Künstliche Intelligenz erkennt die wahre Liebe

Das digitale Gänseblümchen

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Aber letztlich geht es bei solchen Analyse-Tools darum, einen Wissensvorsprung vor der analysierten Person zu gewinnen, ein Vorsprung, den man durchaus manipulativ einsetzen kann. Sich auf freundliche, wertschätzende Weise und unvoreingenommen kennen- und liebenzulernen, sieht jedenfalls anders aus. Und Pick-Up-Artists können sich über ein weiteres Werkzeug in ihrem Manipulationsarsenal freuen. Es gehört nur wenig Phantasie dazu, sich auszumalen, wie jemand anhand einer solchen Analyse zur Aus­sage »Du liebst mich, du weißt es nur noch nicht« gelangt – eine Anmaßung, die gleichwohl viele als romantisch empfinden, und die in den Plots zahlloser Liebesgeschichten vorkommt.

Auch wenn einem Apps wie Mei vorgaukeln, ähnlich magisch zu funktionieren wie das Gänseblümchen, hat ihre Funktionsweise wenig mit Romantik und viel mit Statistik zu tun. In der Entwicklungsphase wurde ein Machine-Learning-Algorithmus mit den Daten aus Hunderttausenden von Chat-Verläufen trainiert, denen zugeordnet war, ob es sich um Gespräche mit festen Partnern, Freunden, Menschen, in die man sich ein wenig verguckt hat, oder einfach nur Kollegen und Bekannte handelt. Es handelt sich um die gleiche Technologie, die nach langem Training auch erkennen kann, ob auf einem Foto eine Katze abgebildet ist oder nicht.

Grundsätzlich ist der Score, den eine App wie Mei oder Keigo auswirft, nur ein Wahrscheinlichkeitswert, der letztlich keine Rückschlüsse auf das analysierte Individuum erlaubt, ­sondern nur statistische Aussagen über Gruppen von Menschen: Die Wahrscheinlichkeit ist 80 Prozent, wenn 80 von 100 Leuten mit dir so chatten, wie sonst gemäß den Daten in der Trainingsdatenbank verliebte Menschen miteinander chatten würden.

Solche statistischen Verfahren – und nichts anderes ist »künstliche Intelligenz« – können die Wahrscheinlichkeit steigern, dass eine bestimmte Online-Werbung im Web einer passenden Zielgruppe eingespielt wird, ohne jedoch dabei sicher sein zu können, ob eine konkrete Person sich individuell wirklich für Schuhe, eine neue Netflix-Serie oder Geld­anlagen interessiert.

Was nicht heißt, dass man solche technischen Nachhilfen nicht auch in der Liebe einsetzen kann. Der Online-Service »Spinner« wirbt Frauen mit Slogans wie »Get your boyfriend to pro­pose« und Männer mit »Want your wife to initiate sex?«. Die Idee dahinter: Auf Websites, die eine Zielperson regelmäßig besucht, sollen dieser Person individuell über einen längeren Zeitraum Artikel eingeblendet werden, um sie auf unbewusster Ebene zu beeinflussen, wobei unklar bleibt, wie gut das in der Praxis wirklich funktioniert. Im Krieg, Pardon, in der Werbung und in der Liebe ist alles erlaubt.