Die extreme Rechte protestiert in den USA gegen die Pandemiemaßnahmen

Bewaffnet in den Boogaloo

In den USA wehren sich Milizen, christliche Fundamentalisten, sogenannte weiße Nationalisten und andere Rechtsextreme gegen die Pandemiemaßnahmen.

Es waren eindrückliche Bilder: Eine von Milizen organisierte Protestkundgebung gegen die Pandemiemaßnahmen in Lansing, der Hauptstadt des US-Bundesstaats Michigan, endete am 30. April damit, dass ein mit Sturmgewehren bewaffneter Mob in das Parlamentsgebäude eindrang. Hierhin Waffen mitzubringen, ist wegen der laxen Gesetze des Bundesstaats legal. Die Polizei konnte die bewaffneten Rechtsextremen daran hindern, in den Sitzungssaal des Parlaments vorzudringen. Wie bei ähnlichen Vorfällen, bei denen Beteiligte die derzeit wegen Covid-19 geltenden Abstandsregeln missachteten, nahm die Polizei niemanden fest.

Seit Anfang April gibt es in den Vereinigten Staaten Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19. Sie werden fast ausschließlich von Rechtsextremen angeführt, darunter bewaffnete Milizionäre und sogenannte weiße Nationalisten. Die Demonstranten bedienen sich einer aggressiven Rhetorik, in einer Reihe von Fällen kamen sie mit Schusswaffen zu den Protesten.

Ihre Motive sind nicht leicht zu bestimmen, liegt doch extremen Rechten das Thema eigentlich nicht sehr. Obwohl Präsident Donald Trump die Einführung der Maßnahmen unterstützt hat, verfährt seine Basis rücksichtsvoll mit ihm: Sie zeigt ihre Feindseligkeit auf den Kundgebungen, stellt aber sicher, dass er nicht zum Ziel der Proteste wird.

Für einige handelt es sich einfach um eine Möglichkeit, Juden oder Chinesen zum Sündenbock zu erklären. Andere verfolgen eine akzelerationistische Strategie (Jungle World 35/2015 und 4/2020). Solche militanten Neonazis wollen die Situation eskalieren, um das so entstehende Chaos für einen Umsturz zu nutzen.

Militante Neonazis wollen die Situation in den USA eskalieren, um das so entstehende Chaos für einen Umsturz zu nutzen.

Wie in Deutschland ist einer der Schlüssel zur Popularität der Proteste die weite Verbreitung von Verschwörungstheorien in den sozialen Medien. Trotz über 60 000 Todesfällen in den USA bis Anfang Mai ist die Ansicht weit verbreitet, dass die Pandemie ein Schwindel sei. Sie wird ergänzt durch die Behauptung, die Maßnahmen seien illegal und Regierungen, die sie durchsetzten, mit den Nazis vergleichbar. Zudem kursiert die Verschwörungstheorie, der chinesische Staat habe das Virus absichtlich als Biowaffe verbreitet.

Trump stiftet ebenfalls Verwirrung: In einer Pressekonferenz schlug er vor, Bleichmittel zur Bekämpfung des Virus zu verwenden. Zwar verteidigte er sich später damit, es habe sich um eine sarkastische Antwort auf die Frage eines Journalisten gehandelt. Doch seit Jahren empfehlen Pseudomediziner, die der extremen Rechten nahestehen, Menschen sollten verdünnte Bleichmittel trinken, um verschiedene Krankheiten zu behandeln, darunter Krebs und Aids. Dieser gesundheitsgefährdende Schwindel wird als MMS-Therapie vermarktet. Michael Caputo, der neue Sprecher des US-Gesundheitsministeriums, verbreitete gleich handfeste Verschwörungstheorien. Kurz vor seiner Ernennung durch Trumps Regierung Mitte April hatte er auf Twitter noch behauptet, die Familie Rothschild und der Finanzinvestor George Soros nutzten die Pandemie aus. Unter anderem postete er ein Foto von Soros mit den Worten: »Das wirkliche Virus hinter allem.«

Wie häufig ziehen die rechtsextremen Proteste ein kleines, aber engagiertes Publikum an. Eine Studie ergab kürzlich, dass nur zwölf Prozent der US-Bevölkerung die Beschränkungen für zu streng halten. Dennoch zählt das Institute for the Research and Education on Human Rights mittlerweile über 450 Facebook-Gruppen mit über 1,7 Millionen Mitgliedern, die die Maßnahmen vehement ablehnen.

