Die NPD will im niedersächsischen Eschede ein Schulungszentrum etablieren

Die Nazis von Hof Nahtz

Im niedersächsischen Eschede will die NDP auf einem ehemaligen Bauernhof ein Schulungszentrum etablieren. Die Lokalpresse und örtliche Behörden zeigen wenig Problembewusstsein.

In der Nacht zum 1. Mai sprühten Unbekannte das Wort »Nahtzischeiße« an das Gebäude der Celleschen Zeitung (CZ), des Lokalblatts der 70 000-Einwohner-Stadt in Niedersachsen. Was auf den ersten Blick orthographisch skurril anmutet, war wohl beabsichtigt. Denn rund 20 Kilometer entfernt, im beschaulichen Eschede am südlichen Rand der Lüneburger Heide, lebt auf einem Hof der ehemalige Landwirt Joachim Nahtz. Er ist ein langjähriges Mitglied der neonazistischen Partei NPD und kandidierte für diese bei der Bundestagswahl 2013. Und eben diese durfte sich am letzten Apriltag großflächig in der CZ präsentieren.

Am 9. August 1999 traten zwei Neonazis den Escheder Peter Deutschmann zu Tode, nachdem dieser sie aufgefordert hatte, »den Scheiß mit dem Skinhead-Gehabe« zu unterlassen.

Im Februar 2019 kaufte die NPD Niedersachsen den heruntergewirtschafteten Hof. Seither bemüht sie sich, das Gelände auf Vordermann zu bringen. Im CZ-Artikel unter der Überschrift »›Wir sind nicht zahnlos‹ – So sehen es die Extremisten: NPD zu ihren Plänen mit Hof Nahtz« sagt der Landesvorsitzende der NPD-Jugendorganisation Junge Nationalisten (JN), der Braunschweiger Sebastian Weigler, man wolle ein »Bildungs- und Gemeinschaftszentrum des nationalen Niedersachsen« aufbauen. Protest werde man mit »Versammlungen und Kundgebungen« ­begegnen, droht er »verwirrten Gegendemonstranten«. Es handele sich um »wenige Scharfmacher« und »linke Störer«. Die Aussagen des Neonazis veröffentlichte die CZ ohne kritische Einordnung und ohne jede Gegenstimme, wofür sie vielfach getadelt wurde. Die Redaktion gestand schließlich einen Fehler ein.

Vor nicht allzu langer Zeit hätte diese Provinzposse wohl weniger Wellen geschlagen. Doch seit die NPD ihre Aktivitäten in Eschede intensiviert hat, steigt das öffentliche Interesse. Auf Hof Nahtz ist die extreme Rechte Norddeutschlands allerdings schon seit Jahrzehnten zu Hause. Bereits 1992 fand dort ein Wehrsportlager der später verbotenen »Nationalen Liste« von Christian Worch statt. 2007 organisierte die inzwischen ebenfalls verbotene »Heimattreue Deutsche Jugend« (HDJ) ihr Pfingstlager in Eschede. Bekannt sind darüber hinaus insbesondere die jährlich stattfindenden Sonnenwend- und Erntedankfeiern. Zu diesen völkischen Brauchtumsfesten pilgern alle paar Monate Neonazis aus verschiedenen Teilen Deutschlands in die Südheide. Die niedersächsische NPD selbst veranstaltete etwa ihren Landesparteitag 2018 auf Hof Nahtz.

Nun ist die Partei nicht mehr nur zu Gast bei Nahtz, sondern kann das Gelände ihr Eigen nennen. Das hält das »Celler Forum gegen Gewalt und Rechtsextremismus« für skandalös. Eine Antifaschistin aus dem Forum, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, sagte der Jungle World: »Die lokale Politik meint, sie habe den Verkauf nicht verhindern können. Dabei gab es im Vorhinein Anzeichen, dass die NPD einen Rückzugsort sucht. Ich glaube, die Partei will in Eschede neue Kader ausbilden und zu alter Stärke zurückfinden.« Zudem versuche die NPD, im Ort selbst Fuß zu fassen. Mitglieder patrouillierten bereits im Stil einer rechten Bürgerwehr durch die Straßen Eschedes. Für 2020 habe die Partei außerdem gleich neun Demonstrationen vorab angemeldet.

