Das iranische Regime und die Einsamkeit Israels

In Teheran tickt die Uhr

Die Kritik an der konzilianten Iran-Politik der EU ist keine Marotte Benjamin Netanyahus, sondern weitgehend Konsens in der israelischen Politik. Mit neuen Methoden versucht Israel, der wachsenden Gefahr iranischer Angriffe zu begegnen.

Israel ist durch die »Islamische Revolution« 1979 ein Feind entstanden, den es so vorher nicht kannte. Beim Regime der Ayatollahs und Revolutionswächter handelt es sich um eine antisemitische und staatsterroristische islamische Diktatur, die aufgrund der Ideologie des Märtyrertums, der Gleichzeitigkeit von Pragmatismus und Vernichtungswahn sowie des Wechselspiels konkurrierender staatlichen und »revolutionärer« Institutionen am ehesten mit Begriffen wie »Unstaat« im Sinne Franz Neumanns und »Doppelstaat« im Sinne Ernst Fraenkels zu fassen ist.

Wird dieser Charakter des iranischen Regimes ausgeblendet, lässt sich nicht sinnvoll über die Gefahren diskutieren, die für Israel von den Machthabern in Teheran ausgehen. Das Gleiche gilt für Gruppen wie den Islamischen Jihad, dessen neuer Generalsekretär Ziyad al-Nakhaleh die Kooperation mit dem Iran deutlich intensiviert hat und der Hamas-Führung im Gaza-Streifen den Rang als wichtigster Verbündeter des iranischen Regimes ablaufen könnte. Und es gilt insbesondere für die Hizbollah, deren langjähriger geistlicher Führer, Mohammad Fadlallah, bereits Anfang der neunziger Jahre den »Kampf gegen den jüdischen Staat« zur »Fortsetzung des Kampfes der Muslime gegen die Verschwörung der Juden gegen den Islam« erklärt hatte. Wie das Regime im Iran leugnet und relativiert die Hizbollah die Shoah und verteidigt europäische Holocaust-Leugner.

Seit der Konsolidierung der Ayatollah-Herrschaft Anfang der neunziger Jahre sind das iranische Regime und sein Atomwaffen- und Raketenprogramm in Kombination mit der Ideologie eines eliminatorischen Antizionismus eine der entscheidenden Herausforderungen für den jüdischen Staat. Seit den frühen nuller Jahren wird die nukleare und konventionelle Aufrüstung des Iran von zahlreichen Sicherheitsexperten in Israel als potentiell existenzgefährdend beschrieben. In der offiziellen Militärdoktrin der israelischen Streitkräfte (IDF) von 2016 wird das iranische Regime als eine der gefährlichsten Bedrohungen für Isarel angeführt.

Die Eskalation der vergangenen Wochen ist nur der bisherige Höhepunkt der Konfrontation Israels mit dem Regime im Iran – und mit Sicherheit nicht ihr Endpunkt. Durch die israelischen Angriffe in Syrien, die einen Drohnenangriff der iranischen Revolutionswächter verhindert haben sollen, durch die ­israelischen Angriffe im Libanon, die das Raketenprogramm der Hizbollah um ein Jahr zurückgeworfen haben sollen, und durch die mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls von Israel ausgeführten Angriffe auf Waffendepots proiranischer Milizen im Irak Ende Juli hat die Konfrontation eine neue Dynamik erhalten. Israel zielt nicht mehr allein auf die iranische Präsenz in Syrien, gegen die die israelische Armee und Luftwaffe seit 2017 mit Hunderten Einsätzen vorgingen, sondern es geht erklärtermaßen um das gesamte Netzwerk des iranischen Regimes in der Region, das unter anderem mit jenen Milliarden finanziert wird, die dem Iran durch das Atomabkommen von 2015 und den Handel mit europäischen Staaten zugeflossen sind.

Auch wenn Quasem Soleimani, der Kommandant der Quds-Brigaden der Revolutionswächter, als Reaktion auf die israelischen Aktionen großspurig verkündete, »diese verrückten Operationen werden sicher die letzten Schritte des zionistischen Regimes« gewesen sein, haben derzeit weder die Hizbollah noch das iranische Regime Interesse an einer umfassenden militärischen Konfrontation mit der israelischen Armee. Beide verfolgen eine langfristige Strategie, in der der Untergang Israels offiziell auf das Jahr 2040 datiert ist – dies verkündete der Oberste Führer Ali Khamenei 2015, eine Installation in Teheran zählt seit 2017 die Tage bis zum vermeintlichen Ende ­Israels.
Das ändert nichts daran, dass die über 100.000 Raketen, die die Hizbollah heutzutage auf Israel gerichtet hat, eine eminente Gefahr darstellen. Der erfahrene Sicherheitsexperte Ely Karmon von der privaten Forschungsuniversität Interdisciplinary Center Herzliya sagte zum jüngsten Vorgehen gegen die Hizbollah: »Wir tun das mit Jahren Verspätung. Die Etablierung einer offensiven Infrastruktur im Libanon hätte schon vor langer Zeit gestoppt werden müssen.«

Israel versuchte bisher, umfassende Reaktionen der Hizbollah, die schnell zu einem verlustreicheren Krieg als dem im Jahr 2006 führen könnten, zu vermeiden. Seit etwa zwei Jahren versucht Israel, zunächst internationalen Druck aufzubauen, insbesondere durch die Veröffentlichung von Informationen über Hizbollah-Stellungen und die iranische Präsenz in Syrien. Erst wenn das keine Konsequenzen zeitigt, folgen gezielte Militärschläge, bei denen allerdings weiterhin versucht wird, keinen Anlass für großangelegte Reaktionen seitens der Hizbollah oder des Iran zu liefern. Der Sicherheitsexperte Ofek Riemer spricht in Anlehnung an den Begriff coercive diplomacy (Zwangsdiplomatie) von einer neuen ­israelischen Taktik, die er als coercive disclosure (Zwangsoffenlegung) bezeichnet: Die von Sicherheitskreisen noch bis vor kurzem nicht ­gewünschte Veröffentlichung von Ge­heimdienst­erkenntnissen wird gezielt zur Abschreckung und zum Aufbau von Druck verwendet.

