Radikale Christen in Deutschland

Wie hältst du's mit der AfD?

Fanatische Christen kämpfen in Deutschland gegen Feminismus, Homosexualität und die »Islamisierung des Abendlandes«. Doch sie tun sich schwer, vom rechten Aufschwung zu profitieren.

Die deutsche »Lebensschutzbewegung« scheint international noch nicht Fuß gefasst zu haben. Jedenfalls war sie im März unter den etwa 1 500 erzkonservativen Christinnen und Christen, Frauenhasserinnen und Frauenhassern sowie extremen Rechten auf dem Weltfamilienkongress (WCF) im norditalie­nischen Verona kaum vertreten. Dies mag Ausdruck einer generellen Distanz zu jenen internationalen Treffen der antifeministischen Netzwerke sein, die immer deutlicher von der extremen Rechten und deren Parteien dominiert sind. In die Nähe der neofaschis­tischen Forza Nuova Italiens will man sicherlich nicht geraten, schließlich arbeitet sich die »Lebensschutzbewegung« auf heimischem Boden immer noch an der Frage »Wie hältst du es mit der AfD?« ab.

Die Debatte um Trisomie-Test macht das große Konfliktpotential zwischen AfD und »Lebensschutzbewegung« deutlich.

Nach dem Berliner »Marsch für das Leben« im September 2018 kommentierte Gerhard Steier vom Bundesverband Lebensrecht (BVL), der Anmelder des Marsches, die sinkenden Teilnehmerzahlen der Demonstration: »Die politische ­Wetterlage angesichts der Chemnitzer Ereignisse ist nicht so freund­lich«, viele Menschen seien »von den Links-rechts-Debatten verunsichert«. Der Vorsitzende der Christen in der AfD, Joachim Kuhs, sagte der Taz zwar: »Wir stehen hinter dieser ­Sache«, doch die extreme Rechte ist uneins. Die Debatte um die Kranken­kassenfinanzierung des Bluttests zur Früherkennung von Trisomie 21 in Deutschland macht das große Konfliktpotential zwischen AfD und »Lebensschutzbewegung« deutlich. Uwe Kamann, ehemals AfD-Bundestagsabgeordneter und seit seinem Austritt im Dezember 2018 fraktionslos, und Axel Gehrke, der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, befürworten den Test, wenngleich sie betonen, für eine generelle »Willkommenskultur auch für Ungeborene« zu sein. Die »Lebensschutzbewegung«, der auch Beatrix von Storch angehört, lehnt den Test hingegen seit Jahren ­vehement ab.

Im Februar dieses Jahres nahm eine Delegation des BVL an der Gründung eines Menschenrechtsforums des europaweiten Verbands »One of Us« in ­Paris teil. Dieser soll einem Kreis »europäischer Philosophen, Historiker, Anwälte und Mediziner« als gemeinsame Plattform dienen, um eine »Erneuerung Europas für die Wahrung der menschlichen Würde« anzustreben. Das in Paris verabschiedete »One of Us«-Manifest beruft sich zwar auf die Verteidigung der Menschenrechte von 1948, doch wird in einem apokalyptischen Tonfall das drohende Ende des christ­lichen Europa beschworen.

Solche extremen Töne schlägt die deutsche »Lebensschutzbewegung« zu Hause selten an. In den sorgfältig orchestrierten öffentlichen Veranstaltungen des BVL wird ein allzu fundamentalistischer Sprachduktus vermieden. Doch am Kampf für das angeblich von Säkularisierung und der Islamisierung bedrohte Christentum beteiligt sich die Bewegung auch in Deutschland. Man versucht, die Konservativen auch in Fragen der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung vor sich her zu treiben. Es sind vor allem die Strategien der einflussreichen US-amerikanischen »Pro Life«-Bewegung, an denen sich die Deutschen in den vergangenen Jahren immer stärker orientierten. Man unterstützt Christen, die aus religiöser oder moralischer Überzeugung Frauen, Schwule, Lesben und Transpersonen – oder auch Angehörige anderer Religionen und Atheisten – diskriminieren wollen. Sie stellen ihre ideologische Offensive als Kampf für Religions- und Gewissensfreiheit und den Schutz der bedrohten Mehrheit dar und versucht, juristische Präzedenzfälle zu schaffen.