Doch erstmals regt sich in dem Ort mit seinen knapp 6 000 Einwohnern größerer Protest. Bisher waren es vor allem Auswärtige, die sich im »Netzwerk Südheide gegen Rechtsextremismus« organisierten und Kundgebungen gegen die Nazitreffen veranstalteten. Seit aber die Antifaschisten im vergangenen Herbst mit ihrer Demonstration zum ersten Mal direkt vor den abgelegenen Hof ziehen durften – und nicht wie bisher an der Zufahrtsstraße verweilen mussten –, ist der Zuspruch gewachsen. Zu den Protesten gegen die Wintersonnenwendfeier der Neonazis im Dezember kamen etwa 650 Personen, die erfolgreich eine Demonstration der NPD blockierten. Diese wollte eigentlich mit Rauchtöpfen und bengalischen Fackeln von Hof Nahtz ins Dorf ziehen, musste aber bereits auf dem matschigen Feldweg abbrechen, der vom Grundstück führt.

Für das »Celler Forum« war das ein wichtiger Schritt. Das Mitglied erzählt im Gespräch mit der Jungle World: »Wir sagen ganz klar: Schluss mit den Nazitreffen! Aber wir würden uns schon freuen, wenn die Kommune das Problem überhaupt ernst nähme. Bisher fährt sie höchstens eine Politik der ›kleinen Nadelstiche‹. Zum Beispiel wurden große Feuer auf dem Hof verboten oder die Hygienemaßnahmen der Feiern bemängelt. Beim Thema Kindeswohlgefährdung tut sich dagegen seit Jahren nichts. Dabei sind stets zahlreiche Kinder und Heranwachsende anwesend, die in die Erlebniswelt der Neonazis eingeführt werden.«

Die Antifaschistin befürchtet außerdem, dass sich Eschede zu einem »zweiten Hetendorf« entwickeln könnte. In dem Dorf im nördlichen Landkreis Celle existierte in den achtziger und neunziger Jahren ein Tagungs- und Schulungshaus der extrem rechten Szene unter Leitung des berüchtigten Neonazis und zeitweiligen NPD-Politikers Jürgen Rieger. Nach jahrelang währenden Protesten wurde das Zentrum 1998 geschlossen.

In Eschede selbst endete das neonazistische Treiben schon einmal in einer Tragödie: Am 9. August 1999 traten zwei Neonazis den ebenfalls in Eschede wohnenden Peter Deutschmann zu Tode, nachdem dieser sie aufgefordert hatte, »den Scheiß mit dem Skinhead-Gehabe« zu unterlassen. Mit der Erinnerung an diese Bluttat tat man sich in Eschede lange schwer. Erst seit wenigen Jahren findet sich ein Gedenkstein an der örtlichen Kirche. Mitglieder des »Celler Forums« und andere hatten sich bereits lange zuvor dafür eingesetzt.

In Sachen Hof Nahtz gibt es seit Anfang des Jahres auch Unterstützung durch eine antifaschistische Kampagne. Unter dem Namen »Landfriedensbruch« versammeln sich nach eigenen Angaben organisierte Antifaschistinnen und Antifaschisten sowie »unterschiedlichste junge Menschen aus der Region«, die »mit verschiedenen Mitteln« Widerstand gegen die Raumnahme durch Faschisten in Eschede und andere extrem rechte Umtriebe im Landkreis Celle leisten wollen. In einem Blogbeitrag dokumentierten sie das Geschehen auf Hof Nahtz während der vergangenen Wintersonnenwendfeier. Demnach seien mehrere hochrangige NPD-Kader anwesend gewesen, darunter der niedersächsische Landesvorsitzende Manfred Dammann aus Rotenburg an der Wümme, Hamburgs NPD-Vorsitzender Lennart Schwarzbach sowie weitere, teils einschlägig vorbestrafte Neonazis.

Doch das ist den zuständigen Behörden nicht Grund genug, den Betreibern des künftigen Neonazizentrums einen Strich durch die Rechnung zu machen, wie Antifaschisten im Landkreis Celle in den vergangenen Jahren bitter lernen mussten. Womöglich kommen ihnen die Neonazis aber nun selbst zu Hilfe. Offenbar wurden bei den Bauarbeiten die pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen weitgehend ignoriert. Der Polizeiinspektion Celle sollen deshalb bereits mehrere Anzeigen vorliegen.