In Deutschland wird gerne suggeriert, die Fixierung der israelischen Politik auf die Bedrohungen durch das iranische Regime und seine Verbündeten sei eine Marotte von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und diene in erster Linie der Ablenkung von innenpolitischen Problemen. Nur zu gerne ignoriert man, dass Benny Gantz, der derzeit wichtigste politische Kontrahent Netanyahus, seinen ersten internationalen Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar nutzte, um klarzustellen, dass es bei der Einschätzung des Iran so gut wie keine Differenzen zwischen den verfeindeten politischen Lagern in Israel gibt. Selbst ein linker Politiker wie der frühere ­Meretz-Vorsitzende Yossi Beilin, bis heute ein wichtiger Vordenker des israelischen »Friedenslagers«, hat betont, dass die militärische Option gegen das iranische Atom- und Raketenprogramm nicht verworfen werden dürfe. Bei einem Land, dessen demokratische Streitkultur der Kalauer »zwei Israelis – drei Meinungen« treffend beschreibt, sollte es europäischen Politikern zu denken geben, wenn in Sachen der iranischen Bedrohung über nahezu alle Parteigren­zen hinweg Einigkeit herrscht – und auch noch Zustimmung aus zahlreichen arabischen Ländern kommt, in denen die kooperative Iran-Politik der EU mindestens so kritisch gesehen wird wie in Israel.

Es war nicht der Likud-Politiker Netanyahu, der als erster israelischer Ministerpräsident versucht hat, die Weltöffentlichkeit von einem härteren Vorgehen gegen die Ayatollah-Diktatur zu überzeugen, sondern Yitzhak Rabin, der Anfang der neunziger Jahre in einem Iran, der Nuklearwaffen entwickelt, die zentrale Bedrohung der Existenz Israels heranwachsen sah. Nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum Rabin den riskanten Schritt wagte, sich mit Yassir Arafat auf einen »Friedensprozess« einzulassen. Rabins Idee war, die Gefahren an den Grenzen Israels durch Kompromisse in den Griff zu bekommen und so den, wie er es nannte, »inneren Gefahrenkreis« zu neutralisieren, um dem »äußeren Gefahrenkreis« – der Entwicklung eines nuklear bewaffneten Iran – angemessen begegnen zu können.

Zudem entschied sich Rabin 1992 Langstreckenbomber anzuschaffen, die gegebenenfalls in der Lage sein sollten, das Nuklearprogramm der Ayatollahs militärisch zu stoppen, und er beauftragte die israelischen Gesandten, in den europäischen Staaten für eine scharfe Sanktionspolitik gegen das iranische Regime zu werben – womit seiner wie auch späteren Regierungen kaum Erfolg beschieden war.

Auch deshalb haben israelische Politiker – im Gegensatz zur deutschen Politik – schon 2009 während der landesweiten Protestbewegung gegen die Wahlfarce im Iran auf einen Sturz des Regimes gehofft – trotz aller anfänglichen Skepsis gegenüber der heterogenen iranischen Freiheitsbewegung. Der damalige Präsident Shimon Peres verurteilte die iranische Führung in einer Deutlichkeit, die weit über die Aufrufe deutscher Politiker zum »friedlichen Dialog« hinausging. Netanyahu rief die USA und die EU offen zur Unterstützung der iranischen Freiheitsbewegung auf und der damalige Verteidigungsminister Ehud Barak kritisierte die zurückhaltenden Reaktionen des Westens auf die Repression gegen die Protestierenden im Iran. Auch in den vergangenen Jahren hat Netan­yahu wiederholt Reden gehalten, in denen er die iranische Bevölkerung zu ihrem Freiheitsdrang beglückwünschte, scharf den Terror des Regimes attackierte und seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, mit ­einem zukünftigen Iran ohne Ayatollah-­Herrschaft beste Beziehungen etablieren zu können.

Wie sehr Israel in diesen Fragen auf sich allein gestellt bleibt, zeigt sich an der Weigerung Deutschlands und der EU, die gesamte Hizbollah und die iranischen Revolutionswächter als Terrororganisationen einzustufen – und daran, dass die wiederholten Bitten israelischer Gesandter, keine Vertreter des iranischen Regimes in Europa zu hofieren, weiterhin kein Gehör finden. Zuletzt hat der Berliner Bürgermeister Michael Müller den Botschafter des iranischen Regimes und den Teheraner Bürgermeister, der noch im Mai am »al-Quds-Tag« in Teheran für die Zerstörung Israels demonstriert hatte, im Roten Rathaus in Berlin empfangen. Mit Blick auf die mal unentschlossene, mal of­fen Kooperation anstrebende Iran-Politik der Bundesregierung erscheint ­vielen Israelis das Gerede von der Sicherheit des jüdischen Staates als Teil der deutschen Staatsräson als hohle Phrase.