Wohlhabende Konservative haben die Proteste von Anfang an gefördert. Die Organisation Southern Poverty Law Center berichtete, zu den Unterstützern »gehören die Familie Dorr, die jedes Jahr Hunderttausende Dollar einnimmt und eine Reihe von Gruppen für Waffenrechte und gegen Abtreibungen sponsert, und der Michigan Freedom Fund, der mit der Familie von Bildungsministerin Betsy DeVos verbunden ist.« Auch Trump hat die Proteste angestachelt, zumindest in Bundesstaaten mit demokratischen Gouverneuren. Am 17. April twitterte er »Befreit Minnesota«, »Befreit Michigan« und »Befreit Virginia«.

Ortsansässige griffen die Proteste auf und werden nun immer militanter; einige Gruppen hoffen, die Demonstrationen in bewaffnete Aufstände zu verwandeln. »Boogaloo« bezeichnet im Slang der Alt-Right einen Bürgerkrieg. Teilnehmer mehrerer Proteste trugen in jüngster Zeit Schilder mit diesem Slogan. Mindestens 125 Facebook-Gruppen, die die Proteste gegen die Pandemiemaßnahmen koordinieren, verwenden den Ausdruck in ihren Namen.

Es überrascht nicht, dass es bereits einige Gewalttaten gab. In Huntington Beach, Kalifornien, zwang ein mit Messern bewaffneter Mann den Kameramann eines Fernsehteams dazu, in einen Lieferwagen einzusteigen und seine Filmaufnahmen zu löschen. In Michigan blockierten Teilnehmer der unter dem Namen »Operation Gridlock« firmierenden Proteste die Notaufnahme eines Krankenhauses. Ende März hielt die Polizei in Missouri den Neonazi Timothy Wilson an, als dieser sich mutmaßlich auf dem Weg zu einem Bombenanschlag auf ein örtliches Krankenhaus befand. Er wurde bei der Konfrontation getötet.

Es waren zwar zahlreiche sogenannte weiße Nationalisten auf den Demonstrationen zu beobachten, doch die meisten Proteste wurden und werden von fanatischen Trump-Anhängern, Milizionären und Mitgliedern der sogenannten Alt-Lite organisiert. Bei dieser handelt es sich um den vergleichsweise gemäßigten Flügel der Alt-Right, der Juden, Farbige und Schwule als Mitglieder akzeptiert; politisch weist diese Strömung Ähnlichkeiten mit der AfD auf. Die Schlägertruppe der Alt-Lite, die Proud Boys, hat die Proteste nachdrücklich gefördert. In Miami, Florida, trugen ihre Mitglieder ein Transparent mit der Aufschrift »Fuck the Chinese Government«. In Olympia, Washington, sprach vor 2 000 Menschen Joey Gibson von der rechtsextremen Gruppe Patriot Prayer, die seit einigen Jahren Aufmärsche in Portland, Oregon, veranstaltet, bei denen es wiederholt zu gewalttätigen Zusammenstößen mit Antifaschisten kam.

Nicht nur in Michigan organisierten Milizen die Proteste. Ammon Bundy, der eine Miliz angeführt hatte, die 2016 in Burns, Oregon, den Sitz der Nationalparkbehörde besetzte, organisierte am Ostersonntag in Emmett, Idaho, eine Versammlung – trotz der in dem Bundesstaat geltenden Ausgangsbeschränkungen. Der republikanische Politiker Matt Shea, der im Repräsentantenhaus des Bundesstaats Washington sitzt, hatte den Protest unterstützt. Alex Jones‘ »Infowars«, eine sehr populäre rechtsextreme Verschwörungsplattform, organisierte eigene Proteste in Austin, Texas.

Es ist schwer zu sagen, was als Nächstes kommen wird. In New York City, wo bereits über 12 000 Covid-19-Tote zu beklagen sind, wird es wohl keine wütenden Proteste gegen die Pandemiemaßnahmen geben. Am Tag vor dem Protest in Michigan musste die New Yorker Polizei ein Bestattungsinstitut besuchen. Dessen Kapazitäten waren erschöpft, das Unternehmen hatte Leichen in ungekühlten Lastwagen gestapelt. Aus diesen waren Körperflüssigkeiten der Toten auf die Straße gesickert, Nachbarn hatten entnervt vom Gestank die Behörden verständigt.