Die US-amerikanische Alliance Defending Freedom International (ADF) unterstützt mit erheblichen Mitteln ­finanziell und propagandistisch Gerichtsprozesse beispielsweise vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), von denen sie hofft, dass sie der Durchsetzung ihres reaktionären antifeministischen Weltbildes dienen. Die Verteidigung des katholischen Antiabtreibungsaktivisten Klaus Günter Annen, der die Internetseite »Babycaust« betreibt, sowie den Fall »Wunderlich gegen Deutschland«, bei dem es um das Verbot von christ­lichem home schooling und die Schulpflicht geht, betreut die ADF Interna­tional in Deutschland. Nach mehreren verlorenen Prozessen hatte Annen mit Unterstützung der ADF vor dem EGMR 2015 schließlich Erfolg. Die Mehrheit der Richter befand, dass seine Meinungsfreiheit vorgehe und er ­Ärzte nicht direkt mit Nazis verglichen habe. Seitdem ist Annen vier weitere Male in Deutschland verurteilt worden, die Gerichte urteilten, seine Aussagen könnten so verstanden werden, dass er einzelne Ärztinnen und Ärzte als Mörder bezeichnete. Diese Urteile hatten vor dem EGMR Bestand, das Gericht entschied im September 2018, das legale Handeln der Ärzte dürfe nicht auf diese Weise diffamiert werden.

Das Ehepaar Wunderlich, dessen drei Kinder 2013 wegen des Verstoßes gegen die Schulpflicht für drei Wochen in staatliche Obhut genommen wurden, kämpft weiter gegen die Schulpflicht. Im Januar 2019 entschied der EGMR zugunsten der Bundesrepublik Deutschland und gegen die Wunderlichs. In der deutschen Öffentlichkeit blieben dieses Urteil und eine von der ADF initiierte Petition auf dem fundamentalistischen Portal »Citizen Go« weitgehend unbeachtet.

Die ADF scheint ihre Präzedenzfälle in Deutschland schlecht gewählt zu haben. Annen, der erwähnte Betreiber der Internetseite »Babykaust«, findet in der deutschen »Lebensschutzbewegung« wenig Unterstützung. Im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es in Deutschland gegenwärtig keine nennenswerten Bestrebungen, Kinder zu Hause zu beschulen, um sie religiös zu indoktrinieren und beispielsweise vom Sexualkundeunterricht oder der Evolutionslehre fernzuhalten. Annens blutige Fötenbilder und Auschwitz-Vergleiche stoßen bei vielen Christen ebwenso wie bei einem Großteil der deutschen Bevölkerung auf Widerwillen. Dabei arbeitet mit Sophia Kuby eine profilierte und gut vernetzte »Lebensschützerin« im Wiener Büro der ADF. Kuby war Mitglied der rechtskatholischen »Generation Benedikt«, gründete die Antiabtreibungsorganisation ­European Dignity Watch, ist stellvertretende Vorsitzende der jungen Christ­demokraten für das Leben (CDL) und Mitunterzeichnerin des Manifestes »Restoring the Natural Order« des klandestinen europäischen Netzwerks Agenda Europe.

Die Behauptung, die Religions- und Meinungsfreiheit von Christinnen und Christen sei bedroht, ist der Ausgangspunkt der rechten Offensive. Dies ist die Richtung, in die die internationale ­»Lebensschutzbewegung« drängt und der die Deutschen vielleicht nur ein wenig verspätet hinterherstolpern. Diese Bewegung ist offen für die extreme Rechte, christlich-fundamentalistisch und wendet sich immer offener gegen sicher geglaubte Frauen- und LGBTI-Rechte.