außer Landes und flüchtete nach Europa. Das Gericht zieht die Fotos zur Dokumentation der Taten und zur Identifikation der Opfer heran.

Die dritte Art von Beweismitteln ist problematisch: Es handelt sich um Aussagen der mutmaßlichen Täter. Die beiden Angeklagten machten Angaben zu ihrer Funktion im Apparat Assads, nachdem sie übergelaufen waren, und bezichtigten sich so unabsichtlich selbst. Eyad A. gab in seinem Asylverfahren an, was er in Syrien getan hatte. Anwar R. bot sich als Zeuge für die syrische Opposition an, nachdem er Ende 2012 zu ihr übergelaufen war. Dass er überhaupt verhaftet wurde, liegt an einem Zufall: 2015 bat er deutsche Behörden um Schutz vor mutmaßlichen syrischen Regimeanhängern, von denen er sich bedroht fühlte. Die Polizisten leiteten die Angaben R.s an die Bundesanwaltschaft weiter, woraufhin diese ­Ermittlungen gegen ihn einleitete.

A. schweigt bislang zu den Vorwürfen. Der Hauptangeklagte R. machte eine schriftliche Aussage, die am fünften Verhandlungstag am 18. Mai verlesen wurde. Darin bestreitet er die Vorwürfe: Er sei entweder nicht zuständig gewesen oder er habe in Wahrheit den Opfern geholfen. Sein Überlaufen zur Opposition sei der Beweis für seine tatsächliche politische und moralische Haltung. Zudem verweist er auf seine Teilnahme an einer Friedenskonferenz in Genf.

Hier zeigen sich die Schwierigkeiten des Prozesses. Einerseits könnte zum ersten Mal ein hoher Beamter des Regimes für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Eine Verurteilung zu einer hohen Haftstrafe hätte internationale Signalwirkung, besonders auf Syrien. Andererseits sitzen in diesem Fall zwei Männer auf der Anklagebank, die sich mutmaßlich vom Regime lossagten und nach Europa flohen, während regimetreue Täter in Syrien weiterhin unbehelligt bleiben. Beiden Beschuldigten wurden ihre Aussagen zu ihren früheren Taten zum Verhängnis. Dies könnte absurderweise dazu führen, dass diejenigen, die sich vom Assad-Regime lossagen und überlaufen, künftig lieber schweigen, anstatt zur Aufklärung von Verbrechen beizutragen. Nicht zuletzt deshalb zeigt der Prozess vor allem eines: wie sehr die westlichen Staaten in Syrien versagt haben. Denn mittlerweile besteht keine Gelegenheit mehr, die Hauptverantwortlichen des Regimes zur Verantwortung zu ziehen.